Gerade erst haben wir darüber berichtet, dass Disney-Boss Bob Chapek offen dafür ist, künftig mehr Filme mit einem R-Rating zu entwickeln. Gerade durch die Übernahmen von 20th Century Fox haben sich solche Filme zwar bereits in den Disney-Katalog geschlichen und sind auch über Disney+ verfügbar, doch gezielt von Disney selbst produzierte R-Rating-Filme gibt es kaum.
Das Unternehmen ist seit vielen Jahrzehnten inzwischen für seine familienfreundliche Politik bekannt. Der Aufstieg begann vor 99 Jahren (das große Jubiläum steht kurz bevor!), als Walt Disney die Firma gründete und schon bald mit abendfüllenden Animationsfilmen die Kinos erobern sollte. Filme wie Schneewittchen und die sieben Zwerge, Pinocchio, Dumbo und all die vielen weiten, die anschließend noch Folgen sollten, haben Menschen auf der ganzen Welt bewegt und geprägt. Die Vorgehensweise war dabei für Walt Disney stets klar:
"Ich mache keine Filme nur für Kinder. Ich mache sie für das Kind in jedem von uns, sei es sechs oder sechzig Jahre alt."
Gerade dieses Zitat macht deutlich, warum kürzliche Aussagen des heutigen Disney-CEOs aktuell nicht so gut aufgenommen werden. Im Interview mit dem Wal Street Journal hat Chapek nämlich behauptet, Animationsfilme seien nur etwas für Kinder.
Disney’s ????CEO explaining how animation is strictly for kids: “I always say that when [parents] put their kids to bed at night after watching [an animated film], they’re probably not going to tune into another animated movie. They want something for them." pic.twitter.com/DOH4jYvRM4
— cartoonbrew.com - Animation News (@cartoonbrew) October 26, 2022
Unter anderem sagte er dort: "Ich sage immer, wenn Eltern ihre Kinder nachts ins Bett bringen, nachdem sie sich einen Animationsfilm angesehen haben, werden die Eltern sich wahrscheinlich keinen weiteren Animationsfilm ansehen. Sie wollen etwas, dass für sie ist."
Wir wissen hier gar nicht, wo wir anfangen sollen. Diese Aussage ist in so vielen Punkten einfach falsch. Zumal unweigerlich die Frage aufkommt, wie jemand ausgerechnet CEO von Disney werden kann, wenn er sich scheinbar nicht wirklich in der Welt der Animation auskennt. Studio-Bosse in Hollywood glänzen ja selten mit Filmexpertise, aber das hier ist wirklich besorgniserregend.
Und ja, wir haben diese Disney-News natürlich nicht ohne Grund an den Film Unten am Fluss angehängt, auch bekannt als Watership Down. Ein Film, der für viele traumatische Erlebnisse bei heutigen Erwachsenen gesorgt hat. Denn, genau wie Chapek, dachten früher auch viele Eltern, Zeichentrickfilme sind automatisch Kinderfilme, und setzten ihre Kinder vor dem Fernseher und ließen eben Unten am Fluss laufen. Ein Trauma war geboren!
Wenn wir an einige Kinobesuche zurückdenken, aus diesem Jahr oder den vergangenen, so erinnern wir uns daran, Filme wie Your Name. - Gestern, heute und für immer im Kino gesehen und beim umsehen im Saal festgestellt zu haben, dass das Publikum genauso ist, wie ein Walt Disney es sich schon früher vorgestellt hat, bestehend eben aus buchstäblich allen Altersklassen.
Neben den Filmen, die so ziemlich jedes Alter ansprechen, gibt es aber eben auch die Animationsfilme, die sich eher oder gar explizit an Erwachsene richten, wie eben zum Beispiel Unten am Fluss oder vor allem Werke wie Akira oder Ghost in the Shell.
Und gerade im Serienbereich kamen im Laufe der letzten Jahre immer mehr Animationsserien heraus, die hauptsächlich für erwachsene bestimmt sind. Das brutale Invincible von Amazon als Beispiel, oder Serien wie Family Guy und nicht zu vergessen Rick and Morty. Netflix brachte mit Love, Death + Robots eine viel gelobte Anthologieserie heraus, die definitiv nicht für Kinder gedacht ist.
Wir könnten noch so viele Beispiele nennen und sicher fallen auch euch etliche ein. Doch lassen wir zum Schluss jemanden zu Wort kommen, der über echte Filmexpertise verfügt, Guillermo del Toro:
Guillermo del Toro talks about finally getting to release ‘PINOCCHIO’ in our exclusive red carpet interview.
— DiscussingFilm (@DiscussingFilm) October 18, 2022
“We wanted to show that animation is not a genre for kids, it’s a medium. Animation is film. Animation is art. And it can tell stories that are gorgeous & complex.” pic.twitter.com/UBrXdUZ2iN
Dieser bringt im Dezember seinen neuen Film Guillermo del Toros Pinocchio zu Netflix und war vor einigen Wochen dafür auf einem Event zugegen. Auf dem roten Teppich sagte er etwas, was einfach perfekt hierher passt:
"Wir wollten zeigen, dass Animation kein Genre für Kinder ist, es ist ein Medium. Animation ist Film. Animation ist Kunst. Und es kann Geschichten erzählen, die wunderschön und komplex sind. Die sich handgemacht anfühlen, von Menschen für Menschen."
Sicher, auch die Welt der Animation hat sich im Verlauf der Jahrzehnte gewandelt, gerade im Westen der Welt. Früher, viel früher, mögen sie einst tatsächlich hauptsächlich für Kinder gedacht gewesen sein, doch diese Zeiten sind schon lange vorbei. Aller spätestens seit den 2000ern, als die Kinos gefüllt mit Erwachsenen waren, die sich Shrek oder Ice Age angesehen haben und seitdem auch der japanische Anime weltweit Einzug in die Wohnzimmer und Kinosäle erhalten hat.
Nein, Herr Chapek, Animationsfilme sind definitiv nicht nur für Kinder gedacht. Und gerade der CEO von Disney sollte dies wissen.