Bewertung: 4.5 / 5
Jahrelang hat Marvel auf dieses eine Großereignis akribisch hingearbeitet, nichts dem Zufall überlassen, alle Erwartungshaltungen ins Unermessliche gesteigert, Stück für Stück das Filmuniversum düsterer gemacht, aber derart, dass es den meisten eigentlich kaum aufgefallen ist: So waren die letzten beiden Captain America Filme schon vergleichsweise düster, Avengers 2 vergriff sich tonal, wollte aber auch düster sein, Guardians of the Galaxy 2 war sogar fast schon auf den Spuren der alten griechischen Tragödien unterwegs, und Thor 3 hat im Prinzip den Vogel abgeschossen, denn unter dem Deckmantel der Action-Sci-Fi-Kalauer-Orgie hatten wir am Ende einen Protagonisten, der soeben fast alles verloren hatte. Natürlich wurde all das schön fluffig verpackt, denn im MCU hat "ja niemals irgendwas seine Konsequenzen".
Soweit so vorhersehbar: Thanos ist auf der Schnitzeljagd nach den Infinity Steinen, um Allmächtig zu werden, denn dann kann er sein erklärtes Ziel verwirklichen: Die Rettung des Universums. Die Sache hat nur einen Haken: Dies erfordert nach Thanos - ganz im Geiste aller möglichen Megalomaniac-Superbösewichter - jedoch die Auslöschung des halben Universums. Unsere Helden - eigentlich alle Helden aus den MCU-Filmen, bis auf 2-3 Ausnahmen - stemmen sich ihm mit all ihrer Macht entgegen.
Trailer zu Avengers - Infinity War
Was nach Action-Bombast klingt, ist es auch. Aber der Film hat unglaublicherweise selbst in diesem epischen Ausmass noch die Musse, sich die Zeit für die kleinen Diunge im Leben zu nehmen, nämlich die Charakterisierung seiner Figuren.
So nimmt sich Infinity War tatsächlich die Zeit, gefühlt allen 40 Hauptfiguren ihren Moment zu gönnen, so dass es einfach alles greifbar wird, die liebgewonnenen Figuren in all ihrer Tragik wahrzunehmen. Beispielsweise der Sonnyboy Thor wird genau all das präsentiert, der er ist, und es wird ganz klar, dass der Sonnyboy eigentlich nur noch aufgesetzt ist. So wird die zarte Liebesgeschichte zwischen Vision und Scarlet Witch herzzerreissend inszeniert, und selbst Hulk und Black Widows Beziehung wird nicht unter den Teppich gekehrt.
Im Grunde genommen wird eine große Story mit viel Krach und Wumms über Opferbereitschaft, Liebe, Zusammenhalt, Verrat und eben das Ende des halben Universums kompakt verpackt erzählt. Die Darsteller liefern ab, das CGI liefert ab, die Umsetzung liefert sowieso ab. Und gewissermassen kommt das MCU nach einer gefühlten Ewigkeit trotz locker fluffig da an, wo das DCU anfangen wollte und wegen den Machthabern bei WB nicht durfte, nur halt auf unnachahmliche MCU Art - unmerklich ins Düstere gleitend, um dann dem Zuschauer, der sich noch nie mit der Sache beschäftigt hatte, den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Wow. 10 Punkte - sprich 5 MJ-Hüte.
Aber mal langsam, ganz sachte, eins nach dem anderen:
Ursprünglich als Infinity War - Part 1 angekündigt, ist ganz klar, dass dieser Film eine Fortsetzung haben wird. Und das wurde - selbst nachdem die Titel von Avengers 3 und 4 mittlerweile anders lauten - auch immer so vermarktet, Teil 4 ist die Fortsetzung von Teil 3, auch wenn Teil 3 nun deutlich abgeschlossener ist als ursprünglich geplant.
Insofern ist im Prinzip von vornherein klar, wie ungefähr der dritte Teil enden muss, damit unsere Helden im vierten Teil dann zurück schlagen und doch noch gewinnen können. Es ist immer am Dunkelsten bevor es hell wird. Jeder der Superheldencomics gelesen hat, weiss wie die Grundstory eines astreinen Gruppenheftchens abläuft: Erste Hälfte bekommen die Helden auf die Fresse und sind ganz unten, zweite Hälfte berappeln sie sich und gewinnen doch noch irgendwie die Oberhand. Nicht umsonst ist die beliebteste Avengers Story aller Zeiten bei den Lesern der Klassiker "Under Siege" - hier werden die Avengers wochen- und monatelang von einer Gruppe von Superschurken überwacht, bis man im richtigen Moment die Avengers getrennt voneinander in einer konzertierten Aktion überrumpelt und besiegt, ja sogar einige fast tötet. Erst als es am Düstersten wirkt, können die Averngers noch den Sieg davon tragen - nicht ohne dabei aber bleibende Narben davon zu tragen.
Man kann Infinity War daher keinen Vorwurf machen, dass er die erste Hälfte dieser Jahrzehntealten Formel bravourös meistert. Ehrlich gesagt ist es deutlich einfacher, die Helden in die Hölle zu schicken, als sie dann genauso elegant wieder da raus zu holen.
Aber im Gegensatz zu einem einzelnen Film, der dann auch manchmal unter so einer Last implodieren kann (Ich sage nur X-Men Teil 3 (beide dritten Teile), Justice League, Wolverine Teil 2 etc.), hat hier Infinity War den Vorteil, eine epische Laufzeit über eine epische Laufzeit verteilen zu können, und so als Film für sich alleine stehen zu können, da er ja tatsächlich auch ein Ende hat.
Und sollte wider Erwarten die Fortsetzung zu einem Rohrkrepierer werden, wovon nicht wirklich jemand ausgeht, kann der Film dennoch auf eigenen Beinen stehen bleiben. Ganz ähnlich der von mir ungeliebten Star Wars Reihe, diesmal hacke ich mal auf der Originaltrilogie rum, wenn es genehm ist: Empire Strikes Back ist auch ganz klar auf der düsteren Note endend und in Richtung Fortsetzung schielend, und dann kommt mit Return of the Jedi ein Film, der total in Richtung alberner Kinderfilm mutiert (Ewoks), die Tragödie des zweiten Teils negiert (Han), Darth Vader zu einem absoluten Wischiwaschilappen degradiert (jaja ich weiss, er wird zu einer zutiefst tragischen arm(selig)en Figur mit viel mehr Tiefe). Dennoch ändert das ja nichts an der Qualität - zumindest der wahrgenommenen - von Empire Strikes Back und auch nicht daran, dass Darth Vader zumindest in Teil 1 und 2 immer noch furchterregend ist.
Und genauso dürfte es mit Infinity War sein:
Infinity War ist schlicht The Empire Strikes Back der Generation MCU: Er ist zweifelsfrei ein MCU Film, betritt aber trotz aller Vorhersehbarkeit mit seinen frühen Opfern immer düsterere Pfade, bleibt dennoch immer irgendwie überraschend und verblüfft mit einem wirklich grandiosen Finale, das den Mund wässrig macht für weitere Filme. Er bricht zu keinem Zeitpunkt unter dem ganzen Druck, der über die ganzen Jahre aufgebaut wurde, zusammen. Im Gegenteil!
Schwer zu beurteilen ist er dennoch, denn er ist aus heutiger Sicht betrachtet schon besser als der erste Avengers, aber seitdem hat sich die Superheldenlandschaft ja deutlich weiter entwickelt, und selbst wenn der Film gerade im Moment das Mass aller Dinge darstellen dürfte im Superhelden-Blockbusterbereich so ist für mich zumindest anzunehmen, dass da noch Steigerungsmöglichkeiten vorhanden sind (Secret Wars als Beispiel).
Wenn nach der Qualität alleine betrachtet, hat er das Nachsehen gegenüber Watchmen (Ultimate Cut) oder Dark Knight, aber als 4 Quadranten Film eröffnet er ganz neue Perspektiven.
Schwer zu beurteilen, ich gebe mal 9 Punkte - oder 4,5 Hüte!