Bewertung: 2 / 5
Der siebzehnjährige Nicholas (Zen McGrath) schwänzt die Schule. Seine geschiedenen Eltern Kate (Laura Dern) und Peter (Hugh Jackman) machen sich Sorgen. Daher zieht der Junge nun zu seinem Vater, der mit seiner neuen Frau Beth (Vanessa Kirby) ein Kind erwartet. Doch die Beziehung der beiden ist sehr schwierig, weil sie nicht wissen, wie sie einander begegnen sollen.
Das Bundesgesundheitsministerium schreibt, daß etwa zwanzig von hundert Menschen einmal in ihrem Leben an einer Depression, beziehungsweise an einer sogenannten Dysthymie erkranken. Keine kleine Zahl, wenn man bedenkt, daß es sich dabei um jeden fünften Menschen handelt. Grob auf Deutschland bezogen, sind das etwa Sechszehnmillionen Menschen. Und trotzdem spricht man bei einer doch so erschreckend hohen Zahl, wenn man überhaupt von Depressionen redet, von einem sogenannten Tabuthema. Man will das nicht besprechen. Ähnlich, wie der Tod als Thema innerhalb von Deutschland tabuisiert wird, ist es auch diese erschreckend hohe Anzahl an Menschen, die so gar nicht in das Bild des glanzvollen Turbokapitalismus passen. In den Staaten hingegen, wird es wohl kein bisschen anders aussehen und daher muss man schon im Voraus sagen, daß The Son, der sich mit dem Thema mehr oder minder befasst, ein Film ist, der an die Nieren geht. Nicht etwa, wie ein Lars von Trier, der daß Thema in Melancholia (2011) oder Nymphomanic (2013) behandelt hätte, sehr wohl aber auf einer ganz anderen Ebene, die es schwer macht, sich über den Film in weiten Belangen zu beschweren. Nun kann man sagen, daß es gerade der wissenschaftliche oder auch pädagogische Teil in The Son ist, den man nicht so einfach verdauen kann, wenn man denn ein wenig Ahnung hat.
Trailer zu The Son
Im Vorhinein zu The Son sollte man sich die Frage stellen, ob es denn überhaupt um Depressionen geht. Rein handwerklich mäandert der Film sehr lange um das Thema herum, was einerseits clever ist, aber wesentlich mehr noch idiotisch. Der Junge, der titelgebende Sohn, der auf einmal die Schule schwänzt und keine Freunde hat, wird von seinen Eltern zunächst völlig falsch eingeschätzt. Hat er Liebeskummer? Das wird es sein. Plötzlich kann es das aber nicht mehr sein. Hat er also Streit? Auch das kann es nicht sein. Was hat er, was hat er nicht? Philosophische Frage und Handlungsrelevant. Mal ernsthaft, wie blöd kann man nur sein, wenn man weiß, gerade auch im späteren Verlauf des Films gelernt hat, daß ein Kind dazu neigt, sich selbst zu verletzten, warum zum Teufel lässt man dann noch sein eigenes Jagdgewehr offen irgendwo liegen, sodass das Kind sich Kurt Cobain-Mäßig den Schädel wegballern kann. Es tut mir leid für diesen polemischen Zynismus, aber ich habe an der Stelle schon lange nicht mehr etwas so dumm konstruiertes gesehen und kann auch nicht verifizieren, ob das Theaterstück von Florian Zeller, der hier auch schrieb und inszenierte, wirklich so zu Ende geht. Mein Gott, wie bescheuert. Nun kann man sagen, daß jemand, der wirklich den Entschluss gefasst hat, sich das Leben zu nehmen, auch nicht mehr „rettbar“ ist. Das ist leider die traurige Erkenntnis und damit könnte man das Werk an der Stelle sicherlich ein wenig in Schutz nehmen, weil es passieren musste. Aber das zählt eben nicht für die filmische Realität, derer sich der Film zwangsläufig unterwerfen muss.
Nun mag das berufliche Arroganz sein, doch es dürfte an anderer Stelle doch extrem unrealistisch sein, daß ein Vater, der seinen eigenen Sohn mehr schlecht als recht leiden sieht, ihn anmahnt, sich doch einfach nicht schlecht zu fühlen. Auch das eben ein Tabubruch, der zwar eine gewisse symbolische Tragweite hat, aber doch im Skript eben völliger Nonsens bleibt. Ebenso sind auch die Implikationen, die Zeller im Film macht, die eben auch die Herkunft der Krankheit so ein wenig erläutern sollen, völliger Blödsinn. Denn so richtig geklärt ist ja ohnehin nichts, was dieses Thema angeht. Ob Eiweißmangel im Gehirn. Ob Mobbing, Vulnerabilität und all diese Dinge. Es kann so sein, doch gerade die Resilienz, die wissenschaftlich belegt, daß ein Individuum trotz schlechter Anlagen, ein „normales Leben“ führen kann, widerspricht allem theoretischen so vehement. Man weiß es nicht. Natürlich hat ein Drama das Recht, sich die Freiheit zu nehmen und auch die Realität so anzupassen, wie es ihm passt. Doch dafür macht der Film eben auch zu viele arrogante Fehler. Zum einen stellt er nämlich auch Ärzte als vollkommen dämlich dar. Wenn ein Klient Angst hat, befeuern sie diese. Ebenso halt auch die Eltern. Dann bleibt auch hier die Frage, was die letztliche Kritik sein soll. Denn wenn es darum geht zu zeigen, wie schlimm doch Ärzte sind und daß das Vollstopfen mit Medikamenten tatsächlich ein wenig fragwürdig ist, dann ist das zu Teilen zwar eine berechtigte Kritik, doch der Film bietet ja keinerlei Ausweg oder Lösung für das Problem an. Auch das, ja er muss das nicht. Doch wenn man sich über systemische Dinge aufregt und irgendwie alles als inkompetent darstellt, dann sollte man vielleicht nicht wirklich den Tod als Ende noch in gewisser Weise befürworten.
Gut, zugegeben, die Aneinanderreihung von Klischees, die hier geboten werden sind, gut und wichtig, weil sie eben – auch da sind die Statistiken in Sachen Scheidungsraten, oder steigender Fallraten in Bezug auf psychische Krankheiten gegeben – die Realität ganz oberflächlich widerspiegeln. Nicht von allen, aber von einigen. Und es ist schwierig überhaupt ein Thema wie Depressionen auf die Leinwand zu bringen, weil es eben unterschiedliche Formen, Ausprägung und Gründe geben kann. Man hat bei The Son aber auch primär den Eindruck, als spiele der Film eher im Bereich der sogenannten Borderline-Störung. Natürlich geht es dann aber auch um Wechselwirkung. Daß nicht jeder gleich und das Thema komplex ist, will man dem Film nicht anlasten. Schließlich ist es die Aufgabe eines Films, komplexe Themen zu vereinfachen. Und so obliegt es eben auch zum Großteil dem Zuschauer, sich mit dem Thema selbst zu beschäftigen. Selbstverletzendes Verhalten kann man nicht durch eine Umarmung lösen. Die Kapitalismuskritik findet sich dann auch wieder, weil dieser dargestellte Reichtum eben auch keine Krankheit, beziehungsweise ein Phänomen in diesem Segment heilen wird.
Wenn es etwas gibt an The Son, über das man nicht ein kleines bisschen streiten muss, dann ist es wohl das schauspielerische Können. Hugh Jackman nimmt das Drehbuch von Florian Zeller und schöpft aus den Vollen. Man hat ihn wohl auch zu lange vermisst, doch sobald er die Leinwand betritt, klebt man an seinen Lippen, weil er den Vaterkomplex, den seine Figur ebenso hat, auf sein eigenes Kind überträgt und auch ansonsten keine wirklich sympathische Figur zu sein scheint. Er verließ die Familie, etwas, was ihn tatsächlich ehrbar macht, aber sein Sohn ihm nie verzeihen kann. Doch was bringt eine Ehe, wenn man einander nicht liebt? Das ist eben einer dieser Konflikte, die da aufgebaut werden, und zwar pures Klischee ist, aber gut vorgetragen werden. Beeindruckend dazu ist auch Zen McGrath, der zwar ebenso das Unglück hat, von schrecklichen und total unrealistischen Dialogen geplagt zu werden, doch sein Spiel ist atemberaubend. Diese Trauer, die er in sich trägt, bringt er voll und ganz rüber. Wahrscheinlich wären Jugendliche aber eher verschlossener und könnten nicht so schön ihre Probleme umschreiben. Interessant ist auch Laura Dern, die sich nach Das Schicksal ist ein mieser Verräter (2014) hier schon wieder einem Tabuthema widmet.
Egal was auch immer da auf der Leinwand stattfindet, so richtig zünden will das nicht. The Son ist zu plakativ, hat keine klare Aussage und verliert sich in obskurer Idiotie einzelner Figuren, die das Konstrukt so offenlegen, daß man es nur noch als solches wahrnehmen kann. Der Versuch ist nett, die Schauspieler zu teilen richtig stark, aber es ist gescheitert, weil es irgendwie zu wenig Ahnung hat, von den Dingen, die es erklären will.