Bewertung: 4.5 / 5
"Als dieses Lied lief, haben wir uns kennengelernt" - viele Kinder hören diesen Satz aus dem Mund ihrer Eltern. Auch Gabriel (Lou Taylor Pucci), für den Musik zeitlebens das Wichtigste war. Doch die Musik war es, die ihn und seinen Vater (J.K. Simmons) auseinanderbrachte. Die Musik soll es jedoch auch sein, die die beiden Männer in dem hoch emotionalen Drama The Music Never Stopped wieder zusammenführt. In seinem Regiedebüt schickt Jim Kohlberg, der bislang nur als Produzent tätig war, sowohl seine Figuren als auch sein Publikum durch ein Wechselbad der Gefühle, das allen Beteiligten eine Menge abverlangt.
20 Jahre ist es her, dass Henry Sawyer seinen Sohn zuletzt sah. Nun sitzt er im Jahr 1986 an dessen Krankenbett, nachdem ihm ein Gehirntumor entfernt wurde und hat es mehr oder weniger mit einem Fremden zu tun: Gabriels Gehirn ist so stark geschädigt, dass er sich an kaum etwas aus seinem Leben erinnern kann. Doch Henry hat nichts vergessen: Der emotionale Kampf, den der zutiefst gekränkte Mann jahrelang innerlich ausfocht, dringt am Krankenbett des Sohnes endlich an die Oberfläche. Die Eiseskälte und Wut, mit der Henry dem verwahrlosten jungen Mann begegnet, löst dank J.K. Simmons' ausdrucksstarkem Mienenspiel und der intensiven Körpersprache echte Betroffenheit beim Publikum aus.
In warmherzig-melancholischen Rückblenden wird über zwei Drittel des Films episodenhaft die gemeinsame Geschichte der beiden Männer, die einst durch die Liebe zur Musik miteinander verbunden waren, erzählt. Der Bruch kommt, als Gabriel sich von den Werten und Idealen seines Vaters abwendet und beginnt, sein eigenes Leben zu leben - zum Soundtrack von The Grateful Dead, Bob Dylan und Steppenwolf anstatt Bing Crosby. Diesem Prozess der gegenseitigen Entfremdung zuzusehen, der von kläglichen Versuchen des Aufeinanderzugehens lediglich in die Länge gezogen wird, tut in der Seele weh - so schonungslos offenbaren die Figuren ihre Ohnmacht, gegen das, was sie sind, anzukämpfen.
Die tiefen Wunden, die ein Jahrzehnte alter Streit hinterließ, sind auch in der Gegenwart nicht verheilt. Nur sehr langsam wird deutlich, wie sich Henrys Zorn in Zuneigung, sogar in Verständnis für seinen Sohn wandelt. Er beginnt, in dessen Welt vorzudringen - und muss erkennen, dass Gabriels Helden auch ihm sehr viel zu geben haben. Ohne rührselig oder pathetisch zu werden, führt Kolberg seine Figuren ganz behutsam wieder aneinander heran und garniert diese Entwicklung mit vielen kleinen, einzigartigen Momenten, die sein Publikum ebenso glücklich machen wie seine Protagonisten.
Dass der Film trotz der geballten Emotionalität, die eine Palette von tieftraurig bis hoffnungslos euphorisch bedient und nicht bodenlos kitschig wird, liegt auch in dem hervorragenden Drehbuch von Gwyn Lurie und Gary Marks begründet. Das weist zwar die eine oder andere kleine, logische Lücke auf, ist aber insgesamt sehr stringent und vielschichtig angelegt. Die Bildgestaltung lässt den Darstellern ebenfalls viel Raum, um sich zu entfalten, begrenzt aber gleichzeitig auch die jeweilige Welt, in der sie sich bewegen, ganz genau. Der wichtigste Nebendarsteller in dieser Geschichte ist der Soundtrack: Er schlägt nicht nur die emotionale Brücke zwischen Vater und Sohn, sondern weckt auch bei dem einen oder anderen Kinogänger Erinnerungen.
The Music Never Stopped bekommt 4,5 von 5 Hüten.
(Quelle: teleschau - der mediendienst | Christina Freko)