Bewertung: 3.5 / 5
Durch ein Trauma verliert Leonard Shelby (Guy Pearce) sein Kurzzeitgedächtnis. Seine Frau wurde ermordet, so viel weiß er noch. Doch alles, was danach stattfindet, ist ihm ein Rätsel. Um seinen Alltag noch organisieren zu können, nimmt er Polaroid-Fotos auf, denen er Notizen macht. Und fortan sucht er nach dem Mörder seiner Frau. Antworten findet er im zwielichtigen Teddy (Joe Pantoliano) und der Kellnerin Nathalie (Carrie-Ann Moss).
Geschichten haben eine Konzeption, sie sind ein Konstrukt, daß nach einer gewissen Struktur abläuft und dem Zuschauer sozusagen eine Vollkommenheit vermittelt. Doch was passiert, wenn man sich die Muster, die man an Geschichten so kennt, also Anfang, Aufbau, Mitte, Konflikt, Ende und Botschaft einfach mal durcheinander wirft und neu denkt? Grundsätzlich kein schlechter Gedanke, schließlich spielt man dann mit etwas, was auch sehr festgefahren ist. Allerdings muss man auch dazu sagen, daß nur weil man etwas umdreht, noch lange keine Qualität dabei herausspringt. Eine philosophische Frage, oder irgendeine Form von übergeordneter Fragestellung, sollte es durchaus auch geben. Das ist ja einer der Gründe, warum moderne Mainstream-Regisseure wie Taika Waititi und Rian Johnson so erhebliche Probleme beim Nachdenken. Subvert Your Expectations ist eben kein Alleinstellungsmerkmal, um Kunst zu schaffen. So könnte man nach der gleichen Logik einen blitzeblanken, sterilen weißen Raum vor sich haben und irgendein Dödel würde da reinscheißen. Dann hat man auch die Erwartungen untergraben, allerdings hat man dann trotzdem immer noch ein recht banales Werk geschaffen. Das riecht vielleicht, ist ein wenig provokant. Doch dann nimmt man sich halt ’ne Tüte und ein Paar Handschuhe und hinterblieben ist nichts. In ein paar Jahren ist der Gedanke verblasst. Und vielleicht ist das so ein wenig auch mit Memento.
Ja, herzliche Analogie. Das tut mir auch Leid. Für diesen Film passt sie aber dann doch ganz gut. Memento erzählt eine Geschichte. Er erzählt sie rückwärts, mit allerlei Ungereimtheiten, die der Zuschauer entwirren soll. Da geht es um Mord, es geht darum, sich daran zu erinnern und insgesamt schafft Christopher Nolan mit seinem Film eine durchaus vielversprechende Prämisse. Die Frage ist nur, ob Memento nicht eigentlich nur für einen Schocker taugt. Das Problem haben ja viele dieser sogenannten Mind-Fuck-Filme, deren Geschichte auf eine unvorhersehbare Wendung hinausläuft. Insgesamt fehlt es dem Film aber dennoch an Substanz. Nicht indessen, daß das Werk nicht originell wäre, aber der tiefere Sinn hinter der Konzeption der wird dem Zuschauer doch schwer nur deutlich. Was wollen diese Figuren? Amnesie war ja noch nie eine wirklich gute Ausgangslage für einen Charakter. So etwa auch in Die Bourne Identität (2002). Gut, zugegeben, hier geht es auch nicht so richtig um Amnesie oder Demenz. Tatsache bleibt aber, daß Nolan eine Hauptfigur in Szene setzt, die eben genauso schlau ist wie sein Zuschauer und somit verwandelt er das Szenario zu einem, indem er den Zuschauer komplett in seiner Hand hat. Sowas wie Leerstellen oder eigene Gedanken darf man zwar für das Szenario durchaus mitbringen, doch solche Werke eröffnen dem Zuschauer ja auch eine ganz klare Wahrheit, wodurch das Denken vor allem während dem Schauen funktioniert, darüber hinaus für Analysen aber wenig taugt.
Jetzt kann man natürlich darüber mäandern, daß dies und jenes keinen Sinn ergibt. Oder man dreht den Spieß gar ganz um und lässt sich gerne von Nolan treiben. Suchen wir mal nicht nach Substanz, suchen wir eher nach Bildern und Momenten. Und dann wird man vor allem erkennen, daß Memento ein unglaublich bedrückender und insgesamt ach dreckiger Film ist. Motels, düstere Bilder, einzelne Fotos voller Gewalt. Hier gelingt das minimalistische noch und Nolan wirkt hier auch eher wie ein Regisseur, der skandinavische Thriller inszenieren könnte. Das ist natürlich weit ab vom Hollywood Mainstream, wenngleich natürlich die Zukunft für Nolan anders entscheiden sollte. Über großes Schauspiel muss man in solchen Filmen auch nicht reden. Guy Pearce, Carrie-Anne Moss und Joe Pantoliano sind durchaus gut. Gerade letzterer fungiert hier tatsächlich recht interessant, weil seine Figur auf den ersten Blick natürlich wie jemand wirkt, der sehr zutraulich ist. Das wird dann natürlich durch etwaige Notizen negiert. Es ist auch interessant, daß durch diese Notizen immer wieder recht schnell klar wird, wie dieses und jenes zu deuten ist. Viel komplexer wäre es ja, wenn die Notizen selber noch schwammiger oder auch ambivalenter wären. Wenngleich man dann Gefahr läuft, daß nun wirklich niemand in Memento noch irgendetwas verstehen würde. Tja und dann ist es vor allem eine sehr a-moralische Geschichte, die auf purer Logik und damit schon fast pathologischer Gewalt fußt. Also, wenn man die Hauptfigur und seine Beweggründe analysiert. Das macht schon gewissermaßen Spaß.
Der Film atmet dabei das Noir-Subgenre, indem etwaige Klischees, wie das des Erzählers aus dem Off, vermeintliche Intrigen und Verrat, das Gefühl niemandem mehr trauen zu können und auch gewisse Arbeitsweisen immer rezitiert werden. Es gelingt Nolan hier wunderbar Genre-Klischees zu reproduzieren, ohne daß es so wirken würde, als würde er einfach von besseren Regisseuren klauen. Und dadurch bleibt der Film auch zu jedem Zeitpunkt unglaublich düster, was sehr angenehm ist. Zumindest auf einer sehr seltsamen Ebene. Und gerade das Erzählen ist ja auch eines dieser Elemente, bei denen man in Memento nie genau sagen kann, ob man sich dem nun gänzlich hingeben sollte, weil Leonard Shelby als Erzähler natürlich auch nicht gerade der zuverlässigste zu sein scheint.
Man kann sicherlich verstehen, warum Memento einen so guten Ruf genießt. Es ist schließlich ein origineller Film. Dennoch darf man auch nicht vergessen, daß nicht alles daran so tiefschürfend und intelligent ist, wie es den Anschein hat. Nolan lenkt von wirklichen Fragen gekonnt ab, indem er seine Geschichte als recht konfuses Konstrukt etabliert. Dennoch macht das Spaß und ist zu weiten Teilen auch sehr nachvollziehbar.