Bewertung: 3.5 / 5
Für Königinnen war die Berlinale 2012 eine unangenehme Angelegenheit: Gleich zwei von ihnen verloren im diesjährigen Wettbewerb alles, was ihnen lieb war - die eine in Paris, die andere in Kopenhagen. Während Benoït Jacquots Marie-Antoinette-Drama Leb Wohl, meine Königin! (Start: 31. Mai) - immerhin Eröffnungsfilm des Festivals - nur höflich beklatscht wurde, sammelte der Däne Nikolaj Arcel mit Die Königin und der Leibarzt - A Royal Affair die Lorbeeren ein: Arcel erhielt gemeinsam mit Co-Autor Rasmus Heisterbergen den Drehbuchpreis, Mikkel Følsgaard für seine Darstellung des dänisch-norwegischen Königs Christian VII. den Silbernen Bären.
Einen Publikumsliebling spielt der Schauspielstudent Følsgaard wahrlich nicht: Die Launen des jungen Königs, der 1766 den Thron bestieg, sind so unberechenbar wie seine Einfälle kindisch. "Geisteskrank", wispern die Höflinge schon lange über den dümmlich lachenden Christian. Und spätestens, als der Monarch seine frisch Angetraute aus gekränktem Stolz vor versammeltem Hofe demütigt, bleibt selbst dem tolerantesten Zuschauer kaum eine andere Wahl, als sich auf die Seite von Königin Caroline Mathilde (Alicia Vikander) zu schlagen, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird.
Erst der Arzt Johann Friedrich Struensee (Mads Mikkelsen) kann beruhigend auf den Hitzkopf einwirken: Mit Shakespeare-Zitaten gewinnt der deutsche Doktor die Zuneigung des passionierten Schauspielers. Nur Hamlets Worte über den Zustand Dänemarks mag Christian nicht gern hören, ansonsten hält er große Stücke auf das Urteil seines hochgebildeten Freundes. Und nach anfänglicher Abneigung fasst auch die Königin bald Vertrauen zu dem engagierten Medicus. Die beiden entdecken erst ihre gemeinsame Leidenschaft für die Aufklärung, und dann, nachdem Regisseur Arcel langsam eine merkliche Spannung zwischen ihnen aufbaute, ihre Gefühle füreinander.
In Dänemark kennt jedes Schulkind die Geschichte dieser Affäre, aus der nicht nur - darüber sind sich Historiker recht einig - Prinzessin Louise Auguste hervorging, sondern auch eine Reihe (kurzlebiger) Reformen, von denen sich der große Aufklärer Voltaire zu einem Loblied auf das fortschrittliche Königshaus hinreißen ließ. Doch am Ende sollte Shakespeare recht behalten: Es ist was faul im Staate Dänemark...
Nikolaj Arcel beweist in seinem rund zweistündigen Kostümdrama einen untrüglichen Instinkt für Ausgewogenheit: Er stattete all seine drei Hauptfiguren mit genügend Facetten aus, um das Interesse an der komplexen Dreiecksbeziehung dauerhaft hoch zu halten. Und er wählte drei Hauptdarsteller, die auch in der Lage sind, diese Facetten zu zeigen - die Newcomer Følsgaard und Vikander schlagen sich gut neben dem bewährten Charakterkopf Mikkelsen.
Zugleich achtete Arcel darauf, dass das Intrigenspinnen nicht zur bloßen dramaturgischen Formsache verkommt - Motive werden dargelegt, Zusammenhänge ohne große Lücken aufgezeigt. Und ganz ohne Schulmeisterei verrät der Regisseur und Autor noch historisch gänzlich unbeleckten Zuschauern alles, was sie über das Wesen der Aufklärung und die europäische Gesellschaft des ausklingenden 18. Jahrhunderts wissen sollten. Geschichte kann so unterhaltsam sein - außer vielleicht für in Ungnade gefallene Königinnen.
Die Königin und der Leibarzt - A Royal Affair bekommt 3,5 von 5 Hüten.
(Quelle: teleschau - der mediendienst | Annekatrin Liebisch)