Bewertung: 4.5 / 5
Dem Vernehmen nach hat Apple wegen Will Smiths Entgleisung bei der diesjährigen Oscar-Zeremonie sehr damit gehadert, Emancipation angemessen zu bewerben. Die Rede war ebenfalls davon, dass das Drama zu gelungen sei, um es trotz vollendeter Produktion in den Giftschrank zu sperren. Dazu können wir gleich sagen, dass das eine weise Entscheidung war, denn dieser Film kommt einer emotionalen Berg- und Talfahrt gleich, wobei man sich den drastischen Bildern nicht entziehen kann. Regisseur Antoine Fuqua ist zusammen mit Smith ein außerordentlich wertvoller Beitrag zu einem der düstersten Kapitel der USA geglückt.
Emancipation Kritik
Die USA kurz vor Ende des Bürgerkriegs in den frühen 1860er Jahren: Abraham Lincoln drängt mit seinen Armeen immer weiter Richtung Südstaaten, um seine Landsleute vom Joch der Sklaverei zu befreien und jene zu stellen, die sich am alten System festklammern. Auch in den noch nicht befreiten Sklavenbastionen Louisianas macht diese Meldung die Runde. Unter ihnen befindet sich ein Mann namens Peter, der mit einem unerschütterlichen Glauben an die Güte Gottes ausgestattet ist und alles riskiert, um seinen Peinigern zu entkommen. Für ihn beginnt eine gefährliche Reise, die ihm endlos viel Kraft und Entschlossenheit abverlangt, damit er seine geliebte Familie wieder in die Arme schließen kann.
Trailer zu Emancipation
Emancipation besitzt einen wunderbar entsättigten Look, der eine weitestgehend naturalistische Ästhetik zum Ausdruck bringt. Man bedient sich hier nicht einer einfältigen Schwarz-Weiß-Optik, die den falschen Schluss nahelegen könnte, dass Hautfarben keinerlei Relevanz für die Persönlichkeiten haben. Stattdessen mutet der Film durch die weitestgehend zurückgefahrenen Farben extrem dreckig und düster an, was wiederum der damaligen Lebenswelt der Schwarzen Menschen und den inneren Abgründen der zur Schau gestellten Weißen Bevölkerung gerecht wird.
So abgedroschen das klingen mag, doch beinahe jeder Frame von Emancipation wirkt wie ein kleines Kunstwerk, den man am liebsten an die Wand hängen wollte, wenn sie nicht so deprimierend anmuten würden. Das Sahnehäubchen sind dabei die langsamen Kamerafahrten, die uns immer wieder mit ungewöhnlichen Perspektiven in den Bann ziehen. Als wir am Ende herausfinden, dass Robert Richardson - Stammkameramann von so illustren Gestalten wie Oliver Stone, Martin Scorsese oder auch Quentin Tarantino - für die bedrohlichen Aufnahmen in den Sümpfen Louisianas verantwortlich ist, verwundert das kaum, denn tatsächlich ist das hier Django Unchained ohne die für Tarantino zum Markenzeichen gewordenen popkulturellen Spielereien.
Die Erzählweise von Emancipation changiert dabei zwischen emotionalem Appell und historischer Nüchternheit im Sinne eines "so hat es sich zugetragen". Man begeht dabei zum Glück nicht den Fehler, Smiths Protagonisten zum unangefochtenen Helden zu stilisieren. Viel eher kann er als Rückenfigur identifiziert werden, die das ehemals grassierende Unrecht mit Schrecken betrachtet und auch am eigenen Leib erfährt. Das schafft eine unheimliche Nähe, die in ihren besten (und damit auch grausamsten) Momenten fassungslos macht. Man sehnt sich nach dem Wind der Veränderung, nach Freiheit und damit eben auch Selbstermächtigung, was wiederum wunderbar zum Titel des Films passt.
Was uns neben den ersten atmosphärischen und niederschmetternden Minuten von Emancipation besonders im Gedächtnis bleiben wird, ist das furiose Finale, das buchstäblich aus allen Rohren feuert. Mit derartig schonungslosen und stakkatoartigen Schlachtaufnahmen in Manier der Eröffnungssequenz von Der Soldat James Ryan hätten wir beileibe nicht gerechnet. Dachten wir, dass der Film nun gemächlich ausläuft, wird man noch einmal komplett in die Couch gedrückt und ordentlich durchgeschüttelt, wobei das Gefühl einer gewissen Befriedigung bezüglich des tatendurstigen Gegenschlags nicht ausbleibt. Die durch genauestens choreografierte Abläufe unterstrichene Opulenz ist bemerkenswert.
Es ist beinahe eine Schande, dass wir diese Szenen auf der heimischen Couch zu Gesicht bekommen, wo sie doch im Kino noch so viel stärker wirken könnten. Das gesagt, muss man allerdings auch betonen, wie immersiv diese eruptive Gewalt via Apple TV+ dann doch daherkommt. Das liegt auch daran, dass der Streamingdienst in Sachen Bild- und Soundqualität problemlos zur Speerspitze der Branche ernannt werden kann.
Zum Schluss von Emancipation sitzt man ungläubig da, weil man ein eindringliches Lehrstück zu den Gräueln der Sklavenhaltung gesehen hat, von dem man sich wünschte, dass sich die zur Schau gestellten Szenen doch bloß um einen wahnhaften Fieberalbtraum handeln würden. Dass der Film diese Schwere tatsächlich rüberbringen kann, liegt nicht nur am Drehbuch und den zahlreichen ästhetischen Entscheidungen, sondern auch an einem - man kann es nicht anders sagen - brillierenden Will Smith.
Wie sich seine rastlose Figur Peter unaufhörlich und an jeden noch so kleinen Grashalm klammernd ihren Weg durch die schauderlichsten Umstände bahnt, lässt einen den Atem stocken. Trotz all des Schmodders gelingt Smith das Kunststück, eine geradezu leuchtende Würde zum Ausdruck zu bringen, wodurch er auch symbolisch für die Hoffnung auf einen besseren Morgen verstanden werden kann.
Wenn sein Peter etwa voller Wut all das Leid anprangert, das er und "seinesgleichen" erdulden muss, dann ist man fassungslos, wie stark der Entertainer hinter seinem historisch verbrieften Protagonisten zurücktritt. Gleiches gilt für jene stillen Momente, in denen einzelne Tränen andächtig über seine Wangen rollen. Wenn ihr dachtet, Leonardo DiCaprio hätte euch bereits in The Revenant - Der Rückkehrer über alles unterrichtet, was zu leiden bedeutet, dann solltet ihr die unbändige Willenskraft von Will Smith sehen! Sein Schauspiel sticht aus einem sowieso schon starken Cast heraus, wobei der von Ben Foster gespielte Antagonist Jim Fassel wegen seiner abgründigen Motivation genauso wie Smiths Filmpartnerin Charmaine Bingwa besonders zu nennen wären.
Und hätte es nicht jenen Kurzschluss bei den Oscars im März 2022 gegeben, wir würden felsenfest davon ausgehen, dass sich Smith im nächsten Jahr in direkter Abfolge die Trophäe sichern darf. Unter den genannten Umständen bleibt das aber alles andere als eine sichere Nummer, immerhin ist man in Hollywood bei solcherlei Handlungsweisen wenig solidarisch. Und trotzdem: Es ist bezeichnend, dass wir aus schauspielerischer Sicht Smith trotzdem diesen Erfolg absolut gönnen würden, denn ihm ist hier eine Leistung gelungen, die einem die Sprache verschlägt.
Im Hinblick auf Apples Filmportfolio ist Emancipation schlicht das bislang beste Argument, um einen Monat Apple TV+ zu buchen! Man sollte allerdings mit blutigen und grausamen Szenen haushalten können, denn klar ist auch, dass Antoine Fuquas Drama absolut kein Wohlfühlding ist.
Wiederschauwert: 80%