Bewertung: 4 / 5
Am Sonntag im Kino gesehen.
Im Prinzip handelt es sich bei "Jaws" um eine in die Neuzeit verlegte "Moby Dick"-Erzählung. Quint ist analog zu Ahab geradezu besessen von Haien im Allgemeinen und später dann von dem einen Weißen Hai im Speziellen, in abgeschwächter und gesunder Form lässt sich das zudem noch anhand von Hoopers Liebe für Haie beobachten. In beiden Fällen geht die Beziehung zu Haien wie bei Ahab und dem Wal zurück auf traumatische Ereignisse in der Vergangenheit. Quint war 1945 als Marinesoldat auf dem Kriegsschiff USS Indianapolis stationiert, welches Material für den erste Atombombe transportierte und danach von einem japanischen U-Boot versenkt wurde. 1100 Mann mussten vier Tage lang im Wasser überleben und waren ständigen Haiattacken ausgesetzt, am Ende überlebten nur 300 der Männer. Hooper hatte als Kind beim Angeln auf dem Meer einen Tigerhai am Haken, der im Folgenden sein Boot zerstörte, sodass Hooper sich schwimmend an Land retten musste.
Im Bezug auf die Weltkriegs-Veteranenschaft erstellt "Jaws" als Film der 70er Jahre ein direktes Abbild dieser Gesellschaftsgruppe, was sich aus heutiger Sicht als großer Vorteil entpuppt, weil der psychologische Konflikt zwischen den drei Männern auf dem Boot dadurch ein größeres Gewicht erlangt. Quint und Hooper prahlen mit ihren durch Meerestierangriffe verursachten Narben so als seien es Kriegsnarben; und das, obwohl Hooper selbst nur ein Jüngling ist, der den Krieg nie aktiv miterlebt hat. Ein unterbewusster Schwanzvergleich. Brody wirft währenddessen einen Blick auf seine Schussnarbe am Bauch, ist aber zu verschämt, um sie Quint und Hooper zu offenbaren, oder er hält diese Narbenprahlerei für albern und steht über diesem Machogetue.
Der Hai fungiert als Ausdrucksmittel und Katalysator menschlicher und maskuliner Hybris, darüberhinaus treibt er den Konflikt innerhalb der Alphamännchen- und Autöritätsstrukturen auf dem Boot an. Quint, Hooper und Brody fahren mit dem Selbstverständnis auf das Meer hinaus, dass der Hai eine Bedrohung für die Menschheit darstellt und in jedem Fall getötet werden muss. Jeder der drei Männer hat Autoritätspositionen inne - Brody ist Polizeichef, Quint ist ein erfahrener, raubeiniger Haijäger, Hooper ist Ozeanologe - aus deren Anspruch heraus sie regelmäßig und heftig aneinandergeraten. So entbrennt zum Beispiel ein Streit wegen der Frage, wer welche Aufgaben übernimmt. Quint und Hooper streiten sich darüber, wer von beiden über die Befehlsgewalt über die Jagdmethodik und den Job des Jägers verfügt. Hooper verliert, darf stattdessen zwar die ebenso ehrbare Arbeit des Bootsfahrers ausüben, als solcher er allerdings dem Jäger Quint unterstellt ist. Sich Befehle geben zu lassen, stört Hooper sichtlich. Brody muss sich derweil mit der niederen, ekligen Arbeit des Köderers zufriedengeben und beschwert sich vergebens, warum ihn Hooper nicht wenigstens einmal ablöst. Ansonsten entbrennt zwischen Hooper und Quint noch ein Streit zwischen dem Städtisch-Akademischen und Ländlich-Praktischen sowie zwischen altbewährt-traditioneller und neuartiger Jagdtechnik.
Im Gegensatz zu Quint und Hooper zeichnet sich Brody allerdings oft durch Ausgewogenheit und Rationalität aus. Zum Bootsuntergang führt letztendlich auch nicht der Angriff durch den Hai, sondern die Überbelastung des Bootes durch Quints Aktionen und Quints stetiges Ignorieren von Brodys Anmerkungen, dass man für so einen Hai ein größeres Boot benötige. Des Weiteren wird der Hai weder durch Quints traditionelle noch durch Hoopers neuartige Methoden getötet, sondern durch Brodys Improvisationstalent, der beide Methoden miteinander kombiniert. Mit Hilfe eines Karabiners bringt er eine Druckluftflasche im Maul des Hais zur Explosion. Eine Zusammenarbeit der widerstreitenden Positionen Quints und Hoopers führt also schließlich zum Erfolg und Brodys Charakterzüge qualifizieren ihn zum Heldendasein und Monstertöter. Währenddessen bezahlt Quint aufgrund seiner Selbstüberschätzung und seines starken Autoritätsverhaltens mit dem Tod und Hooper mit ähnlicher, jedoch schwächer ausgeprägten Veranlagung mit einer Nahtoderfahrung.
Auch wenn man "Jaws" eine Haidämonisierung und Realitätsverzerrung nicht absprechen kann, gibt sich der Film doch Mühe, den Hai nicht als Aggressor im ursprünglichen Sinn darzustellen. Der Hai agiert nur seinen Fressinstinkten innerhalb seines Jagdterritoriums entsprechend. Die Angriffe und Tötungen geschehen nur, weil die Touristen und Haijäger in das Territorium des Hais eindringen und weil die Verwaltung und Tourismusbranche die wirtschaftlich-kulturelle Notwendigkeit des Tourismus über das Wohl der Menschen stellen.
Ansonsten wurde "Jaws", wie man es schon zigmal gelesen hat, genial in Szene gesetzt, zu nennen sind da Kameraarbeit, Schnitt, Musik, Hai- und Horroreffekte. Im Kino auch nochmal beeindruckender. Im Folgenden ein Highlight, welches ich nicht mehr in Erinnerung hatte: Der Vertigo-Shot, der Brodys Gefühlslage als Momentaufnahme perfekt visualisiert, als er nach dem ersten Tod am Strand Wache hält und dann der Junge vom Hai attackiert wird.
8 - 8,5 von 10 Punkten