Bewertung: 5 / 5
In den ersten 10 Minuten kackt ein Elefant auf zwei Männer und eine Frau uriniert auf einen anderen Mann. Und der Film geht unaufhörlich so weiter. Wer nach den ersten zehn Minuten keinen Spass an diesem Film hat, wird es auch nach den folgenden mehr als 3 Stunden ganz sicher auch nicht mehr haben. Chazelle macht von Anfang an klar, dass man sich diesen Film erstmal hart erarbeiten muss, erstmal diesen ganzen Pomp und optischen Overkill durchstehen muss, um dann schließlich auch eine Geschichte zu sehen und verstehen und auch würdigen zu können. Dabei legt er ein einerseits extrem hohes Tempo vor, sowohl visuell als auch musikalisch - wen wunderts. Andererseits liefert er eine eigene Version des Klassikers der Hollywoodhommages ab, der sich A Star is Born, Singing in the Rain oder The Artist schimpft, nur dass er eben doch viel mehr als das abliefert. Er dreht sein ganz eigenes "Once Upon a Time in Hollywood" - tatsächlich sogar mit den beiden gleichen Hauptdarstellern (Brad Pitt und Margot Robbie), nur Leonardo Di Caprio wird durch jemand anderen ersetzt, und das ist in diesem Fall auch gut so. Dabei liefert er ein mindestens genauso detailliertes Puzzle ab wie Tarantino dereinst mit seiner 60s Hommage, nur dass er eben nicht geschwätzig wird und die Figuren eben nicht alle immer gleich klingen läßt, so dass man nach zwei Minuten gleich weiss, wer der Autor ist (ein Merkmal jedes Tarantino Filmes), sondern die Dialoge tatsächlich so gestaltet, dass sie organisch auch immer zu den jeweiligen Figuren passen und sie tatsächlich irgendwie natürlicher erscheinen lässt.
Der Film ist rauschahft, er ist tiefsinbnig, er ist hintersinnig und er ist bitterböse und zutiefst komisch zugleich. Er ist episch, er ist irgendwie ein Zeitzeugnis, er bewertet nicht sondern dokumentiert. Er lässt seine Figuren zu den jeweiligen Kommentatoren der jeweilig diskussionswürdigen Entwicklungen werden und so die moralische Fragestellung jeweils in den Raum scheinen. Wenn beispielsweise ein dunkelhäutiger tatsächlich "blackfaced" wird, dann wird das einerseits recht nüchtern und effizient dargestellt, aber gleichzeitig die zutiefst rassistische Implikation des Ganzen auch sehr deutlich aufgezeigt, auch musikalisch enorm wütend vorgetragen. Und das ist nmur eine Szene von vielen, wo die Musik das geschehen einfach vorwärts drängt, immer weiter immer höher, fast sogar immer schneller.
Trailer zu Babylon - Rausch der Ekstase
Der Film hat kaum Fett auf den Rippen und ist fast schon ein "amerikanischer Roman" und immer in Bewegung, man mag fast meinen episch und monumental. Die Darsteller sind allesamt super besetzt, und es gibt keine Fehlbesetzung, selbst ein extrem unbehaglicher Tobey MacGuire, eine der ekligsten Filmfiguren der letzten Jahre, ist top besetzt.
Während sich aber ein "Once upon a Time." beim Publikum anbiedert und irgendwie zu einem Wohlfühlfilm wird, geht Babylon eben nicht diesen Weg, er geht konsequent eben genau den einen Schritt weiter als nötig, und zwar immer. Wenn am Anfang zu ausgiebig gezeigt wird, wie der Elefant seine Notdurft verrichtet, mag das erstmal übertrieben sein, aber wenn dann gefühlt zu lange ein Türspalt gezeigt wird und eine weiße Wand, wo doch jeder weiß, was gleich passiert, und der Film das eben auch über Gebühr in die Länge zieht, dann hat das fast schon Leone Qualitäten (Es war einmal im Wilden Westen ;- ) ).
Das "Grundproblem" von Babylon ist, dass er von seinem Publikum einiges abverlangt und ihn nicht betütelt und berieselt, und er eben auch nicht die persönlichen Vorlieben und Meinungen des Autors oder Regisseurs instrumentalisiert (ich sage nur beispielhaft Bruce Lee), einzig das dauernde Thema Chazelles, die Musik, wird hier enorm wuchtig in den Vordergrund gebracht, was auch im Rahmen der Story sogar tatsächlich angebracht und willkommen ist. Und im Gegensatz zu Lala Land funktioniert es hier für mich tatsächlich sogar richtig gut. Das passt hier wie Faust aufs Auge.
Chazelle hat ja in der Vergangenheit schon gezeigt, was er drauf hat, alle seine Filme vorher waren zumindest gut bis großartig und Kritikerlieblinge, da hat er sich seine Carte Blanche wohl schon erarbeitet. Und er nutzt diese Carte Blanche rigoros ab, wenn schon Carte Blanche, dann kann man auch alles auf eine Karte setzen, wer weiss, ob man diese Gelegenheit jemals wieder bekommen wird. Und genau das macht er, er wütet rigoros durch die Roaring Twenties und lässt es in den 30ern komplett kulminieren. Er lässt dabei einerseits Filmgeschichte auferstehen, andererseits die jeweiligen Jahre auch Pate für die jeweiligen Entwicklungen sethen, so kommt es ja auch nicht von ungefähr, dass die 30er fast zu einem Abstieg (höhö) ins Gangstergenre erscheinen.
Der Film ist durchdacht, hat eine oder mehrer Agenden, die er allesamt erfüllt, jede Filmfigur ist irgendwie an eine historische Filmfiguir angelehnt, nur dass es eben schwieriger ist, das alles zusammen zu bringen, wenn die Figuren seit 100 Jahren nicht mehr da sind, im Gegensatz zu den 60s wo noch einige leben.
Aber selbst wenn das alles nicht vorhanden wäre, alleine durch seinen Verve, seine Nervosität, seine Anspannung und bis zum Bersten vollen Pomp, wäre er immer noch ein Erlebnis, was geradezu danach schreit auf der größtmöglichen Leinwand zu erleben. Und wenn er zum Schluss auch tatsächlich den Kreis zum Heute schließt, dann weiss man, dass das ganz ganz großes Kino ist.
Und im Gegensatz zu vielen anderen Filmen, wo ein Regisseur mit seiner Carte Blanche all in geht und das Publikum entweder vor den Kopf stösst und konsterniert zurück lässt, oder im schlimmsten Fall voller Verachtung für das vorliegende Werk, in diesem speziellen Fall war ich mir persönlich bewusst, dass ich nicht immer mit den künstlerischen Entscheidungen übereingestimmt hätte (zB der Abstieg in die Hölle, Seher werden wissen was ich meine), sie aber den Film als Ganzes definieren und eben zu diesem runden großen Moloch von seltenem Glücksfall gemacht haben.
Grundsätzlich bin ich nicht der größte Fan von Chazelle, aber hier hat er ein absolut überragendes Meisterwerk für ein erwachsenes Publikum gedreht, das sowohl Hollywood seziert als auch zelebriert, die Mechanismen aufzeit, wie sie heute immer noch gelebt sein dürften, und er ist ungemein kritisch wenn es sein muss. Dass der Film kein Erfolg sein würde, damit wäre spätestens mit den ersten beiden eingangs genannten Sequenzen zu rechnen gewesen, und er wird das auch gewusst haben müssen, denn der Film kriecht niemandem irgendwo rein.
Tatsächlich gäbe es so viel mehr zu diesem Monstrum von Film zu schreiben, außer dass er der größere, fettere, gemeinere Bruder von tarntinos Werk ist, aber letztendlich kann man es auch nur so umschreiben:
Das bessere Once Upon a Time in Hollywood.
und dennoch: ich würde ihn nicht jedem empfehelen können, zu "unorthodox" ;-)
10 Punkte