Bewertung: 3.5 / 5
Ich empfehle jedem, der dieses Review lesen möchte, erstmal meine Kritik zu Equalizer durchzulesen und danach wieder hierher zurück zu kommen. Denn Nobody macht tatsächlich all das richtig, was Equalizer komplett falsch macht. Ja, es hat fast den Anschein, als ob die Macher von Nobody dieseleben Probleme mit dem Washington-Vehikel gehabt hätten und dann sich gedacht haben: "Wir zeigen den Idioten da drüben wie so ein Film tatsächlich abzulaufen hat."
Unser Protagonist und vermeintlicher Nobody führt ein ruhiges routiniertes Leben, er ist glücklich verheiratet, hat zwei Kinder und arbeitet in der Firma seines Schwiegervaters, das Liebesleben scheint ein bißchen der Routine zum Opfer gefallen zu sein, aber ansonsten ist alles in normalen Bahnen. Dann wird bei der Familie eingebrochen und diese Situation bringt unseren Protagonisten dazu, sich wieder nach seinem alten Ich zu sehnen. Schliesslich stellt sich heraus, dass er wohl immer "die letzte Option" bei irgendwelchen Spezialaufträgen war. Und wie es sich für solch einen Film heutzutage gehört, legt er sich natürlich mit der russischen Mafia an.
Trailer zu Nobody
So weit so altbacken und vorhersehbar. Was den vorliegenden Film vom Einerlei abhebt ist erstmal die wirklich gute Beobachtungsgabe des Filmes und Etablierung der Ist-Situation, aus der der Protagonist so vehement ausbrechen möchte. Das fängt mit den kleinsten Alltagsmarotten an, die sich immer wiederholen und geht in kleine Nuancen über, wie der Familienvater sich nachts um die Familie kümmert.
Auch der Bruch innerhalb der Familie nach besagtem Einbruch breitet sich gemächlich aus, so dass man auch fast meinen könnte, wir würden uns auf den Spuren eines guten Ein Mann sieht rot Remakes befinden.
Doch weder sind das die Ambitionen des Filmes, noch will er uns sowas überhaupt vorgaukeln. Und hier kommen wir zum absoluten Coup des Films: Wir haben mit Bob Odenkirk den perfekten Darsteller für diese Rolle gefunden, denn diese Nuancen zwischen ehrlich sein und bleiben und ich kehre zu meinen Ursprüngen zurück beherrscht der Kerl im Schlaf, denn die ersten vier Staffeln Better Call Saul sind prinzipiell die gleiche Story, nur halt doch ein bißchen anders. Und er macht das so subtil und perfekt wie möglich, und das Drehbuch und die Inszenierung sind ihm auch perfekte Zulieferer, denn der pechschwarze Humor, der aber nie unter der Gürtellinie ist, hilft ungemein, eben für diesen Antihelden zu jubeln.
Tatsächlich auch ein bißchen so wie für einen gewissen John Wick. Nur ohne die stilisierte Welt, sondern tatsächlich auch mit Leuten, die ein Motiv dafür haben, bei jemandem einzubrechen. Auch hier eine absolute Abkehr vom schmieirgen rechtsradikalen Räuber in Equalizer, der es ja ach so verdient hat, mit dem Hammer den Kopf eingeschlagen zu bekommen. Selbst die eskalierende Rachegeschichte ist eine bewusste Abkehr von jeglichem Heldentum, unser Protagonist provoziert die Situation, weil er sich abreagieren möchte und lässt die Situation komplett eskalieren. Auch hier die bewusste Unterwanderung des Equalizer-Selbstgerechten: Er will stänkern und lässt es den Zuschauer auch genüsslich miterleben. Das ist ehrlich und das hinterlässt keinerlei faden Beigeschmack, eben weil man nicht scheinheilig auf einem höheren Ross sitzt.
Humor, klasse Darsteller (ich gehe jetzt mal nicht auf die Nebendarsteller detailliert ein, da es sowieso nur eine Odenkirk-Show ist, aber es macht tatsächlich Spass, die gut aufgelegten Nebendarsteller zu beobachten, zugegeben Nielsen könnte noch ein bißchen mehr Aktivität vertragen, aber so wie sie aufgestellt ist, könnte in einem eventuellen zweiten Teil mehr für sie abfallen, Fingers crossed!), gute pointierte Story, die sich über die eigene recht brachiale Story mit einem fetten Augenzwinkern im Klaren ist und das alles auch perfekt musikalisch untermauert (zB Nina Simone oder eben der John Wick 3- Trailer Song), was fehlt also?
Na klar, der Gegner. Schurke würde ich jetzt nicht unbedingt sagen, da unser Nobody ja kein Held im eigentlichen Sinne ist. Also der Gegner. Hier haben wir den typischen flamboyanten Russen, wer kennt ihn nicht, der einerseits herzallerliebst und supernett ist und im gleichen Atemzug mal nebenher ultrabrutal sein kann, ein echter Psycho eben. Wie gesagt, Gang und Gäbe in diesen Filmen, und warum auch nicht? Der Film soll ja guilty pleasure sein. Dementsprechend wird dieser Typ einfach mal so installiert und das war es dann auch. Nichts großartig aufgebauscht oder sonstwas, er ist eine Gefahr. Punkt.
Und jetzt kommen wir zum nochmaligen Vergleich mit Equalizer. Natürlich scheut unser Protagonist nicht die Konfrontation, natürlich ist er der Top-Mann. Und natürlich verbrennt er das ganze Geld des Gegners, und natürlich gibt es eine Konfrontation in einem Restaurant, und natürlich wird es die finale Konfrontation in einem Lagerhaus geben. Alles gleich wie in Equalizer, und alles eine Nummer kleiner, intimer, und gleichzeitig weniger geheuchelt und von oben herab. Während der Equalizer herumpredigt und alles richtig weiss, und die Leute alle niedermetzelt wie in einem Slasherfilm, aber dabei ja immer recht hat, ist es in Nobody ganz klar, dass er das alles machen möchte, weil er sich danach sehnt, und die Leute einfach alle töten möchte. Er bietet zwar heuchlerisch Frieden an, hofft aber auf den Krieg. Genauso wie der Equalizer, der das aber dann auch noch so verpackt, als würde er seinem Gegner noch einen Ausweg anbieten. SOEINQUATSCH!
In den ganzen Väter oder ältere Frührentner mit gewissen Fähigkeiten Filmen der letzten Jahren, in denen die ganzen Liams, Denzels, Gerards, Bruces und wie sie auch noch immer hiessen ihr ganzes Können unter Beweis stellten, dabei immer irgendwie Fremdenhass schürrten, oder den Helden als einzigen Mann ausmachten, der die potentielle Gefahr schon Jahrzehnte im Voraus antizipierte und dann auf humorlosen Rachefeldzug geht, wurden natürlich auch immer dieselben Klischees bedient, aber eben auch andere Ressentiments. Selbst (und gerade) beim Equalizer wurde völlig ironiebefreit der russische Schurke als jemand Mega-Over-the-Top demon(i)s(tr)iert. Das hat Nobody eben nicht im Geringsten nötig, der „Held“ selbst ist nicht ganz astrein und mit dem ironisch überhöhten Schurken, den man trotz seiner ganzen Attitüde nie ganz ernst nehmen kann, wird auch kein fremdenfeindlich gemeinter Schurke etabliert, sondern genüsslich einfach mal den Klischees gehuldigt, ohne Vorurteile tatsächlich zu schüren.
Nobody ist in meinen Augen weniger ein neuer John Wick als ein völlig verdienter galliger Stinkefinger in Richtung Equalizer, der einfach wie es sich für so einen Film einfach zu gehören hat nur Spass macht! Er ist gallig, er bleibt auf dem Boden, er ist knochentrocken lustig, er nimmt weder seinen Protagonisten sonderlich ernst (der Running Gag, dass er niemandem seine Story erzählen kann, ist auch ziemlich köstlich!) noch sonst wen, und er hat auch noch genügend weitere Asse im Ärmel, sollte wider Erwarten doch eine Fortsetzung um die Ecke schielen. Und er tut nicht mal im Entferntesten so, als würde er das Rad neu erfinden, er spielt mit all den bekannten Versatzstücken filigran und bewusst und erschafft seine eigene kleine Action-Farce.
Und vor allem: Spätestens jetzt wissen wir, wenn man vor der Disse parken könnte - weil man es kann - fährt man trotzdem daran vorbei, macht einen waghalsigen U-Turn und parkt auf der anderen Strassenseite, nur um dann ohne sich umzuschauen einfach bei vollem Verkehr über die Strasse zu gehen, ohne links oder rechts zu schauen, um in besagte Disse zu gehen, und das ist unabhängig davon ob du Russe bist oder Protagonist. Ist zwar sinnlos, aber cool ;-)
So muss so ein Film.
7 Punkte (mit Tendenz nach oben!)