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Fortsetzung folgt ... nicht!

"Es war einmal vor langer Zeit ...": Der Absetzkönig Netflix und seine Opfer

"Es war einmal vor langer Zeit ...": Der Absetzkönig Netflix und seine Opfer
10 Kommentare - Sa, 07.05.2022 von Moviejones, A. Seifferth
Trotz massig interessanter Inhalte lässt Netflix die letzten Monate kaum eine Gelegenheit aus, um seine Publikum nicht auch zu verärgern. Es folgt ein augenzwinkernder Kommentar zur Lage.
"Es war einmal vor langer Zeit ...": Der Absetzkönig Netflix und seine Opfer

Ich habe Fieber, mir ist heiß und ich brauche etwas Ruhe. Dann nehme ich mir eben eine kuschelige Decke und schaue bei einem wohligen Heißgetränk bequem auf der Couch meine persönliche Lieblingsserie „canceled“ auf Netflix.

Was zum?! … Die wurde ja abgesetzt? Das kann doch nicht … das ist ein absoluter Skandal! Darüber sollte jemand einen gesalzenen Text verfassen …

Ich nehme mir die Zeit, Netflix aber offensichtlich nicht

Wer hätte gedacht, dass die überaus sportliche Absetzungswut von vielversprechenden Formaten beim Streaming-Unternehmen Netflix einmal selbst zum seriellen Phänomen würde? Mittlerweile kommt man nicht umhin, zu meinen, dass die dafür eingesetzten Abteilungen ebenfalls expandieren wollen. Wären die gestrichenen Formate von Netflix ein Tierversuch, dann wäre es wohl eine Mischung aus Eintagsfliege und Goldfisch:

Das beklagenswerte Wesen vergisst unheimlich schnell, lebt dafür aber nicht lange. Sein Halter fängt prompt wieder mit neuen Experimenten und Versuchsreihen an, weil er emotionaler Bindung sowieso nicht sonderlich viel abgewinnen kann. Diese Definition des Wahnsinns erinnert unfreiwillig an Und täglich grüßt das Murmeltier, nur verfügt dieses reale Szenario über wenig Charme und Witz.

Was wurde eigentlich aus dem neumodischen Mantra der Entschleunigung (engl. „Slow burn“), das uns dieser Tage ebenso in den Ohren liegt wie der Drang nach ständiger Selbstoptimierung und Offenheit gegenüber dem Unbekannten und Neuen? Wo sind die ultraharten Schreibtischtäter von Netflix, wenn es darum geht, diese mittlerweile lebensnotwendigen Konzepte und Bedürfnisse in Serienform zu gießen? Wie, die sind nicht mehr da? Wohin denn? Ach, die wurden abgesetzt, brutalst gemolken, gescholten, verbannt, gecancelt, begraben und in die ewigen Jagdgründe zum Verrotten geschickt?

Wo genau der sagenumwobene Netflix-Friedhof ist, möchtet ihr wissen? Na da muss man schon bei den kampferprobten Frauen von GLOW fragen. Die meinen, dass The OA, Raising Dion, Another Life, Hit & Run, Cowboy Bebop, Daybreak und Co. erst der Anfang waren. Vielleicht ist dazu etwas im verbotenen Archive 81 gemeinsam mit Locke & Key zu entschlüsseln, doch das ist leider nicht mehr zugänglich. Die tüchtigen Mindhunter? Längst in den Ruhestand geschickt. Hach, wie sehr ich mich doch nach einem Rettungsschirm für all die verlorenen Projekte sehne. Wo sind eigentlich die Superhelden von The Umbrella Academy, wenn man sie mal braucht, um den berühmt-berüchtigten Absetzkönig in seine Schranken zu weisen!?

Bei solchen Verwicklungen wird mein Sense8 geweckt und ich würde nur zu gern die Space Force zur Aufklärung des Sachverhalts einberufen, doch auch die finde ich bedauerlicherweise nirgends mehr … Ich denke, dass ihr es kapiert habt, doch um es noch einmal deutlich zu machen: I Am Not Okay with This!

"Locke & Key" Season 2 Trailer 1 (dt.)

"I Am Not Okay With This" Season 1 Trailer 1

Wie so viele Menschen da draußen entwickle ich mich tagtäglich weiter, lerne neue Dinge, höre zu, sehe hin und bin wissbegierig, wie man andere Perspektiven auf bekannte Fragen gewinnen kann. Und selbstverständlich streife ich mein altes Selbst nicht so einfach gleich eines zu klein gewordenen Anzugs ab, wie es diese martialische Streaming-Walze Netflix mit ihren Serien nun beinahe im monatlichen Rhythmus unternimmt.

Anders gesagt: Kann ich nicht ein wenig Kontinuität für meinen Serien-Alltag erwarten, wenn sogar ein wenig flexibler Mensch wie ich es schafft, sich ins Zeug zu legen und einigermaßen zu verbessern? Manche Dinge brauchen eben Zeit, damit sie gedeihen und wirken können. Diese einfache, aber wahre Lebensweisheit wird man doch wohl auch beim Streamen von Serien erwarten dürfen.

Was bin ich froh, dass man beispielsweise bei HBO eine Serie wie The Wire trotz der damals mäßigen Einschaltquoten erfolgreich zu Ende geführt hat! Erst durch diesen unerschütterlichen Glauben konnte ein Stück Kulturgut für die Serienlandschaft geschaffen werden. Natürlich möchte ich nicht sagen, dass jeder Serie eine solche Strahlkraft mit genügend Spieldauer gegönnt wird, doch manche Formate können sich eben erst entfalten, wenn sie die Chance auf eine längerfristige Etablierung erhalten.

Die wendungsreichsten und spannendsten Seriengeschichten kristallisieren sich zumeist erst aus einer umfassenderen Spieldauer und möglichst viel Vertrauen in das Produkt heraus. Dabei sind die Plots eben deutlich mehr als die Summe ihrer Teile und oft braucht es wohl eher den Atem eines Marathon-Läufers als den eines Sprinters. Ans Ziel kommt bei Netflix aber leider oft nur der geübte Hundert-Meter-Sprinter: Ein aalglatter Typ, der dem Ruhm schon bei Startantritt entgegenhechelt, alle anderen verdrängt und sich mit inbrünstig herausgestreckter Brust in die Zielgerade schmeißt.

Des Weiteren ist es wichtig, dass man den Formaten faire Spielzeiten im mitunter hektischen und unübersichtlichen Streaming-Alltag einräumt. Schließlich werden wir heutzutage mit Content überflutet, dass sich die Cinemascope-Balken biegen. Hier ein neuer Film auf Amazon Prime, dort eine neue Apple-Serie und … „Oh, hast du bereits XY gesehen, nein? Die MUSST du auch noch schauen!“ Bei alledem bleibt kaum Zeit, um in den ersten Wochen eines neuen Streaming-Formats einzuschalten, das einen wiederum für eine gewisse Zeit bindet, indem es ganz exklusiv die persönliche Aufmerksamkeit verlangt.

Wie viele grandiose Serien habe ich in den letzten Jahren erst während ihres endgültigen Siegeszugs geschaut oder sogar deutlich später nachgeholt? Da fallen mir spontan Die Simpsons, Die Sopranos, Deadwood, Mad Men, Breaking Bad, Game of Thrones oder auch das eben genannte The Wire ein. So geht es mit Sicherheit vielen anderen Menschen auch, denn so exklusiv ticke ich wahrscheinlich nicht, wie es sich mein inneres Ego manches Mal vielleicht erträumt.

Natürlich möchte ich keinesfalls sagen, dass diese Formate einfach so im Handumdrehen kopiert werden könnten, doch es fällt mit Sicherheit auf, dass die jeweilige erste Staffel noch nicht den Glanz der späteren Episoden verströmte. Manchmal muss sich der Staub einer hektischen Produktion eben erst legen, bevor man den darunter verborgenen Glanz erspähen kann. Wenn man sich diesen zeitlichen Luxus hin und wieder gönnt, kann man auch den nötigen Feinschliff vornehmen und den dafür gebührenden Ruhm einfahren.

Wenn man das aber nicht einmal versucht, dann ist man ewig zum Scheitern verurteilt, obwohl das Potenzial für deutlich mehr als "nett" doch da war. Irgendwie erinnert Netflix mit dieser Herangehensweise erschreckend an Matt Damon in Good Will Hunting, der immer wieder begonnene Dinge abbricht, bevor er überhaupt irgendetwas Großes zustande gebracht hat und sich den Rückhalt in seiner Clique sucht. Und ehrlich gesagt geht es uns wie Ben Affleck in der Rolle von Wills Kumpel Chuckie Sullivan: Wenn das so weitergeht, wollen wir Netflix einfach nur die blöde Visage polieren, damit es von diesem Irrsinn Abstand nimmt!

Bitte nicht falsch verstehen: Natürlich braucht es für einen so gigantischen Streamer wie Netflix hin und wieder auch den Rotstift und die Schere, schließlich dürfen Projekte auch ruhig einmal sterben, wenn sie keine Erfolgschancen mehr aufweisen und/oder keine Besserung des jeweiligen Konzepts in Sicht ist. Erst bei einem Testflug weiß man schließlich, ob das Ding, das man da in mühevoller Kleinstarbeit zusammengeschustert hat, nicht nur schön ausschaut, sondern auch einigermaßen sicher durch die Lüfte gleiten kann. Manchmal entpuppt sich das ganze Projekt im Nachhinein als ein Traum-gewordener Heißluftballon, dem rasch die Puste ausgeht. Turbulente Dreherfahrungen, schlechte Publicity und ein falsch gewählter Veröffentlichungszeitpunkt können darüber hinaus auch die besten Serien zu Fall bringen.

"Cowboy Bebop" Season 1 Trailer 1 (dt.)

Fakt ist aber auch: Viele der Teams hatten nachweislich Lust auf mehr und besaßen eine Maschine, die sich ordentlich aufzumöbeln gelohnt hätte. Oft lag sogar wie im Falle von Cowboy Bebop bereits das Skript für eine Staffel-Fortsetzung vor. Projekte also, die mit etwas Glück zwar zu Beginn noch ein wenig unter dem Radar geflogen wären, um dann nach einiger Zeit richtigen Aufwind zu erhalten. Doch neben dem Rotstift sollte Netflix gern auch mal neue Farben zulassen und sich ein wenig weiterentwickeln, wenn es um die Gestaltung ihrer Serien angeht.

Sollte eine Serie mit offenem Ende wirklich so mir nichts, dir nichts abgesetzt werden oder wäre es nicht besser, wenn man das Ganze irgendwie noch zufriedenstellend auflöst? Ein noch wahnwitzigerer Vorschlag für die Serienwelt: Man arbeitet mit ambivalenten Enden, die eine Story angemessen zuende führen, aber eine Hintertür mit einem weiteren Raum voller Gestaltungsmöglichkeiten offen lassen.

Man darf mit Fug und Recht fragen, ob es wirklich immer der eine große Serien-Hit im Streaming-Zeitalter sein muss. Eigentlich sind Streaming-Projekte mit ihren Abonnement-Services doch genau so konzipiert, dass man, im Gegensatz zum linearen Fernsehen, auf eine möglichst breite Streuung an Inhalten setzen kann und muss. So können unterschiedliche Gruppen von Menschen an Bord kommen und sich ihren eigenen Sitzplatz aussuchen, der ihnen hoffentlich behagt. Kern des Geschäftsmodells war also zu keinem Zeitpunkt, dass man mit einem Projekt allen Leuten die identischen Sitzplätze anbietet, sondern eine gewisse Diversität und Flexibilität des Contents unterstützt.

Es ist natürlich toll, wenn Netflix Leuchtturm-Serien wie Orange Is the New Black, Das Damengambit, Bridgerton oder Squid Game für ein Millionen-Publikum abfeuert, doch die Masse der Menschen bleibt einem am treuesten, wenn man sie langfristig mit weiteren Staffeln einer nischigen Serie bei der Stange hält. Schließlich möchte man auch einfach mal etwas abseits von Hypes und Clickraten für sich ganz alleine sehen und das Gefühl haben, dass das Projekt genau wegen seiner spezifischen Eigenheiten und seines fehlenden Mainstream-Appeals so toll ist. Die Vorstellung ist natürlich eine Illusion, doch hin und wieder tut eine solche Einbildung für den Medienkonsum ganz gut, bei dem per Definition imaginäre Kräfte zugegen sind.

"Bridgerton" Season 2 Trailer 1 (dt.)

Wenn die Preise weiter steigen, der Content stetig ausgedünnt wird und sogar Werbefilmchen zum sowieso schon vorhandenen Product Placement innerhalb der Produktionen zur Party kommen, könnte irgendwann eine Art Dammbruch einsetzen. Der berühmte Sinnspruch "Too Big to Fall" hat schließlich schon ganz andere Schwergewichte der Entertainment-Branche den Stecker gezogen, obwohl man mit einer kundenfreundlicheren Gestaltung dagegen etwas hätte unternehmen können.

Tss, mir ist das aber alles mittlerweile egal, weil es nicht die Dynamik versprüht, die ich mir für mein Leben wünsche. Ich mache nun alles auf die einzig wahre Netflix-Art: Den Erkältungstee sachgemäß zehn Minuten ziehen lassen? Ich bin doch nicht blöd! 180 Sekunden müssen dafür reichen - und das ist bereits großzügig bemessen, schließlich hat das beim Grünen Tee auch zum besten Ergebnis geführt. Mein neuer Algorithmus lässt mich niemals im Stich, auch wenn der Erkältungstee jetzt unheimlich fad schmeckt und trotz seiner Bitterkeit nicht einmal richtig wirkt. Argh, dieses grässliche Fieber bringt mich noch um! Doch wenigstens habe ich mit meiner neuen Taktik massig Zeit gespart. Satte sieben Minuten sind doch eine gute Ausbeute!

Die Devise ist ganz einfach: Wenn das Zirkuspony nicht durch den funkelnden Feuerreifen springt, dann schick ich es eben zum Schlachter und hole mir ein dressiertes Maultier. Das schafft den Sprung zwar auch nicht, doch immerhin ist das eine tolle Show und obendrein hinterlässt es auch keinen blöden Nachwuchs. Denn wie wir wissen, kann man alles in eine wunderbare Formel pressen, die bloß nicht auf die Gründe hin befragt werden soll.

Vielleicht ist irgendwann endlich die Wundermedizin unter den Heißgetränken am Start, das all die dargebotenen Opfergaben in Form wirkungsloser Tees für mein grässliches Fieber rechtfertigt. Also weg in den Abfluss mit dem Gesöff und rasch irgendetwas Neues herangekarrt. Wo das herkommt, gibt es schließlich noch eine ganze Menge mehr auszutesten und ich will mich ungern mit meinen kategorischen Denkfehlern herumärgern. Insgeheim wäre es aber natürlich besser, ich würde den Tee gleich ganz meiden, bevor er mir noch schmeckt oder gar Wirkung zeigt und mir im Nachgang dann womöglich wieder einmal der (Trink-)Stoff ausgeht.

Mal sehen, was ich nun schauen kann, das mich hoffentlich nicht so lange an den hiesigen Dienst knechtet, weil man mich bereits nach allerhöchstens drei, eher wohl aber ein bis zwei Staffeln unbefriedigend mit einem möglichst spannendem, offenem Ende erlöst. Das ist der Weg und siehe da: Er ist unabdingbar gut!

Wo war nun noch einmal diese eine tolle Serie? Ach, ist auch egal, dann schaue ich eben die lustige Werbung mit dem tapsigen, sprechenden Pinguin der meine Kreditkartendaten für eine kleine Finanzspritze möchte. Mittlerweile kann ich mich sogar mit besagten Cliffhangern anfreunden. Kleine Kostprobe gefällig? „Und wenn sie nicht gestorben sind …“

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10 Kommentare
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Ellessarr : : Wundersamer
30.06.2022 08:12 Uhr
0
Dabei seit: 11.01.10 | Posts: 529 | Reviews: 4 | Hüte: 11

Ist Netflix denn wirklich der Absetzkönig? Wenn man die Menge bedenkt sicherlich, aber die haben ja auch etliche Serien, aber wenigstens häufig noch mit einer zweiten oder dritten Staffel. Bei Sky wiederum schafft es fast keine Serie auf 2 Staffeln. Und dann enden die auch noch immer mit fiesen Cliffhangern.

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downset666 : : Moviejones-Fan
07.05.2022 11:44 Uhr
0
Dabei seit: 27.04.16 | Posts: 395 | Reviews: 0 | Hüte: 4

Deshalb freue ich mich auf strange new World. Endlich mal wieder in sich abgeschlossene folgen, wie früher in den Guten alten 80ern.

Ein Colt für alle Fälle, ATeam, airwolf, night rider usw. Da gab es höchstens mal ne Doppelfolge.

#niewiederistjetzt

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TiiN : : Goldkerlchen 2019
07.05.2022 09:26 Uhr
0
Dabei seit: 01.12.13 | Posts: 9.055 | Reviews: 173 | Hüte: 607

Dieses Problem, wenn man es so nennen mag ist in meinen Augen ein bisschen albern.

Seit einigen Jahren werden wir mit Serien (und Filmen) zugesch*ssen. Insbesondere im Serienbereich ist Netflix einer der wichtigen Säulen dieses Prozesses. So wurden über Netflix schon sehr viele bekannte Serien produziert (und oft auch zu Ende geführt).

Dass eine Serie (oder auch eine Filmreihe) eingestellt wird, weil der Erfolg nicht der Kalkulation entspricht das ist betriebswirtschaftlich im Kapitalsmus eine klare Sache. Natürlich fällt sowas weniger auf, wenn man nur einen erlesenen Pool von Produktionen im Angebot hat. Aber wenn man alles mögliche in den Stream bringt um die sehr große Anzahl von Abonnenten bei der Stange zu halten (wir reden hier von über 200 Mio Menschen auf der Welt) dann ist es umso wahrscheinlicher, dass Serien welche nicht mit den Erfolg von anderen mithalten können eingestellt werden.

Auch früher gab es Serien und Filmreihen mit offenen Enden die nie zuende erzählt wurden. So ist nunmal das Leben. Da muss sich auch der Mensch in den 20er Jahren des 21. Jahrhunderts dran gewöhnen. Aber gerade dieser Mensch hat es sich in den letzten Jahren in seinem Wohlstand und mit seiner Verfügbarkeit an Informationen und Unterhaltungsmöglichkeiten doch eine ganze Ecke zu bequem gemacht.


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MJ-AndreSeifferth : : Moviejones-Fan
05.05.2022 01:07 Uhr
0
Dabei seit: 05.01.22 | Posts: 161 | Reviews: 0 | Hüte: 9

@Manisch

Vielen Dank für deine Sichtweise. Mir geht es in erster Linie um besagte Diversität in Bezug auf die Formate. Ich denke, dass ein Streaming-Service gegenüber dem klassischen Quoten-System der Kabelkanäle deutlich demokratischer agieren und funktionieren kann. Bei dieser Masse an Accounts ist es doch eher ein absoluter Glücksfall, dass etwas produziert wird, das nahezu alle Menschen an den Dienst bindet. Warum also nicht den Markt öfter mit nischigeren Serien durchdringen und den verschiedenen Gruppen ihren Platz gönnen? Entschuldige nun, wenn ich es so drastisch sage, doch wenn es bei Netflix einzig und allein um Qualität ginge, hätte ich damit gar kein Problem. Doch wie möchtest du in Anbetracht dieser These die ganzen Bachelor-ähnlichen Dating-Sendungen (Finger Weg!, The Ultimatum: Marry or Move On, Raus aus der Single-Hölle, Liebe Lügt Nicht) sowie die teilweise kruden Doku-Formate und Kochsendungen erklären, die in den letzten Jahren auf dem Portal zunehmend anzutreffen sind? Klar sind die günstig, allerdings sieht man daran, dass es eben nicht nur um eine Zuschauerschaft geht, sondern ganz viele Interessengruppen.

Bezüglich Cowboy Bebop möchte ich sagen, dass ich ebenfalls alles andere als ein Fan der Serie bin. Mir geht es in erster Linie darum, dass man das Format im Vorfeld überhaupt so gepusht hat, um dann nach knapp drei Wochen (!) zu sagen, dass man die Serie ad acta legt. Mir erschließt sich diesbezüglich nicht wirklich der Sinn, außer vielleicht, dass man mal wieder eine neue Sau durchs Dorf treiben konnte, damit etwa Fans des genialen Anime zum Einschalten bewogen werden.

Persönlich glaube ich nicht einmal, dass es möglich ist, die Essenz eines Anime in ein Live-Action-Format zu übertragen. Ich halte es sogar für ziemlich sinnbefreit: Warum etwas einzigartiges verwässern, wenn man auch einfach das Original genießen kann und die hohen Erwartungen gar nicht erst enttäuscht werden. Mir geht es in diesem Zusammenhang einzig und allein um das "wie es gemacht wurde". Warum hat man Cowboy Bebop beispielsweise nicht gleich als limitiertes Serien-Event angekündigt und dann die Reaktionen abgewartet? So wären die Menschen, denen die Umsetzung gefiel, nicht so vor den Kopf gestoßen worden. Und auch wenn das jetzt ein wenig kitschig klingen mag, denke ich auch nicht unbedingt, dass so ein Verhalten sonderlich fair gegenüber dem Produktionsstudio ist.

Natürlich kann man argumentieren, dass dadurch auch für das Studio schnell wieder Kapazitäten für die Zukunft frei geworden sind und sich die Frage des "Geht es weiter?" gar nicht mehr stellt, allerdings hatten die Kreativen auch mit einer längerfristigen Angelegenheit geplant und dachten bestimmt nicht, dass die Entscheidung nach so kurzer Zeit fällt. Wir müssen eben sehen, dass manche Serien auch ein wenig Mund-Propaganda brauchen und nicht immer auf Anhieb in die Top10 schießen.

Ich wünsche mir einfach, dass man auch mal etwas investiert, um ein Serien-Highlight zu präsentieren: Sowohl in Bezug auf die Zeit, die man den Serien gönnt, als auch beim Thema Ressourcen-Management und Zielgruppe. Cowboy Bebop war doch ein ziemlich Nischen-Projekt, das Anime-Fans abgöttisch lieben und beim Rest der Welt einfach nur für Schulterzucken sorgt. Wenn man nun die Fans mit einer vagen Umsetzung ihrer Held:innen zu locken versucht, dann kann das nur nach hinten losgehen. Demgegenüber war die Inszenierung doch schon ziemlich gewöhnungsbedürftig, damit auch Otto-Normal-Zuschauer einen längeren Blick riskieren und sich vielleicht sogar vom Geschehen mitreißen lassen. Mit welchen Zahlen hat man dabei also gerechnet, damit die Serie als Erfolg verbucht wird und eine Fortsetzung in Form einer zweiten Staffel erhält? Meine böse Vermutung ist, dass man einfach nur Augenwischerei mit einem weiteren mehr oder minder bekannten Franchise betreiben wollte, das billig ergattert wurde. Die mögliche Fortführung des Formats war dabei weniger von Belang.

Cowboy Bebop steht für mich geradezu symptomatisch für den sinnbefreiten Umgang mit Serien und zeigt, dass man bei Netflix keinerlei Gespür und Zukunftsinteresse für die jeweiligen Formate besitzt. Ich denke, dass Netflix als Service deutlich mehr leisten könnte, wenn man besonnener bei der Vorauswahl agieren würde und nicht alles in Richtung Mainstream-Versoftung pushen drängt.

MJ-Pat
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luhp92 : : BOTman Begins
04.05.2022 20:36 Uhr
0
Dabei seit: 16.11.11 | Posts: 17.406 | Reviews: 180 | Hüte: 635

@Lehtis
Wenn "The Crown" und "Stranger Things" enden, könnte es für Netflix echt übel werden. Gerade "Stranger Things" dürfte eines der Hauptstandbeine des Streamingdienstes sein und wenn das wegfällt, könnte das einen größeren Abonnentenabfall zur Folge haben. Daher vermute ich aktuell, dass Netflix die Marke durch Spin-Offs, Prequels oder Sequels am Laufen halten wird, damit die Leute bei der Stange bleiben.

@uzuchino
Was ist mit Branchen der Elektrogeräte, Chemieindustrie, Autoindustrie? Oder Filmindustire, wenn wir hier schon beim Thema sind? Da existieren diverse Unternehmen schon seit zig Jahrzehnten bis zu (über) 100 Jahren. Ich bin mir nicht sicher, ob die Behauptung zutrifft.

"Dit is einfach kleinlich, weeste? Kleinjeld macht kleinlich, Alter. Dieset Rechnen und Feilschen und Anjebote lesen, Flaschenpfand, weeste? Dit schlägt dir einfach auf de Seele."

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uzuchino : : Moviejones-Fan
04.05.2022 15:18 Uhr
0
Dabei seit: 19.12.11 | Posts: 107 | Reviews: 24 | Hüte: 4

Zitat von @Lethis: Langfristig wird Netflix wohl untergehen.

Jeff Bezos sagte letztens ähnliches über Amazon und das die meisten Unternehmen, außer Brauereien nach rund 30 Jahren Geschichte sind.

Laut Wikipedia wurde Netflix 1997 gegründet und hat somit noch 5 Jahre sich selbst zu enthaupten.

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Mindsplitting : : Moviejones-Fan
04.05.2022 12:49 Uhr
0
Dabei seit: 18.12.14 | Posts: 1.042 | Reviews: 0 | Hüte: 49

Geht mir wie Lethis, Sobald eine Serie "Mady by Netflix" ist, überlege ich mir 3 mal ob ich sie überhaupt anfangen will.

So geht es mir aber erst seit kurzem, also ein paar Monaten. Die bereits angefangenen guck ich natürlich weiter, und bei etwas das zu 100% meinen Nerv trifft werd ich auch sicher nicht weg gucken. Aber meine "Expermentierfreude" hat deutlich nachgelassen.

Aktuell überlege ich sogar, Netflix zu kündigen. Aber am Ende ist das Angebot doch noch recht überzeugend. Viele Filme, auch noch eniges an "Bestandsserien" die ich noch nicht gesehen habe.

Mal gucken wie sich der Streamingmarkt noch so entwickelt. Einen vierten Dienst wird es bei mir sicher nicht geben, dann muss einer wegfallen.

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Lehtis : : Bowser
04.05.2022 10:34 Uhr | Editiert am 04.05.2022 - 10:38 Uhr
1
Dabei seit: 24.08.11 | Posts: 1.787 | Reviews: 6 | Hüte: 69

Sehr schön geschriebener Artikel.

Bei mir hat der Absetzungswahn von Netflix auch dazu geführt, dass Netflix immer uninteressanter wurde. Neue Original Netflix Serien gucke ich meist erst gar nicht, weil ich damit rechne, dass sie eh abgesetzt werden. Und ich hab kein Bock eine Serie zu beginnen und dann mit nach einer Staffel stehen gelassen zu werden mit lauter offenen Geschichten.

Aktuell fallen mir eigentlich auch nur 3 Serien ein die noch laufen und auf die ich mich echt freue wenn eine neue Staffel kommt:

  • The Witcher - Eine fantastische Serie und Henry Cavill spielt den Hexer einfach so verdammt gut. Aber auch Rittersporn hat mich mit seinen Songs jedes Mal begeistert. Ich hoffe die Geschichte wird fertig erzählt und man setzt ihn nicht irgendwann ab.
  • The Crown - Eigentlich fand ich das Britische Königshaus immer total uninteressant, aber diese Serie hat mich hier überzeugt. Ich freu mich riesig auf die neue Staffel und gehe mal davon aus, dass zu mindestens noch eine weitere Staffel kommen wird bis wir im Jetzt sind.
  • Stranger Things - Anders als viele anderen fand ich derzeit alle Staffel sehr gut und ich freue mich auf das Finale. Schön, dass Netflix hier die Serie nicht abgesetzt hat.

Ansonten bleiben nur mehr die eingekauften Formate wie "Better Call Saul". Aber das ist ja auch keine Errungenschaft von Netflix. Auch wenn sie mit dem Label "Netflix Original" gerne so tun als ob.

Langfristig sehe ich bei Netflix nichts was groß Nachkommt. Das Konzept einfach jeden Mist direkt umzusetzen, aber dann alles nach einer Staffel abzuwürgen, hat hier meiner Meinung nach viel Schaden angerichtet. Langfristig wird Netflix wohl untergehen.

@Manisch Dem stimme ich nicht zu. Natürlich ist ein schlechtes Ende besser als gar kein Ende. Auch wenn GOT Staffel 8 sehr schwach ist, wäre es viel schlimmer, hätte man einfach bei Staffel 7 aufgehört und alles offen gelassen.

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Manisch : : Moviejones-Fan
04.05.2022 08:31 Uhr
0
Dabei seit: 19.10.18 | Posts: 1.375 | Reviews: 27 | Hüte: 62

Ich weiß nicht, ob das nicht auch ein großes Stück weit aufregen um des Aufregens willen ist.

Zum einen werden viele unterschiedliche Serien in einen Topf geworfen, um ein Argument zu machen. Dass manche der Serien aber auch einfach mittelmäßig waren und die Absetzung durchaus berechtigt, fällt dabei unter den Tisch. Ich schiele dabei beispielsweise auf Cowboy Bebop. (Und klar findet sich selbst bei Rudebox von Robbie Williams immer jemand, der sagt "Also so schlecht fand ICH es nicht". Aber ist halt anekdotische Evidenz.)

Zum anderen werden Serien, die ein Ende finden, nicht immer besser aufgenommen. Prominentestes Beispiel ist da Game of Thrones, wo sich manche wünschen, sie hätten bei Staffel ~6 aufgehört.

Generell haben wir oft das Phänomen, dass Serien nur bis maximal Staffel 4 gehyped werden, und dann schnell die Stimmen laut werden, die sagen "So gut wie früher ist es längst nicht mehr".

Die große Frage ist also:
Ist ein schlechtes Ende befriedigender als ein Cliffhanger?
Oder trägt ein Cliffhanger nicht zu einer Verklärung bei, die eine Serie in unserem Kopf besser macht, als sie eigentlich ist?

Gut, das Ideal wäre natürlich ein gutes Ende ohne Cliffhanger. Das scheint aber schwerer zu sein, als man es eingesehen möchte.

Die andere große Frage ist, ob man bei Netflix nicht trotzdem mehr tun könnte, um die Qualität zu sichern. Bei Game of Thrones gab es die legendären Geschichten rund um die Pilot-Folge, die so abgrundtief schlecht gewesen sein soll...gut, dass ihnen das aufgefallen ist und sie sich die Zeit genommen haben, das zu fixen. Diese Korrektur-Schleifen scheint es bei Netflix in der Form nicht zu geben, oder sie sind nicht wirklich effizient...?

AfD-Verbot (:

MJ-Pat
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Raven13 : : Desert Ranger
04.05.2022 07:15 Uhr
0
Dabei seit: 13.02.16 | Posts: 7.237 | Reviews: 108 | Hüte: 642

Die Netflix-Chefs sind halt dumm, wie sie immer wieder unter Beweis stellen. Stellen Serien frühzeitig ein, um drei neue Serien zu produzieren, von denen auch wieder mindestens eine frühzeitig eingestellt wird. Und so weiter...

Ich schaue mir daher die meisten Serien, insbesondere bei Netflix, erst an, wenn sie komplett beendet sind. Sollten sie vorher abgebrochen werden, schmeiße ich sie aus meiner Watchlist. Ausnahmen mache ich nur bei z. B. den neuen Marvel- und Star Wars-Serien von Disney oder Die Ringe der Macht.

Ein Zauberer kommt nie zu spät. Ebenso wenig zu früh. Er trifft genau dann ein, wenn er es beabsichtigt.

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