Bewertung: 3.5 / 5
"Guten Morgen Berlin, du kannst so (schön) hässlich sein"
Man will den Blick abwenden, doch durch die kindliche Neugier lässt man sich umfangen von den grellen durchdrängenden Lichtern, die einen ins Verderben führen. "Victoria" nimmt kein Blatt vor dem Mund und schildert uns eine dreckige, rauschhafte und undurchdringliche Odyssee durch die Straßen von Berlin; in einer Nacht, in einem 140-minütigen Take. Dabei hätte der Abend für die Protagonisten Victoria ganz anders verlaufen können, wäre sie nach einer nächtlichen Party in einer Diskothek einfach nach Hause gefahren. Doch die Suche nach zwischenmenschlicher Intimität und der Wunsch zur Flucht vor der Einsamkeit sind zu groß, sodass sich Victoria an vier aufspielende junge Männer bindet, die ihr Versagen durch vulgären Humor, Alkohol und Kriminalität zu kompensieren versuchen. Die naive und ebenso trostlose Victoria lässt sich in dieser Spirale mit hinunterziehen, zu deprimierend ist ihr mickriger Stundenlohn und die Einsamkeit beim Zähneputzen.
Trailer zu Victoria
Die Kamera vereint auf faszinierende Art und Weise dokumentarische Elemente mit ästhetischen, künstlerischen und nachdenklichen Elementen. Dabei wendet sich die Kamera nie von dem Geschehen rund um Victoria ab und so müssen sich vor allem die Hauptdarsteller Laia Costa und Frederick Lau die Seele aus dem Leib schauspielern. Sie können sich der abstoßenden oder trostlosen Identität und Entwicklung ihrer Charaktere nicht für eine einzige Sekunde entziehen, sie sind dem Wesen ihrer Rolle gnadenlos unterworfen, ebenso wie der Zuschauer den Bildern gnadenlos unterworfen ist. Der Zuschauer wird gezwungenermaßen zum Voyeur und verschmilzt mit der Kameralinse. Dabei bekommt man jedoch keine Zeit das Gesehene zu verdauen. Nach dieser Tortur schmerzt der Magen daher umso mehr.
Letztlich ist "Victoria" nicht nur ein packendes Drama oder ein spannender Thriller, sondern ein Film, der die deutsche Filmlandschaft revolutioniert und ausnahmsweise (!) mal zeigt, dass auch die Deutschen eine Filmperle erschaffen können. Dankeschön Sebastian Schipper und Sturla Brandth Grøvlen für dieses wunderschöne, hässliche und nachdenkliche Filmerlebnis!