
Bewertung: 3 / 5
Mit The Electric State startet ab heute nicht nur der neueste Blockbuster der Regisseur-Gebrüder Anthony und Joe Russo auf Netflix, zugleich handelt es sich nämlich auch um die bisher teuerste Produktion des Streaming-Anbieters überhaupt. Während für viele der 2022 erschienene Actionstreifen The Gray Man der Qualität früherer Filme der Russos um einiges nachhing, ist die Skepsis bei ihrem zweiten Netflix-Film nun umso größer, gerade mit Blick auf die große MCU-Rückkehr im nächsten Jahr. Doch wie schlagt sich The Electric State als finanzielles Schwergewicht und muss man um Avengers - Doomsday wirklich besorgt sein?
The Electric State Kritik
Die verwaiste Teenagerin Michelle (Millie Bobby Brown) lebt in einer futuristischen Version der 1990er-Jahre und wird eines Tages von dem Roboter Cosmo aufgesucht, der anscheinend von ihrem totgeglaubten Bruder Christopher gesteuert wird. Die Roboter wurden nach einer Revolte mithilfe des Tech-Unternehmers Ethan Skate (Stanley Tucci) in eine Zone im Südwesten verbannt, zu welcher sich Michelle und Cosmo im Folgenden aufmachen. Auf ihrer Odyssee lernen sie den Schmuggler Keats (Chris Pratt) und dessen Roboterfreund Herman kennen, mit denen sie nach anfänglichen Startschwierigkeiten dem Geheimnis um Christophers Verschwinden auf den Grund gehen wollen und sich dazu der ein oder anderen Gefahr stellen müssen...
Trailer zu The Electric State
Netflix beziehungsweise die Russo-Brüder liefern mit The Electric State, um dies gleich im Vorhinein klarzustellen, einen Film, der sich im Ton und natürlich auch im Genre deutlich von dem oben erwähnten The Gray Man abhebt. Wer also einen beinharten Agententhriller mit Hand-to-Hand-Combat und etwas blutigeren Kampfsequenzen erwartet, wird hier also enttäuscht werden, da der Film im Kern trotz Roboterverkleidung die emotionale Geschichte zweier Geschwister thematisiert. Selbstverständlich schließt dieser Aspekt großangelegte Action-Szenen, wie man sie von den Russos gewohnt ist, nicht aus, dennoch sollte man sich die Zielgruppe des Films bewusst machen. Somit könnte man fast schon sagen, dass The Electric State in Sachen Humor und Inszenierung mehr an die gefeierten Avengers-Filme erinnert, als es bei The Gray Man der Fall ist, dazu aber an späterer Stelle mehr.
Rein optisch kann The Electric State größtenteils überzeugen, allerdings finden wir hier den ersten großen Kritikpunkt, lässt man sich einmal die Höhe des Budgets auf der Zunge zergehen. So soll der Film unglaubliche 320 Millionen Dollar verschlungen haben, wodurch das Projekt, wie schon in der Einleitung erwähnt, das teuerste ist, das Netflix je realisiert hat. Verschwommene Hintergründe, Greenscreens oder Ähnliches dürfte einem da als Zuschauer eigentlich nicht auffallen, leider ist es den Machern trotz der exorbitanten Menge an Geld aber nicht gelungen, jene Makel zu kaschieren, geschweige denn ganz auszumerzen. Nimmt man beispielsweise einmal Denis Villeneuves Sequel Dune - Teil 2, mit einem geschätzten Budget von 190 Millionen Dollar, oder Matt Reeves’ The Batman, für 200 Millionen Dollar, so wird ersichtlich, was mit vergleichbaren Riesensummen optisch möglich ist. Die Kameraarbeit in The Electric State konzentriert sich meist auf Nahaufnahmen der Charaktere und zeigt bedauerlicherweise nicht oft vollumfänglich deren Umgebung. Hier hätten zum Beispiel Totale oder Halbtotale Abhilfe schaffen können, wodurch das Setting besser zur Geltung gekommen wäre . Der Score von Komponist Alan Silvestri unterstreicht gefühlvolle Momente; dazu kommen immer wieder Pop-Songs aus den 80ern und 90ern zum Tragen, was im Rahmen des gewissen Retro-Feelings auch sehr gut passt.
Kommen wir einmal auf den Inhalt zu sprechen, der wider Erwarten vor allem gegen Ende nicht allzu vorhersehbar geschrieben ist, wie wir es vielleicht erwartet hätten. Während der Plot nämlich auf dem gleichnamigen illustrierten Roman des schwedischen Autors Simon Stålenhag basiert, löst man den Konflikt nicht konventionell im Schwarz-Weiß-Schema auf, sondern schafft ein geerdetes Ende, das für sich allein steht und damit glaubhaft herüberkommt. Thematisch passt The Electric State gut in die heutige Zeit von Meta, X und Co, da beispielsweise aufgezeigt wird, was passiert, wenn man sich ausschließlich auf die Hilfe der Technik verlässt, anstatt sie konstruktiv einzusetzen. Natürlich darf eine Andeutung auf eine potenzielle Fortsetzung zum Schluss nicht fehlen, allerdings revidiert man damit schon ein wenig das Ende, was man vorher noch so rigoros im Sinn hatte. Hier lässt sich unser zweiter Kritikpunkt ausmachen, weil man jene einhergehende Charakterentwicklung ein Stück weit über den Haufen wirft, nur um das nächste Franchise ins Leben zu rufen.
Der Cast, allen voran Stranger Things-Star Millie Bobby Brown und Guardians of the Galaxy-Veteran Chris Pratt spielen ihre Rolle gut, wobei Brown womöglich die beste Leistung des Films abliefert. Von emotionalen Momenten bis hin zum humorvollen Schlagabtausch füllt sie die Protagonistin Michelle glaubwürdig aus, wohingegen Pratt immer den Anschein macht, als ob er in der Zeit hängen geblieben ist und noch immer den Star-Lord aus dem MCU mimt. Natürlich ist dies Geschmackssache, allerdings kann man es keinem krumm nehmen, wenn jemand nach den zwei Stunden erst einmal genug von einem Humor hat, der nur gelegentlich zündet. Stanley Tucci und Giancarlo Esposito stellen als Antagonisten zwar einen passenden Gegenpol dar, allerdings hätte man beiden noch ein bisschen mehr Screentime widmen können, um die Bedrohung etwas besser aufzubauen.
Inszenatorisch zeigen die Russos zum Beispiel gegen Ende von The Electric State, dass sie noch immer dazu imstande sind, gewaltige Schlachtszenen zu realisieren, was uns beispielsweise den ein oder anderen Flashback an das Finale von Avengers - Endgame bescheren konnte. Die Gags ähneln dabei zugegebenermaßen sehr an die des MCUs, sodass manche Sprüche sicher genauso gut von Chris Hemsworths Thor hätte kommen können. Dies dürfte nicht zuletzt an Avengers - Endgame-Autoren McFeely und Markus liegen, die das Drehbuch verfassten. Jenen massiven Qualitätsverlust, den andere Kritiker zu bemängeln scheinen, finden wir allerdings nicht vor.
Fazit
Abschließend kann man sagen, dass die Russo-Brüder mit The Electric State einen Film abliefern, der storytechnisch überzeugt und aktuelle Themen behandelt, die den Zeitgeist treffen. Mit einer tollen Millie Bobby Brown und dem actionreichen Finale zeigen die beiden Regisseure, dass sie ihr Gespür für Blockbuster eben nicht verloren haben.
Anzukreiden ist dem Film das visuelle Manko, das bei einem solch fetten Budget einfach nicht gerechtfertigt werden kann, da mehrere Filmemacher in der Vergangenheit gezeigt haben, wie es richtig geht. Dazu läuft man mit einem möglichen Sequel Gefahr, dass das Ende von The Electric State an Gewicht verlieren könnte. Ansonsten wird der Film aus unserer Sicht aber von Kritikern zu schlecht bewertet (Lediglich 19 % beim Rotten-Tomato-Score), was er trotz seiner Schwachstellen definitiv nicht verdient hat.
