Bewertung: 4 / 5
Wenn es gerade einen Mann gibt, dem sie musikalisch in Hollywood in den letzten Jahren zu Füßen gelegen haben, dann ist es Lin-Manuel Miranda. Das vermeintliche Multitalent hat sich mit Hamilton in die erste Riege katapultiert, und danach konnte er aus den Vollen schöpfen, durfte eine tragende Rolle im Mary Poppins Reboot/Remake/Fortsetzung spielen, durfte Encanto vertonen und durfte sogar sehen wie sein erstes großes Broadway-Projekt tatsächlich als Kinofilm verfilmt werden sollte, denn im Gegensatz zu Hamilton, der ein massiv überteuerter Bühnenmitschnitt ist, ist in The Heights tatsächlich optisch zumindest Kino der Neuzeit vom Feinsten. Back to the Roots und gleichzeitig ab in die Zukunft ?
Ja, ich weiß, neben den sporadischen Ausflügen und quervergleichenden filmhistorischen Pseudo-Essays, die ich euch zumute, und die eigentlich auf dieser Plattform nur eine Nische bedienen, ist Musical tatsächlich dann eine noch kleinere Nische, die hier auf MJ wahrscheinlich ein tatsächlich noch kleineres interessiertes Publikum finden dürfte. Aber was solls, wenn das Ergebnis ein Review erfordert, dann ist es halt so.
Trailer zu In the Heights
In the Heights ist tatsächlich inmitten von Corona und in direkter Konkurrenz zu Steven Spielbergs lahmem West Side Story Aufguß ein bißchen in der allgemeinen Wahrnehmung untergegangen, zwar gab es einvernehmlich gute Kritiken und der Film steht auf jeder allgemeinen Filmliste ganz gut da, aber sein Einspielergebnis blieb deutlich unter dem, was ein solcher Film unter normalen Umständen verdienen würde. Wie gesagt, eine gewisse Geschichte über die West Side ist da auch nicht ganz unschuldig - oder zumindest die Veröffentlichungspolitik der Studios (ehrlich gesagt weiß ich auch nicht, ob das damals stark instrumentalisierte HBO Max auch was damit zu tun hat?).
Im Mittelpunkt steht ein Viertel das im Aufbruch befindlich ist und zwischen Gentrifizierung, der Moderne, dem alten vs dem neuen oszilliert, sowie allem dazwischen. Daher gibt es auch keine zentrale Story, die den Film vorantreibt wie es bei den üblichen Filmen und Musicals so oft der Fall ist sondern es wird ein Gefühl vermittelt, wo die Handlungsebene den Emotionen untergeordnet wird. Klar, es gibt diverse parallel verlaufende Handlungen, die je nach Konstitution des Zuscahuers tatsächlich auch zu Herzen könnten, aber für den hier schreibenden rezensenten sind das alles nur halbherzig eingestreute überraschungsarme Geschichten, um den Film von Plansequenz und Musical-Nummer zur nächsten zu hieven.
Tatsächliche Themen werden immer nur oberflächlich angekratzt, nur um sie tatsächlich mal angesprochen zu haben, aber es wird nie zu tief in die Materie eingedrungen, was bei einer Spielzeit von fast 2,5 Std. wahrscheinlich auch den Rahmen gesprengt hätte. Aber dadurch fehlt mir dann tatsächlich etwas, was das andere etwas bessere Musical auzs Hollywood eben auch auszeichnete: Das völlige Fehlen von größerem Konflikt, das den Film vorantreibt. Stattdessen dümpelt dann der Film handlungstechnisch, trotz tatsächlich vorhandener Spannungslage einfach nur so vor sich hin. (Der andere Film ist übrigens LaLa Land, und da muss ich wahrscheinlich vor einem gewissen Herrn Leger in Deckung gehen...)
Was den Film dann tatsächlich vor dem Miottelmass bewahrt, sind zweierlei:
Zum einen ist es die einfach vorhandene große musikalische Klasse, und zumindest in den Musikstücken ist das große tragische Potential der jeweiligen Figuren absolut greifbar (nur macht der restliche Film halt zu wenig daraus!), und hier merkt man dann auch, was Lin-Miranda tatsächlich drauf hat.
Und zum anderen ist es die überlebensgroße Inszenierung von Jon M. Chu, der direkt nach seiner seichten aber optisch imposanten Kinokomödie Crazy Rich Asians das nächste Ausrufezeichen setzt. Eine Musicalnummer ist imposanter als die andere, optisch innovativ und schön inszeniert aber immer auch der Story dienlich, retten tatsächlich die Revuenummern den Film immer im richtigen Moment vor dem Schlummermodus.
Und da hat tatsächlich die altbackene Inszenierung von Spielberg was zumindest Dynamik und Verve, sowie die musikalische Nummer angeht, absolut das Nachsehen. Was West Side Story den Heights aber voraus hat, ist nunmal die zu Grunde liegende Story, die mit ihrem vorhandenen Konflikt eben genau in die Kerbe schlägt, die The Heights außen vor läßt.
Was ist nun besser? West Side Story ist das bessere Musical, weil eben zeitloser und mit einer tatsächlich nachvollziehbaeren Handlung, der bessere - weitaus bessere - Film ist jedoch The Heights, weil er eben das Publikum einverleibt und ins Geschehen mit einbezieht, sie die Emotionen ihrer Figuren miterleben lässt und dabei bewusst eher immersiv und kontemplativ sein möchte denn dramatisch.-
8 Punkte und für Musicalfans definitiv eine Empfehlung!