Bewertung: 5 / 5
Wieder einmal eine etwas andere experimentelle Vergleichskritik von mir für zwei 10-Punkte-Filme. Das Thema diesmal: Starke Frauenrollen!
Heutzutage wird ja so viel darüber gemeckert, wie wenig gute und starke Frauenrollen es doch gibt und wie das doch unbedingt geändert werden muss. Daher werden jetzt alle möglichen Gleichstellungsmechanismen in Kraft gesetzt, um ja wieder starke Frauenfiguren zu etablieren. Dabei wird dann (überspitzt formuliert) darauf verwiesen, dass mit Charlize Theron derzeit wohl eine einzige glaubhafte starke Frauenfigurdarstellerin vorhanden ist, da sie mit Atomic Blonde und Furiosa in Mad Max überzeugen konnte. Dabei wird gerne mal vergessen, dass das erstens gar nicht stimmt: Jennifer Lawrence verdankt ihre ganze Karriere starken Frauenrollen und selbst eine Sandra Bullock, mittlerweile auch schon über 20 Jahre dick im Geschäft, lebt sehr häufig ihre starken Rollen bis zum Exzess aus (Gravity und Bird Box als aktuellere Einträge in einer langen Liste). Und dabei habe ich noch gar nicht von Angelina Jolie oder Jennifer Garner gesprochen, oder Scarlett Johannson, und erst recht nicht von den Amazonen Sigourney Weaver oder Linda Hamilton. A Propos Amazonen: Gal Gadot schickt sich derzeit ebenso an, starke Frauenfiguren zu etablieren. Und wenn wir schon mal dabei sind, ein gewisser Paul Verhoeven (mittlerweile auch schon jenseits der 70, so wie ein gewisser George Miller auch) hat mit Elle auch schon eine der stärksten und eindrücklichsten Frauenfiguren der letzten Jahre kreiert.
Worauf ich hinaus will? Es ist zwar löblich und unterstützenswert, dass es diese Gleichstellungsbewegungen gibt, aber letztlich ist es nicht unbedingt der Umstand, dass mehr Frauen hinter der Kamera stehen, dass es starke Frauenfiguren gibt, sondern es ist die Geschichte, die die Figuren durchleben und wie es dargestellt wird, was dazu führt, dass eine Rolle als stark angesehen wird. Und noch etwas: Eine starke Frauenrolle zeichnet sich nicht nur dadurch aus, dass eine Frau einem Kerl in den Hintern tritt, sondern wie auch bei Männern, die Rolle muss in sich stimmig sein und der Film sowieso. Nur um also ein oben genanntes Beispiel zu entkräften: Atomic Blonde ist für mich eben nicht das Paradebeispiel einer starken Frauenrolle, da hier eine Männerrolle einfach in einen Frauenkörper gequetscht wird und jegliche Weiblichkeit nur Abziehbild für Männerphantasien ist. Ein ähnlich gelagerter Film der etwa zeitgleich ins Kino kam, macht es da deutlich besser und hat die deutlich bessere Frauenfigur zu Buche stehen: Red Sparrow!
Wenn man sich nun mal die Filmhistorie anschaut, muss man aber gestehen, dass es tatsächlich einen enormen Rückschritt der starken Frauenrollen gegeben hat, wovon sich die Filmindustrie weltweit eigentlich nie erholt hat - mit Ausnahme einiger europäischer Länder wie besipielsweise Frankreich, Spanien (Almodovar anyone?!?) oder einigen skandinavischen Ländern. Was anfang der Tonfilmäre rotzfrech schon funktionierte mit starken Frauenrollen, und ja Deustchland war hier deutlich Tonangebend (haha) mit beispielsweise dem Blauen Engel oder jeglichem Film von Ernst Lubitsch und dann folgend auch in Hollywodd mit den Screwballkomödien (hier sollte der Einschub erlaubt sein, auf die Flucht vieler etablierter europäischer Regisseure nach Hollywood während der Nazi-Zeit hinzuweisen), etablierte sich auch noch bis in die 1940er immer stärker mit durchaus selbstbewußten und starken Frauenfiguren, wo ihnen sogar prinzipiell ein eigenes Genre gewidmet wurde: Film Noir und Femme Fatale gehen ja quasi Hand in Hand. Auch abseits dieses Genres gab es immer starke Frauenrollen, die dann nach dem zweiten Weltkrieg leider sehr stark den aufopferungsvollen Mütterrollen weichen mussten (klar, dies ist durchaus der Zeit geschuldet und sogar notwendig gewesen, aber dadurch wurden interessante Rollen für Frauen immer weiter zurück gedrängt). Spätestens mit der McCarthy Ära war die Zeit der starken Frauenfiguren abseits von Mütterrollen quasi vorbei. Einzelne Fahnenhochhalterinnen wie Barbara Stanwyck waren eher die Ausnahme denn Regel. Wie gesagt, ich lasse mal Frankreich aussen vor, denn das ist ein komplett eigenes Kapitel wert. Zwar gab es in den 1960ern eine Art Renaissance der Screwballkomödien von anno dazumal, aber die waren diesmal deutlich handzahmer und eher schlicht und konservativer gehalten als die auch heute noch sehr frisch wirkenden Uralt-Klassiker wie beispielsweise Leoparden küsst man nicht oder gar Sein oder Nichtsein. Und was dann ab Ende der 1960er mit dem Frauenbild in Hollywood passierte, ist im Grunde genommen eine kleine Frechheit: Faye Dunaway als neues Pin-Up Girl des New Hollywood gefeiert für Bonny und Clyde (selbstzerstörerische GangsterBraut) oder Thomas Crown Affair (selbstbewußte Bitch, die am Ende deshalb "zu Recht auf den Boden der Tatsachen zurück geholt wird") oder Jane Fonda als Sex-Bombe in Barbarella. Als gäbe es keine andere Darstellungsmöglichkeit. Selbst ein David Lean war hier nicht gegen gefeit, In Dr Schiwago gibt es quasi keine andere Frauenrolle als die der Hure oder der Mutter, sein Ryans Tochter später kam ein bißchen zu spät. Die 1980er brachten dann mit Ripley und Sarah Connor zwar interessante Charketere hervor, aber abseits von kathleen Turner und ihrer Jagd nach irgendwelchen Schätzen mit Michael Douglas gibt es ehrlich gesagt kaum was brauchbares. Also wenn wir jetzt tatsächlich nach mehr starken Frauenrollen dürsten, ist das in der Tat einerseits gerechtfertigt, aber andererseits ein Produkt von Jahrzehntelangem Chauvinismus der Branche, welches - ich befürchte es zumindest - nicht durch irgendwelche Actionrollen für Frauen durchbrochen werden kann oder sollte. Starke Frauenrollen benötigen tatsächlich starke Charaktere.
Hier mal zwei Paradebeispiele:
1. Vom Winde Verweht
Heutzutage als einer der größten Schmonzetten der Filmgeschichte angesehen, könnte die Wahrheit gar nicht weiter weg sein. Der Film ist eine riesengroßes Südstaatenepos, das den Werdegang einer zickigen Tochter beschreibt und wie sie sich entwickeln muss, um in dieser von Bürgerkrieg und etlichen anderen Schicksalschlägen gebeutelten Welt nicht nur ihren Mann zu stehen, sondern auch anderen Männern überlegen zu sein. Dabei geht die Protagonistin mit niemandem sonderlich glimpflich um, sie macht alle um sich herum kleiner und sich selbst zu einer ganz großen Persönlichkeit. Der Film ist ein einziges Hohelied auf die Frau. Die einzigen starken Personen im Film sind im Grunde genommen die Frauen. Der einzige Mann, der da halbwegs mithalten kann, ist eigentlich Clark Gables Charakter. Aber er wird als zwielichtig anzusehende Figur eingeführt und es wird immer wieder betont, dass man sich vor ihm in Acht nehmen müsse. Etwas was im Film nie wirklich gelebt wird. Das auch ein Zeichen dafür, dass der Film hier vorhandene Ressentiments der etablierten Südstaatenoberkaste gegenüber Emporkömmlingen auslebt, und nicht als Fakt anzunehmen. Sein Charakter ist schließlich zwar für eine kurze Zeit höchstens auf Augenhöhe mit der Protagonistin (auch wenn das Plakat was anderes propagiert), aber gleichzeitig bremst er sie aus. Das wird vor allem am Ende überdeutlich, als der Film zu drastischen Methoden greift, um Scarlett von ihren von der Gesellschaft und selbst auferlegten Ketten zu befreien. Sinnbildlich wird sogar das eigene Kind als Bremsklotz abgeschafft, damit der Charakter wieder frei sein kann. Sicher kann man den Film auch anders interpretieren, aber diese Lesart ist durchaus erlaubt und zeigt hier einen Charakter, der den großen Antihelden der Neuzeit durchaus die Show stiehlt, da sie sehr gut ausgearbeitet ist, ein absoluter Fiesling/Antiheld und trotzdem menschlich nachvollziehbar. Kurz eine hervorragend ausgearbeitete Hauptfigur. Und dann auch noch weiblich. Eine Schande, dass man hierauf nicht aufbauen konnte, obwohl der Film auch heute noch über jeden Zweifel erhaben ist.
Wie gesagt 10 Punkte.
2. Mother India
Stellvertretend für jegliche Kriegsmami-Story suche ich mir eine der besten Filme zu diesem Thema aus. Das Prinzip dieser Filme ist denkbar einfach: Wir haben gerade einen großen gesellschaftlichen Umbruch und benötigen hier wirklich jede Hand, die hilft. Da ist es "natürlich" naheliegend, dass die Frau für die Kinder da ist. Gleichzeitig ist es in dieser Zeit so, dass sehr oft die Männer einfach nicht da sind (meistens weil sie gefallen sind, im Gefängnis oder einfach abgehauen), also fällt der Frau auch die moralische Aufgabe zu, den Kindern hehre Werte beizubringen. Diese Filme sind also meistens hochmoralisch, erzkonservativ und erheben die Frauen in den Status einer Heiligen. Das ist ein absolut klischeestrotzendes Frauenbild und sollte eigentlich nicht auch noch zelebriert werden, aber wenn es hier auch um einen gesellschaftlich relevanten Zeitpunkt in der Geschichte eines jeweiligen Landes geht, dasnn ist es durchaus angebracht, diesen Kontext im Hinterkopf zu behalten. Mother India erzählt also vom noch jungen Land Indien, wo die Dorbevölkerung von einem Kredithai unterjocht wird und werden kann, da der Fiesling die Leute mit Knebelverträgen einfach am Sack hat. Die Protagonistin ist allein erziehende Mutter dreier Kinder und muss sich auch den sexuellen Avancen des Fieslings erwehren. Da ich nicht davon ausgehe, dass hier auch nur ein Lesender den Film schauen wird, spoilere ich mal, dass es der Familie sogar so schlecht geht, dass das dritte Kind elendlich verhungert. Dennoch gelingt es der Frau die restlichen Kinder irgendwie groß zu ziehen, ohne ihren Körper verschachern zu müssen ("sehr wichtig"). Es kommt wie es kommen muss, die beiden Söhne entwickeln sich konträr, der eine wird belesen und will so gegen den Kredithai vorgehen, der andere wird zu einem Rebell, der am Ende sogar die Tochter des Kredithais entführt. Und ratet mal, wer sich da für die entführte Frau gegen den eigenen Sohn (mit tödlichen Konsequenzen) stellt! Wie gesagt, das ist ein klischeebeladenes Bild einer aufopferungsvollen Mutter, die durch ihr ehrenhaftes Auftreten schließlich zur Mutter der Nation wird, nicht nur der eigenen Kinder, und im Prinzip eine komplette Umkehrung des starken Frauenbildes wie man es heute erwarten würde. Aber erstens funktioniert es im genannten Kontext und zur genannten Periode einwandfrei, inklusive zu dem zeitpunkt vollkommen zu recht kommunistisch angehauchter Wir-Müssen-Alle-am-gleichen-Strang-ziehen-und-Zusammenhalten-Parolen, zweitens ist es eben doch eine starke Frauenfigur, da sie sogar für ihre Prinzipien über den Leichnam des eigenen Sohnes marschiert und drittens ist eine stark geschriebene Figur, wenn sie glaubhaft bleibt und Leute inspiriert, auch dann stark, wenn sie als Figur antiquiert wirken mag. Vor allem im Beispiel von Mother India gilt auch noch, dass hier in einem Land, welches bekannterweise zu den frauenfeindlichsten Ländern der Welt gehört mit einer der höchsten Vergewaltigungsquoten, nun schon vor über 60 Jahren eben jenes Thema sogar recht drastisch adressiert wurde. Das ist nicht antiquiert sondern eigentlich das Gegenteil. Es kommt immer auf den Betrachtungswinkel an.
Ebenfalls 10 Punkte.
Daher also mein Vorschlag an alle Filmschaffenden: Bevor ihr sinnlos irgendwelches Geld in irgendwelchen Pseudoprojekten verpulvert, geht doch bitte in euch und schreibt halt einfach mal gute Stories, denn laut Billy Wilder (glaube ich) sollte das das A und O sein.