Bewertung: 3.5 / 5
Was macht man, wenn man direkt mit seinem Debutfilm einen der besten jemals gedrehten Animationsfilme vorgelegt hat? Richtig, etwas anderes! Und falsch, eigentlich dasselbe aus einer etwas anderen Perspetive! Und wer weiß, vielleicht eine Melange?
Auf dem Papier zumindest ist Huhn mit Pflaume einerseits deutlich anders als Persepolis angelegt, andererseits sind natürlich genügend Parallelen vorhanden, dass da eine gewisse einheitliche Handschrift zu erkennen ist sowie eine Historie, die das alles zusammenhält. Aber eines nach dem anderen.
Marjane Satrapi hatte mit Persepolis ihr Regiedebüt gegeben, eine Adaption ihres eigenen Comics gleichen Namens, welches stark autobiografische Züge trug und schon als Comic überall (außer einem Dorf in Gallien genannt Iran) Lobeshymnen hervorrief, und der Animationsfilm, der sich sehr stark an dem Comic orientierte wurde zu einem einzigen Siegeszug. Zum einen handelte es sich um eine Coming-of-Age Geschichte, zum anderen um eine präzise Studie darüber wie sich der Iran nach der Revolution veränderte. Der Film war (genau wie der Comic) wütend, schlau, informativ, lustig, traurig, einfach großartig. Und in bester Weise persönlich!
Und persönlich bleibt es eben bei Huhn mit Pflaumen, aber eben nicht mehr im besten Sinne, zumindest nicht so wie bei Persepolis, anders? Anstatt nämlich eine autobiografische Geschichte zu erzählen, oder gar biografische, so wie es in Persepolis noch der Fall war, geht Satrapi diesmal einen Schritt weiter in ihrem Selbstheilungsprozess durch Schreiben (auch der Film adaptiert ein Comic von ihr selbst), indem sie einen Schritt zurück macht und sich ihrer Geschichte/Herkunft stellt. Dabei erweckt sie ein Teil eines landes wieder zum Leben, das es so wahrscheinlich nie gegeben hat, und doch vieles sehr real ist.
Die Kurzzusammenfassung besagt, dass einem virtuosen Geigenspieler seine Violine im Streit mit der Frau kaputt geht und weil er ohne dieses Instrument offensichtlich nicht mehr so gut spielen kann, er sich entschliesst, innerhalb der nächsten acht Tage zu sterben. Wir ahnen bereits, dass da sicherlich noch mehr dahinter stecken wird...
Satrapi entwickelt aus dieser Grundprämisse ein kaleidoskopartiges Sittengemälde eines Landes VOR den ganzen Unruhen, die Jahrzehnte später entstehen sollen, sie fokussiert sich auf die Menschen, ihre Träume, und ihre nie ausgelebten Wünsche, zerstörte Hoffnungen und wie es dazu kommen kann, dass man sich mit dem Leben, das man hat arrangieren kann, sich Glück vorgaukelt und wie zerbrechlich dieses vermeintliche Glück dann tatsächlich ist.
Das ist hochgradig poetisch, und offensichtlich eigentlich nicht wirklich politisch, und zutiefst menschlich. Aber das ist natürlich nur die Oberfläche, denn "wie zerbrechlich das vermeintliche Glück ist", ist unterschwellig und mit zunehmender Dauer eben doch auch immer noch sehr wohl politisch motiviert, nur eben nicht mehr so wütend (weil es die eigene verlorene Kindheit behandelt) sondern eben ein bißchen aus der Ferne (weil es die Familie von mindestens vor einer Generation betrifft und gesammelte Geschichten darum herum) betrachtend versöhnlicher und nostalgischer werdend. Und das ist die Kehrseite des Persönlichen, wenn du zwar keine Distanz mehr hast, aber durch diese fehlende Distanz vergisst, worauf du dich fokussieren sollst.
Huhn mit Pflaume ist daher tatsächlich zerfasert und zerfällt immer wieder in seine Einzelteile, ist teilweise langatmig, ja gar langweilig und es fällt einem zunehmend schwer, sich darauf zu fokussieren, warum diese Heulsusse trotz gutem Lebens sterben will. Und es braucht wirklich sehr lange, bis man endlich zu des Pudels Kern kommt. Doch bevor ich dazu komme, muss ich auch zerfasern und was völlig anderes schreiben ;-)
Wie gesagt, im Gegensatz zu Persepolis ist Huhn mit Pflaume diesmal ein Realfilm, der mit Mathieu Amalric tatsächlich hervorragend besetzt ist. man nimmt dem wandlungsfähigen darsteller das Persertum jederzeit ab und er spielt seine Rolle mit einer erhabenen Würde, wie sie für den Film gerade nötig ist. Auch sonst kann sich die Besetzung sehen lassen. Die Inszenierung ist wunderschön anzusehen und die Künstlichkeit des Settings gibt dem Ganzen tatsächlich etwas wohlig Märchenhaftes.
Was dem Film über die ganze Laufzeit hindurch jedoch fehlt, ist der aufblitzende Schalk des südländischen Volkes, da garstig boshafte mit einem verschmitzten Lächeln, egal ob bei Mann oder Frau. das wird zwar in Ansätzen immer wieder angedeutet, aber es versteckt sich in einem eleganten französischen Umhang der Gediegenheit. Und das ist eigentlich sehr schade, denn auch die Franzosen beherrschen einen gewissen vulgären hintersinnigen Humor sehr sehr gut, wenn sie es denn können.
Leider geht dieser Aspekt bei Satrapi deutlich verloren, was wie gesagt daran liegen mag, dass sie hier eine persönliche Geschichte erzählt, und Niemandem (vor allem sich selbst nicht) etwas kaputt machen möchte. Aber eben jener Aspekt hätte sicherlich zu mehr Komplexität und Authentizität führen können, ohne auf Kosten der liebevoll gestalteten Figuren zu gehen.
Sei es drum, vergebene Liebesmüh und vergeudetes Potential hin oder her. Je nachdem in welcher Lebenslage und wie alt man ist, wahrscheinlich kann man Huhn mit Pflaumen tatsächlich als eine gelungene, reifere, versöhnlichere Fortsetzung und gleichzeitig Vorgeschichte zu Persepolis betrachten, sowie die politische Allegorie in diesem angeblich unpolitischen Werk durchaus wahrnehmen. Und man kann den Versuch der Selbsttherapie durchaus wohlwollend zur Kenntnis nehmen.
Was uns also zu dem Finale des Films bringt, etwas was der Film wirklich lange vor sich herschiebt, sei es, weil der Film einfach nicht dorthin gehen will, eben weil es dann doch deutlich wird, worum es geht, sei es weil so viel drumherum und zerfasert in alle Richtungen gegangen wird.
Hier fährt der Film so viele harte Geschütze auf, dass einem fast bange wird, wie gut der komplette Film hätte werden können. Es werden hier in Parallemontage zwei Leben skizziert, die so miteinander verknüpft sind und doch so unabhängig voneinander, dass das Endresultat wahrlich herzzerreißend ist - und ganz großes Kino.
Und ich muss es auch ansprechen: Das ist so großartig gemacht, dass Chazelle das Jahre später in seinem für einige als Meisterwerk angesehenen La La Land mit seinem fulminanten Finale mehr als nur bloß zitiert. Nur hat das Gezeigte in Huhn mit Pflaume eben mehr Substanz, da es hier eben nicht nur um die Befindlichkeiten zweier Individuen in Hollywood geht (und damit eigentlich einem Luxusproblem).
Nur dieses Ende kann diesen gemächlichen trägen Film, der das Herz aber immer am rechten Fleck hat, nur halt zu brav ist, tatsächlich so etwas wie in eine gewisse Oberliga katapultieren.
Das Ende sind allemal 9-10 Punkte wert, der Gesamtfilm landet daher bei 7 Punkten, denn manchmal ist das Ziel auch etwas mehr wert als der Weg dahin.