Bewertung: 4 / 5
Es lief schon mal besser für die Bewohner des kleinen Städtchens Mele-sur-Sarthe in der Normandie. Die Landwirtschaftskrise greift um sich, sämtliche Bauern sind verschuldet, die Einnahmen der Stadt gehen gegen Null. Doch Bürgermeister Georges Balbuzard weigert sich, aufzugeben. Als der etwas schrullig-spleenige Fotograf Blake Newman aus Amerika zu Besuch kommt, sieht Georges eine große Chance für Mele-sur-Sarthe. Denn Newman hat sich in ein Feld vor den Toren der Stadt verliebt. Dieses Feld soll sein nächstes Motiv werden. Und die Stadtbewohner gleich mit. Denn Newman ist berühmt für seine Aufnahmen nackter Menschen, eingebettet in eine bestimmte Landschaft. Georges erhofft sich von der Aufnahme eine Menge öffentliche Aufmerksamkeit für die Stadt und ihre Probleme. Doch er hat die Rechnung ohne seine kratzbürstigen Bewohner gemacht. Denn die wollen nicht nackt posieren. Und erst recht nicht vor einem Fremden.
Ein Dorf zieht blank von Philippe le Guay ist eine Gesellschaftskomödie in der Tradition erfolgreicher französischer Filme wie Monsieur Claude und seine Töchter: Auf unterhaltsame und amüsante Weise sollen soziale und ökonomische Probleme des Landes vermittelt werden. Allerdings liegt der Schwerpunkt von le Guays Film nicht im Interkulturellen, sondern in der Wirtschaft Frankreichs. So wird die Landwirtschaftskrise ebenso behandelt wie auch die steigende Zahl von Stadtbewohnern, die aufs Land ziehen und dort augenscheinlich Fremdkörper sind. Und der Begriff der Heimat und seine Bedeutung auch und gerade für junge Leute spielt in der Komödie ebenfalls eine große Rolle.
Trailer zu Ein Dorf zieht blank
Getragen wird der Film von den authentisch agierenden Darstellern. Angeführt von dem charismatisch und ausdrucksstarken Francois Cluzet als sympathischem Bürgermeister agiert das Ensemble perfekt aufeinander eingespielt. Die Gemeindeabende, in denen kleine und große Probleme lautstark ausdiskutiert werden, wirken ebenso milieuecht wie auch die gesamte Kleinstadtszenerie rund um den Marktplatz, wo das Herz der Kleinstadt schlägt, wo getratscht, beobachtet, gezankt und geheiratet wird.
Eine stimmige Montage verbindet die divergenten Perspektiven und ist von einer tiefen Sympathie für die Franzosen und ihre Schrulligkeiten geprägt. Atmosphärische Stimmungsbilder gliedern die kollektive Tragikomödie, die durch die schauspielerisch überzeugende Hauptfigur des Bürgermeisters katalysiert wird. Dabei bleiben wenige Geheimnisse - de Guay behält das leichte "Feelgood Movie" mit Problembewusstsein im Blick. Er bleibt in manchen Aspekten (Tierhaltung und Fleischwirtschaft z. B.) bewusst an der Oberfläche, deutet anderes nur an oder löst es auf. Die erwähnten konservativen Tendenzen werden letztlich nicht affirmiert, sondern als hilflose Selbstvergewisserung gekennzeichnet.
Für ein erwachsenes Programmkinopublikum ist Ein Dorf zieht blank ein unterhaltsames und detailfreudiges Vergnügen – im besten Sinne altmodisches französisches Genrekino.
Prädikat: besonders wertvoll
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung