Bewertung: 4.5 / 5
Bacurau nimmt sich Zeit. Es dauert fast eine Stunde, bis der Film enthüllt, worum es eigentlich geht, bis dahin ist der Film ein ruhiges Portrait eines Brasilianischen Dörfchens, bewohnt von Bauern, Kriminellen und Leuten die einfach in den Tag hinein leben. Arm ist jeder, aber es zusammen geteilt, getrauert und gegen den nutzlosen örtlichen Politiker demonstriert. Dann passieren plötzlich merkwürdige Dinge: das Dorf verschwindet wortwörtlich von der Karte, der Tanklaster für Wasser wird angeschossen und die Pferde einer nahen Ranch brechen aus. Kurz danach beginnt für die Bewohner der pure Horror. Gerade noch weitestgehend sorglos, werden sie plötzlich mit einer existentiellen Bedrohung konfrontiert, die sie als wehrlose Opfer auserkoren hat: eine Gruppe Touristen, bestehend aus vom Leben frustrierten, Waffennarren und Soziopathen, die auf Menschenjagd gehen will.
Diese Beschreibung lässt den Film wie einen klassischen Thriller wirken, was ihm nicht wirklich gerecht wird. Er ist keinem Genre wirklich zuzuordnen, stattdessen liegt er irgendwo zwischen politischer Satire, Parabel über die Stärke der menschlichen Gemeinschaft und blutiger Exploitation. Auffällig dabei ist vor allem, dass der Film keine echte Hauptfigur hat – die gesamte Gruppe der Dorfbewohner übernimmt diese Rolle. Die Antagonisten hingegen haben einen klaren Anführer (Udo Kier im vollen Udo Kier-Modus) der seine Gruppe Bacurau terrorisieren lässt und feststellen muss, dass er in ein Wespennest getreten ist. Generell hat der Film etwas Anarchistisches an sich: Politiker, Polizisten und Gesetzeshüter sind entweder nutzlos oder kooperieren mit dem Gegner. Hilfe bekommt Bacurau nur von einer Truppe Gangster, die dem Dorf schon in der Vergangenheit ausgeholfen haben. Die mörderischen Touristen bekommen Befehle per Headset, während das Dorf scheinbar keine Führungsstruktur hat.
Hinzu kommt, dass der gesamte Film einen oft traumartigen Stil hat. In der Eröffnungsszene fahren zwei Charaktere über Särge, die auf der Straße liegen, Menschen schlucken in Nahaufnahme ihres Mundes Aufputschmittel und einige Szenen – wie eine Konfrontation Udo Kiers mit einer Dorfbewohnerin – haben keinen wirklich logischen Zweck. Es geht hier mehr um die Nachricht als um den Plot, was auch in der finalen Konfrontation klar wird: wer eine grandiose Schlacht erwartet, wird enttäuscht werden, da der Film seine Spannung mit einem blutigen Antiklimax entlädt in dem die Touristen bei ihrem Angriff auf Bacurau abgeschlachtet werden, ohne eine echte Chance zu haben. Jegliche Zurückhaltung endet hier, Köpfe rollen, Gesichter und Finger werden abgeschossen und generell wird klar gemacht, das die Eindringlinge einen großen Fehler gemacht haben – aber trotzdem versuchen die Dorfbewohner einer Angreiferin das Leben zu retten, nachdem sie Reue gezeigt hat.
Bacarau ist finster, aber ultimativ optimistisch: das Dorf wird schwer getroffen, aber am Ende triumphiert die Solidarität. Zusammenhalt ist ein zentrales Motiv, und so passt es, dass alle Elemente des Films, der in den falschen Händen inkohärenter Murks geworden wäre, zusammenpassen und ein harmonisches Ganzes bilden. Er ist Die sieben Samurai und The Most Dangerous Game in einem und funktioniert, alleine das macht ihn schon empfehlenswert.