Bewertung: 4 / 5
Wie lange hat Scorsese darum gekämpft, diesen einen letzten Film seiner thematisch zusammenhängenden Gangster-Epen machen zu dürfen.Seine Trilogie, welche Good Fellas und Casino abschliessen sollte. Und wie wenig kompromisslos er sich auf diesem Wewg doch zeigte. Entweder es werde seine Vision oder keine. Und je länger es dauerte, desto älter wurden seine auserwählten Protagonisten, und desto mehr veränderte sich das Kinoumfeld und die Sehgewohnheiten im Allgemeinen. So kam es wie es kommen muss, kein Studio erklärte sich bereit, so einen Film wie Scorsese es sich vorstellte mit diesen Akteuren, zu so einem Preis zu drehen. Und Netflix schlug zu: Quasi aus der Portokasse wurde ein absolutes Prestigeprojekt daraus geschustert, Scorsese bekam ALLE Freiheiten, die er brauchte, überzog das Budget drastisch, um die Verjüngungs-Special-Effekts zu verfeinern (ich will nicht von perfektionieren sprechen) und Netflix nahm das alles ohne Murren hin. Denn alle im Raum wussten, dass dies möglicherweise das Opus Magnum dieses Mannes, der wie kaum ein zweiter derzeit für das derzeitig erfolgreiche und gleichzeitig innovative Autorenkino steht, sein könnte!
Und tatsächlich, auf allen Kritikenseiten weltweit steht der Film bei hervorragenden bis herausragenden Bewertungen, und selbst die schlechteste Bewertung ist geradezu noch überschwänglich.
Trailer zu The Irishman
The Irishman erzählt die Lebensgeschichte (mehr oder weniger wahr, wahrscheinlich, aber im Ernst, ist das wirklich wichtig?!?) eines irischen Mobsters, der in der italienischen Mafia über einen Zeitraum von geschätzt 30-40 Jahren maßgeblich großen Anteil an wichtigen Entwicklungen der amerikanischen Geschichte hat oder als recht naher subjektiver Betrachter Sachen mitbekommt, die ein Normalsterblicher wahrscheinlich nicht mal erahnen kann. Unter anderem ist er indirekt am Schweinebuchtfiasko beteiligt, und kennt Leute, die Leute kenn, die die die Kennedys kennen und/oder in der Tasche haben könnten, und er ist irgendwann sogar mit Jimmi Hoffa sehr gut befreundet.
Das hört sich auf dem papier so an, als hätten wir es vielleicht mit einem mafiösen, verschmitzten Forrest Gump zu tun, und anfangs wird uns auch suggerriert, dass dieser Ansatz sicherlich auch mal überlegt worden wäre, was vor allem an der bewusst recht stoischen Darstellung seitens DeNiro ersichtlich wird, aber man sich dann entschied eben doch den anderen Weg zu gehen.
Umrissen wird das ganze durch zwei Handlungsrahmen: Eine familiäre Autofahrt, welche sich als der späte Wendepunkt des Filmes herausstellen wird und der Szenerie im Altersheim, wenn DeNiros Charakter sein Leben Revue passieren läßt, indem er die 4. Wand durchbricht (dazu gleich etwas mehr!).
Getragen wird der komplette Film von DeNiro, der eigentlich in jeder Szene des Filmes zu sehen ist, angefangen kurz nach seiner Kriegsheimkehr bis zu seinen Altersheimtagen. Unterstützung findet er vornehmlich von Joe Pesci, der extra für diesen Film aus seinem Ruhestand zurück kommt, und einem teilweise famos aufspielenden Al Pacino. Aber auch sämtliche anderen darsteller, und sei es nur für ein Cameo, sind im Prinzip das Who is Who is der Ära der Gangsterfilme seit den späten 1970ern sowie eine Mischung zur heutigen unterschätzten Creme de la Creme - wenn Scorsese ruft, kommen sie alle. Der Einzige der hier tatsächlich fehlt, ist in der tat Christopher Walken, aber ganz ehrlich, der einzige, den diese Koloss hätte spielen dürfen, wäre Hoffa, und diese Rolle geht nun mal an Pacino. Also schade drum (da ich auch glaube, dass sein Hoffa der bessere hätte sein können), aber auch verschmerzbar, da Pacino hier und da wirklich an seine absoluten Glanzzeiten anzuknüpfen in der Lage ist und wirklich jeden mit einzelne Blicken und Gesten regelrecht darstellerisch zerquetscht. Und Pesci? Tja, das ist eigentlich der einzige im ganzen Film, der nie deplatziert wirkt, er ist seine Rolle, und so authentisch und gut, dass er eigentlich - und eigentlich auch uneigentlich - der beste Darsteller in diesem Koloss von Film ist. DeNiros Darstellung hingegen ist natürlich das A und O dieses Films. Und auch er spielt so gut wie er es ehrlich gesagt seit Good Fellas nicht mehr hingekriegt hat, das ist ganz großes Kino zum mit der Zunge schnalzen, vor allem Pacino spielt er problemlos gegen die Wand und auch seine Interaktion mit Pesci ist einfach fabelhaft.
Scorsese nimmt sich in seiner Inszenierung deutlich im Vergleich zu Good Fellas und Casino zurück, um ja nicht den Mafia-Alltag übermäßig zu glorifizieren. Anfangs hat er seine Spielerein, die er mit zunehmender Dauer aber immer stärker reduziert. Nur ab und an gibt es mal hier und da ein paar inszenatorische Glanz- und Blitzlichter, die ganz klar demonstrieren, warum Scorsese selbst heute noch 98% aller Regisseure in den USA locker mal die in die Hose stecken kann. Aber erzeigt auch ganz klar, dass es ihm hier eben nicht um stilistische Spielereien geht, sondern dass es ihm wirklich um den Charakter und dessen Geschichte geht.
Ein kurzer Einschub: Scorsese inszeniert hier eine komplette Männerwelt, Frauen sind hier Staffage und haben nichts zu sagen, und wenn sie was sagen, dann lediglich um den Mann zu unterstützen. Die einzige Frau, die hier was zu sagen hat, schweigt mit einer solchen Vehemenz, dass man anfangs das Gefühl hat, sie wäre stumm. Aber das ist ganz klar auch Scorseses Anliegen, hier noch einmal deutlicher mit seinen Aussagen zu werden: Vorbei die Zeiten, in denen Bracco oder Stone wüten durften, nur um am Ende ihre Grenzen aufgezeigt zu bekommen, hier sind die Grenzen von Anfang an definiert, so dass Scorsese seinen Fokus auf den für ihn wichtigsten Aspekt fokussieren kann. Und das tut er dann auch: 3,5 Stunden lang!
Im Grunde genommen erzählt Scorsese hier aber - außer dem geschichtlich nicht ganz verbürgten Rahmen - seine typische Gangster-Geschichte über Freundschaft, Loyalität, Aufstieg, Verrat und den Kosequenzen dieses Lebens. Er verhandelt grundsätzlich kein einziges neues Thema. Alles was er vor 3 Jahrzehnten in Good Fellas erzählt hat und mit Casino weiter ausschmückte, hat auch hier Gültigkeit. Und mehr erzählt er eigentlich nicht. nein, eigentlich sogar weniger. Denn dadurch dass er komplett auf DeNiros stoischen Charakter fokussiert, entzieht er den meisten anderen Charakteren ein bißchen ihrer Individualität: Man erfährt über Sorvinos Charakter in Good Fellas beispielsweise so viel s und so deutlich mehr in einer deutlich kürzeren Spanne als über den Charakter Pescis, und da hilft es auch nicht, dass letzterer gerne zu den Klängen aus dem Paten Brot mit Olivenöl und Essig isst, während der andere gerne Spaghettisauce kocht.
Scorsese macht bewusst die Figuren wenig zugänglich und abstrakt, stattet sie lediglich mit gewissen Archetypen aus. Im Grund egenommen unterläuft er jegliche Erwartungshaltung, die er selbst über die Jahre aufgebaut hat, um seine grundsätzliche Aussage schließlich in der bittersten Lektion dem Zuschauer aufzutischen. Und im Grunde genommen ist das schon harter Tobak und geht vielleicht sogar ein bißchen unter die Haut.
Aber es ist alles einfach irgendwie auch aufgesetzt. Alle diese Pointen hatte er schon in seinen Vorgängerfilmen platziert, und zwar auch intelligenter, da sie immer angesprochen wurden, aber vieles letztendlich auch der Phantasie des Zuschauers nach dem Abspann überlassen wurde. Hier geht er eben jenen einen Schritt weiter und hämmert es dem Zuschauer in den Kopf. Das ist wenig subtil, und wirkt bisweilen so, als wolle er diesmal nicht Gefahr laufen, irgendwie für cool befunden zu werden. Denn was cool ist, wird nachgeahmt. Sicher, er hatte schon immer seine kleinen Moralgeschichten parat, aber es war immer glamourös und irgendwie prätentiös, hier entzieht er sich diesem Muster.
Und dazu gesellt sich nunmal auch der Fakt, dass er sichtlich über 70-Jährige Leute quasi Jugendliche spielen lässt. Das ist befremdlich und reisst einen immer wieder raus. Alleine die Körperhaltung der Protagonisten ist immer "alt", egal wie alt sie sein sollen. Die Effekte sind meistens eben nicht gut genug, egal wie teuer sie waren, immer merkt man das Alter. Und ich komme nicht umhin, dass das auch Prinzip hat - ja, fast haben muss: Ein 70-Jähriger ist nunmal nicht attraktiv, und er ruft auch nicht dazu auf, nachgemacht zu werden, wie wenn beispielsweise ein toital im Saft stehender Ray Liotta in Good Fellas über allem zu schweben scheint. Es ist nunmal eine häßliche Welt, in der sie sich bewegen, und das wird mit diesem "häßlichen alten Männern" einfach mal subversiv dem Zuschauer unterbreitet.
Scorsese dreht also bewußt einen sauteuren Gangsterfilm, der unterschwellig und oberschwellig das gesamte Genre demontiert und zerstört das komplette Glamour, indem er offensichtlich fehlbesetzte, weil zu alte, Figuren einsetzt. All das kann er aber abfangen, weil alle Darsteller einfach eine Bank sind und so gut wie seit jahrzehnten nicht mehr spielen.
Seine Inszenierung ist langsam, teilweise sperrig, und dennoch verspielt. Und da er im Prinzip hier sein letztes Wort zum Thema Gangster-Film abgibt, will er nunmal endlich das Epos abliefern, das irgendwo in der Region eines Paten oder gar Es war einmal in Amerika angesiedelt ist.
Der Pate ist The Irishman in der Tat thematisch gesehen sehr ähnlich, weil im Grunde genommen das gleiche Thema auf ähnliche Art besprochen wird. Doch wo Der Pate trotz allem Pathos und auch Moral immer wie eine Oper wirkt ist The Irishman sehr deutlich zurück genommen und es gibt keine "Belohnung" am Ende, es gibt keinen Höhepunkt, es gibt nur die bittere Erkenntnis. Und Es war einmal in Amerika ist eine fantastischere, weniger reale, Geschichte aus einem Amerika, das seine Unschuld schon längst verloren hat. Scorsese orientiert sich sehr stark auch an diesem Werk, inklusive den zwei Rahmenhandlungen (Alter und die Flucht in die Opiumhöhle), inklusive dem Verlust des eigenen Lebens oder des Lebenswerkes durch die eigenen Aktionen und zeigt ein mindestens genauso bitteres Ende. Doch wo Es war einmal in Amerika immer auch ein bißchen zweideutig bleibt, inklusive einem sensationellen Finale, das eben nicht in Gewalt eskaliert, ist Scorsese einfach zu versessen darauf seine Message zu transportieren.
Das hat er - ich denke das habe ich schon mehrfach sehr deutlich gemacht - in der Vergangenheit sehr viel besser hinbekommen. Auch die Pointe, dass der Mann am Ende alleine und elendlich vor sich hin sterben wird, so moralisch das jetzt klingen mag, ist leider Gottes nicht nur auf Gangster zu münzen, sondern auf den Großteil der heutigen Gesellschaft, das jetzt einem so verkaufen müssen zu wollen, ist in meinen Augen doch sehr forciert.
Viel besser gelingt es ihm in einer der Schlüsselszenen des Filmes beispielsweise, in welcher DeNiro immer wieder während dem Gespräch mit Pescis Charakter die vierte Wand durchbricht und dem Zuschauer hilflos ins Auge schaut. Solche Momente erheben The Irishman zu was wahrlich Großem.
Trotz all dieser Kritik, was sich vermutlich vernichtend anhören wird, der Film ist Großartig, die vielen optischen Unzulänglichkeiten (inklusive dem miesen De-Aging) schiebe ich mal als bewußte Entscheidung seitens Scorsese zur Seite. Der Film ist eine Demontage des Genres, nicht unähnlich Erbarmungslos zum Western, er ist aber bei leibe nicht ambivalent genug. Hier will Scorsese einfach auf seine alten Tage nicht mehr mißverstanden werden. Schließlich handelt es sich hierbei um seinen mit aller Wahrscheinlichkeit letzten Gangsterfilm (dies wird nicht nur durch die absolute Finalität seiner Aussagen unterstützt, sondern auch sehr subtil immer wieder durch kleine Einsprengsel, wie zB Kinoplakate von The Shootist (dem letzten Film mit John Wayne) oder ähnlichem untermauert). Er hat daher den Anspruch mit den besten Filmen in diesem Genre mithalten zu können und muss sich dementsprechend messen lassen.
Und er scheitert denkbar knapp. Er ist weder so gut wie der Pate noch so gut wie Es war Einmal in Amerika. Ich weiss nicht mal ob ich ihn besser als Good Fellas einstufen würde. Trotzdem würde ich ihn wahrscheinlich auf Platz drei hinter Es war einmal in Amerika und Pate 1/2 stellen.
Als Vollendung seiner Trilogie (ja, er hat auch Mean Streets und andere Filme gemacht, aber das zählt alles nicht) ist der Film ein Muss, und auch sonst ist er sehr gut. Sein Subkontext und seine sehr deutliche Message stehen sich ein bißchen gegenseitig im Weg.
8 Punkte, mit der Tendenz nach oben, aber eigentlich nicht mehr.