Bewertung: 4 / 5
Midsommar gehört zu den Filmen, die vom Geflüster leben, von anschwellender Mundpropaganda und am besten ohne Vorkenntnisse geschaut werden. Wer bis hierher noch keinen Trailer gesehen hat und einen psychischen Teufelsritt der Extraklasse erleben will, der ist im Kino absolut gut aufgehoben. Ein Film, der sich Zeit nimmt, Szenen zelebriert, und sollte der noch längere Cut kommen, wirklich Sitzfleisch erfordert.
Midsommar Kritik
Die junge Amerikanerin Dani (Florence Pugh) durchlebt einen privaten Albtraum. Der Einzige, der ihr noch Halt geben kann, ist ihr Freund Christian (Jack Reynor), wobei beide dem schleichenden Ende ihrer Beziehung nur ausweichen. Da kommt es gelegen, dass Pelle (Vilhelm Blomgren), Christians Kumpel, ihn und weitere Freunde auf die Idee bringt, mit nach Schweden zu kommen. Geplant ist ein Trip zu einer Sonnenwendfeier in einem abgelegenen Dorf. Um sich der nagenden Traurigkeit in ihrem Kopf zu stellen, schließt sich Dani den Jungs an, doch dann nehmen die Feierlichkeiten eine mehr und mehr verstörende Wende...
Trailer zu Midsommar
Wer Schweden bisher nicht besucht hat und vor allem an Michel, ABBA und entspannte Ferien denkt, der sollte sich vielleicht noch mal überlegen, Midsommar vor einem Nordtrip zu sehen. Selten wurden klischeehafte Vorstellungen effektiver zerstört als mit Ari Asters Sonnenwendfeier-Epos. Wir setzen dieses Wort bewusst ein, denn selten erlebt man, dass sich ein Film derart viel Zeit nimmt, eine Geschichte auszubreiten und auch Charaktere an die Hand nimmt, ohne zugleich zu viel zu verraten. Die 147 Minuten Laufzeit beginnen mit einem psychischen Kraftakt und enden nicht minder intensiv und an dieser Stelle ein großes Lob an Regisseur und Autor Aster (Hereditary - Das Vermächtnis).
Aufmerksame Filmfans, die sich im Vorfeld über potentielle Kinokandidaten informieren, werden dabei sicherlich über Vergleiche zwischen Midsommar und The Wicker Man gestolpert sein. Parallelen sind nicht abzustreiten und dennoch hat uns das knapp zweieinhalbstündige Werk regelrecht gepackt. Die Szenerie frisch, unverbraucht, sowohl beängstigend als auch Hoffnung gebend zugleich, und Darsteller, die man hier und da schon gesehen hat und eine unglaubliche Intensität in ihre Rolle legen.
Allen voran Florence Pugh, die uns u.a. bereits sehr in Lady Macbeth und Fighting with My Family gefallen hat und hier in jeder Sekunde eine sehr gute bis grandiose Darbietung abliefert. Das Leid, das die junge Frau durchlebt, ist spürbar, die Sehnsucht nach Halt bei ihrem Freund, die Suche nach Erlösung. Pugh verschmilzt mit jeder Faser mit Dani und erhebt sich neben den anderen, auch sehr guten Besetzungen, nicht nur auf dem Filmposter zum Gesicht des Films. Eine Darstellerin, die hoffentlich auch in Zukunft mit vielen weiteren guten Rollen aufwartet, die so viel mehr ist als die Blaupause einer (hier) süßen Blondine.
Zu den weiteren Darstellern gehören u.a. Jack Reynor und Will Poulter, wobei speziell Reynor eine Szene durchlebt, die das Publikum einerseits belustigen wird, andererseits aber auch kraftvoll und bedeutend ist. Hut ab, den Mut zu einer solchen Aufnahme zu haben. Poulter findet sich hingegen in einer leicht klamaukigen Rolle wieder, die er ohne Frage mit der ihm angeborenen Leichtigkeit bravourös meistert. Wehmütig erinnert uns seine Mimik stets an die fehlgeschlagene Besetzung als Pennywise, liegt dem Darsteller eine unvergleichliche Verschlagenheit bis Boshaftigkeit im Blick, die er in so mancher Rolle genial ausspielt.
Nicht zu vergessen die in jeder Sekunde des Films zu spürende Bedrohung, die sich so gar nicht mit dem Sonnenschein vereinen will und von Aster mit Licht und Hintergrunddetails sehr gut angedeutet wird. Nichts liegt uns aber ferner, als mit zu vielen Filmdetails zu viel vorwegzunehmen, denn wie eingangs erwähnt, ist die Überraschung eine wirklich nicht zu unterschätzende Macht bei Midsommar, der mal nicht mit abrupten Jump Scares aufwartet, aber knackigen Schnitten, musikalischer Untermalung und purem Kopfkino.
Ein Film, der nachhallt und sich die guten Stimmen absolut verdient hat. Man muss sich darauf einlassen, so viel ist sicher, und auch die oben genannten Parallelen überwinden können, speziell wenn man Wicker Man kennt. Dennoch packt einen Midsommar von der ersten bis zur letzten Sekunde, was einer grandiosen Florence Pugh zu verdanken ist und einer wirklich unheimlichen Story, die am Ende zum wahren Fanal wird.
Nachtrag: Im Moment, wo die Kritik verfasst wurde, ist noch keine deutsche FSK-Bewertung bekannt. Wir schätzen, dass der Film ein FSK16 nach sich ziehen wird, der in den USA ein R-Rating erhielt. Wir sahen den Film in Frankreich, wo ganz andere Maßstäbe angesetzt werden, und jede(r) ab 12 ein Ticket lösen kann. Wir weisen darauf hin, dass so manche Szenen wirklich verstörend sind, gerade wenn man etwas labiler ist.