Bewertung: 4.5 / 5
Ein unbekannter alter Mann im Anzug spricht einen scheinbar in Problemen steckenden, jungen Mann vor einem Café an. Er offeriert, eine Tasse Kaffee und eine Zigarette zu spendieren. Beim Gespräch zwischen den beiden stellt sich heraus, dass John (John C. Reilly) in Geldnot ist. Der mysteriöse Fremde bietet ihm seine Hilfe an, ohne eine konkrete Gegenleistung zu verlangen. Nach anfänglichem Zögern geht John auf das Angebot ein.
Das ist der Auftakt zum Film "Hard Eight" und der Beginn der erfolgreichen Karriere im Filmgeschäft für Drehbuchautor und Regisseur Paul Thomas Anderson. Sein Erstling von 1996, auch bekannt unter den Titeln Last exit reno oder Sydney, ist nicht nur im deutschen Raum relativ unbekannt und eher schwierig zu nicht überhöhten Preisen mit deutscher Tonspur auf DVD zu finden, sondern wurde auch in den USA übersehen. Aufgrund der geringen Aufmerksamkeit, die der Film erhielt, wurde bereits im Jahr danach Andersons zweiter Film "Boogie Nights" fertiggestellt. Die Independent-Billigproduktion kann man trotz der heutigen Popularität ihres Machers durchaus als kleinen Geheimtipp bezeichnen.
Den Plot weiter zu beschreiben, wäre hier eher weniger dienlich. Es ist kein konventioneller Thriller, sondern vielmehr eine fesselnde Charakterstudie, die durch eine lose Handlung gekennzeichnet ist und sich dafür umso detaillierter mit den Figuren befasst.
Der Fokus liegt dabei auf Sydney, dem fremden, alten Gentleman, der herausragend von Philip Baker Hall verkörpert wird. Er ist ein sehr erfahrener, ruhiger, aber offensichtlich auch etwas verbitterter Mensch, dessen Motivation bis spät in den Film unklar bleibt. Es ist eine starke, reservierte Performance.
Doch der anfangs kontrolliert wirkende Sydney trägt offenbar eine Last mit sich herum. Er ist spielsüchtig und trinkt gern. Es ist erstaunlich zu sehen, wie ein Mann, der so diszipliniert und bodenständig erscheint nebenbei in offensichtliche Isolation abrutschen konnte. Sein Bedürfnis anderen zu helfen, scheint tiefgründigere Ursachen zu haben.
Neben dem naiven, übereifrigen John, der Sydney seit der Begegnung im Café dankbar auf Schritt und Tritt folgt, kümmert Sydney sich auch noch um die Casinoangestellte Clementine (Gwyneth Paltrow), die mit emotionalen Problemen und ihrer verkorksten Lebenssituation zu kämpfen hat.
Alle diese Figuren sind exzellent realisiert. Sie wirken komplex und authentisch, was vor allem den durchweg grandiosen Schauspielern geschuldet ist. Es ist ein Vergnügen den toll geschriebenen Konversationen zuzuhören, die langsam aber sicher mehr und mehr über Sydney preisgeben. Es ist ein origineller, beeindruckend gut gezeichneter Charakter. Das Geheimnis um seine Identität stellt den Reiz des Films dar.
Der Konflikt entsteht am Rande als John Sydney mit einem Freund bekannt macht, dem Sydney von Anfang an nicht traut. Dieser unsympathische Gauner namens Jimmy wird gespielt von Samuel L. Jackson, dessen Darbietung mich sehr an seine Rolle in Tarantinos Jackie Brown erinnert, der im Jahr darauf erschien.
Als John dann ein weiteres Mal in Schwierigkeiten steckt und Sydneys Hilfe benötigt, klinkt sich plötzlich Jimmy ein.
Dem Film geht es nicht darum, was auf der visuellen Ebene passiert. Die Oberfläche transportiert die vielschichtigen Emotionen, die sich in den Charakteren abspielen.
Die herzzereißende Szene am Ende ist das Resultat eines faszinierenden Porträts eines verzweifelten Menschen. Vorhersehbar ist der Ausgang aufgrund der losen Struktur dabei zu keinem Zeitpunkt, was ja auch die Essenz des Films ist.
Als kleines Manko, das man dem Film selbst aber nicht vorwerfen kann, kann erwähnt werden, dass ich die wenigen Szenen, als im Casino gespielt wird, aufgrund mangelnder Kenntnis der Regeln hin und wieder schwer nachvollziehen konnte, aber das spielt im Endeffekt keine große Rolle. Bei einer dieser Szenen sehen wir außerdem einen Kurzauftritt eines fiesen Philip Seymour Hoffmann als rüpelhafter Zocker, der sich über Sydney lustig macht, als dieser seinen Einsatz verliert.
Sydney geht es nicht um Geld, er hat mehr verloren als das. Beim Glücksspiel gewinnt man eben nur selten. Mit diesem Film setzt man aber mit Sicherheit auf das richtige Pferd.
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Last Exit Reno Bewertung