Bewertung: 5 / 5
Die Diskussion zu der wahrscheinlich demnächst anstehenden Abstimmung zu den besten Filmen der 1980er hat mich also nun dazu bewogen, ebenso wie MB80 und PaulLeger ein paar Kandidaten in den Topf warfen, eine kleine vergessene Perle der 1980er auszugraben und dem geneigten Leser näher zu bringen.
Und in diesem Fall haben wir es mit einem Film zu tun, der auch abseits seiner Genregrenzen durchaus zu Berühmtheit gelangt ist und auch international als ein ganz Großer Film angesehen wird. In (un)regelmässigen Abständen hat man dann auch das Glück, den Film im deutschen Fernsehen schauen zu können – je nach Sender im Original mit UT (immer vorzuziehen) oder auf Deutsch übersetzt (in diesem Fall auch mehr als brauchbar). Daher hier noch einmal vorab die unbedingte Empfehlung den Film zu kennen.
In der Türkei Anfang der 1980er kurz nach einem gelungenen Staatsstreich mit folgender kontrollierter Ausgangssperre folgen wir einer Handvoll Häftlinge wie sie ihren Hafturlaub begehen. Dabei wird ein Kaleidoskop der türkischen Gesellschaft im Groben und den vielen größeren und kleineren Repressarien und den festgefahrenen Traditionen aufgezeigt. Das Potpourri reicht vom westen bis in den tiefsten Osten der Republik und zeigt unter anderem sowohl die immer stärker werdende Islamisierung sowie den Streit um Kurdistan und dazwischen immer wieder die verschiedensten Unmöglichkeiten eines „Boy meets Girl“ und wie eine Gesellschaft, die ohnehin schon an den Rand gedrängt ist, auch die Liebenden zermalmen und an einen noch weiter äußeren Rand zu drängen in der Lage ist.
Eines kann ich schonmal Vorweg nehmen: Ein klassisches Happy End in dem Sinne braucht hier keiner erwarten, da der Film mehr eine bittere Momentaufnahme darstellt als eine auf Box Office bedachte Inszenierung ist.
Die Darsteller bieten die Speerspitze der intellektuellen Darstellerelite des Früh-1980er-Kinos der Türkei auf und es fehlen eigentlich nur die Namen, die zum einen wirklich kommerziell sind oder halt eben eine gänzlich andere politische Sichtweise als die des Filmes einnehmen. Und so fällt auch keiner wirklich ab, es gibt ab und zu den einen oder anderen Darsteller(in), der wie ein Brot aus der Wäsche schaut, aber das enorm wuchtige Skript kann dies mühelos übertünchen.
Die Regie des Films ist schnörkellos und leistet sich keinerlei Fehler, so dass es sich komplett nach dem großartigen Skript richten kann. Ab und zu blitzt eine gewisse Klasse auf aber so richtig überragend wird sie nie.
Schnitt und Musik sind völlig ok und zeugen von Handwerk, nicht mehr und nicht weniger. Aber bei so einem Film braucht man ja auch keine Morricone Operette, Schiffrin Jazz oder Zimmer Bombast, insofern auch das mehr als nur passend.
Bevor wir also zum Prunkstück – dem Skript – zu sprechen kommen, hier noch ein kleiner Exkurs, der das alles helfen soll ein bißchen einzuordnen ;-)
Der Drehbuchautor des vorliegenden Werkes ist niemand geringeres als ein gewisser Yilmaz Güney – Trommelwirbel – seines Zeichens „Der Häßliche König“ genannt. Zu seiner Zeit war er DER Superstar des türkischen Kinos und konnte sich scheinbar mühelos zwischen belanglosem und sehr erfolgreichem Kommerz und innereuropäisch anerkannter Kunst bewegen, ohne dass das eine das andere irgendwie negativ behindern konnte. Das lag zum einen an seiner irgendwie schäbigen aber coolen Aura, weshalb er immer als der aus dem Volk angesehen werden konnte, und zum anderen auch immer an seinem volksnahen, linken Gebaren.
Seine künstlerisch ambitionierten Werke waren sehr nah am italienischen Neorealismus geprägt, vermengt mit einer bizarr nihilistischen Menschensicht, sehr nah am Kunstkino Italiens der 1970er, jedoch immer typisch türkisch. Und wie es nun mal üblich für jene Zeit ist, ist es als liberaler Filmemacher immer en vogue möglichst links zu stehen. Solange er nicht mit dem Dampfhammer seine Message unters Volk bringen möchte, sind seine Filme auch immer sehr sehenswerte Zeitdokumente, die auch heute noch stark zu fesseln in der Lage sind. Dabei ist der bildliche Regisseur Güney auch deutlich dem Drehbuchautor Güney immer wieder überlegen, so dass er seine manipulativen Messages auch bildgewaltig und passend ans Volk zu bringen in der Lage ist.
Und manipulativ ist auch schon das nächste Stichwort: Denn so liberal, links und volksnah der Kerl auch oberflächlich ist, genauso rechthaberisch und dem Zuschauer seine Meinung manipulativ auf oktruierend ist der Mann. Was vor allem in seinen wichtig gemeinten Filmen immer sehr problematisch ist. Nur ein Beispiel: Sein Klassiker Freund handelt von einem Dandy, der von seinem Jugendfreund wieder auf den „rechten Pfad des Gemeinschaftsdenkens“ gebracht wird, seine eigene kümmerliche Existensz aber nicht ändern kann, daran zerbricht und Selbstmord begeht. Die Probleme in dem Film sind mannigfaltig: Erstens das sogenannte Gemeinschaftsdenken resultiert darin, dass sich EIN Mann zum neuen Monopolisten hochschaukelt und die armen verhungern lässt. Dies wird als Fortschritt deklariert. Und dieser Widerspruch erst gar nicht angesprochen, wird ja keiner merken. Zweitens kümmert es den linken (in diesem Fall wahrsten Sinne des Wortes) Freund einen Scheiss kein Deut, dass der Freund sich gerade erschossen hat, statt dessen aquieriert er einen jugendlichen bisherigen Nichtsnutz (was dadurch definiert wird, dass er lange Haare hat) für die gute Sache, nachdem dieser sich die Haare geschnitten hat und dadurch zeigt, dass er die Ärmel hochgekrempelt hat. Ganz zu schweigen davon, dass der Film auch noch ein ziemlich fragwürdiges Frauenbild hat.
Kurzer Umriss der Historie des Skriptes: Also dieser Häßliche König begeht ein Verbrechen, kommt in den Knast, das Millitär putscht und macht Jagd auf „linkes Gesocks“. Ihr wisst schon die übliche Geschichte der 1970er, wo ja vor allem der Ost-West-Konflikt für die Jagd nach linken Schnorrern geblasen hat. Da der Mann ja bekanntlich links war, hatte er natürlich Angst um sein Leben und in einer spektakulären Flucht entkam er dem Gefängnis und floh ins Ausland. Seine Gefängniserfahrungen konnte er in einigen Drehbüchern festhalten, und Yol ist der erste dieser losen Reihe von Filmen, die dann verfilmt wurden. Und er ist der einzige, der tatsächlich in der Türkei von seinen türkischen Kollegen realisiert werden konnte.
Die Geschichte besagt, dass die einzelnen Filmrollen dann in getrennten Wegen den Weg nach Cannes fanden, da der Film politisches Dynamit sei, wo er dann im jeweiligen Jahr dann auch die Goldene Palme gewann.
Was nun den vorliegenden Film tatsächlich so stark macht, ist eben das extrem authentische Skript, dem man anmekrt, dass da einer aus dem Nähkästchen plaudert. Hinzu kommt, dass man mit einem bestenfalls soliden Regisseur wie Serif Gören eben einen Mann hat, der eben nicht zu unnötiger Manipulation einlädt, sondern die Geschichte für sich sprechen lässt, keine einzelne Person verteufelt, sondern die Geselsschaft und die Strukturen eben ins richtige (eben falsche) Licht rückt. Güney hat sich von der Realität inspirieren lassen für sein Skript und auch mit seinem üblichen Machismo abgeschlossen. Im Prinzip ist der Film neben seiner Bestandsaufnahme eines zutiefst gespaltenen Landes auch noch seine Entschuldigung an dem weiblichen Geschlecht als Repräsentant der männlichen Spezies seines Landes. Und seine gebrochenen männlichen Figuren können sich in dieser Gesellschaft nicht über das große Ganze stellen. Jeder vereinzelte Versuch diesbezüglich ist zum bittersten Scheitern verurteilt.
Aber auch sonst legt er in vielerlei Bereichen den Finger in die Wunde. So wird beispielsweise eine Region ganz deutlich als Kurdistan tituliert. Etwas was bis heute in der Türkei nicht anerkannt ist und weshalb der Film dort auch bis heute in der ungeschnittenen Fassung verboten ist. Und dabei ist das der kleinste inhaltliche Punkt, der anprangert.
Der Film ist ganz gross, und gerade in einer Zeit, wo ein gewisser rechter Zeitgenosse wie Cüneyt Arkin sich anschickte, mit solchen Machwerken wie „The Man Who Saves he World“ das türkische Kino als Turksploitation quasi im Alleingang weltbekannt machte und in ein fragwürdiges Licht rückte, ein letztes verzweifeltes Aufbäumen der linken intellektuellen Elite gegen das Abrutschen in die Belang- und Beduetungslosigkeit. Vergebens. Die Quasi-Fortsetzung „Die Mauer“ wurde dann schon nicht mehr durch Türken realisiert und ist noch bitterer und hoffnungsloser.
Ich gehe nun mal sehr weit und sehe diesen Film als einen der besten Filme der 1980er überhaupt an, mindestens in den Top 5 und den besten türkischen Film aller Zeiten!