Bewertung: 5 / 5
Darren Aronofskys neuestes Werk mother! ist seit Donnerstag in den Kinos. Ich kannte persönlich einzig den Schwarzbild-Trailer mit den Stimmen und bin ansonsten völlig unbelastet in den Film gegangen. Die sehr gemischten Kritiken machten mir zwar leichte Sorgen, letztlich waren diese, soviel sei vorab gesagt, jedoch gänzlich unbegründet. Allerdings, und auch das schicke ich vorweg, muss man imstande sein die Allegorie des Films zu verstehen, um sich letztlich wirklich davon mitreißen zu lassen.
Trailer zu mother!
Diese Review wird vielmehr in Richtung einer Analyse gehen und dabei werde ich nicht explizit auf Spoiler verzichten. Den Film sollte man ohnehin selbst für sich erfahren und dabei nicht allzu viel Vorwissen mit hineinnehmen. Das Fazit ganz unten werde ich spoilerfrei gestalten, sodass der interessierte Leser sich eine kurze Einschätzung zum Film dort abholen kann, sofern er noch unentschlossen ist ob er dem Film im Kino eine Chance geben sollte.
Nochmal der Klarheit halber: Diese Kritik beinhaltet SPOILER zur Bedeutungsebene des Films und richtet sich daher relativ klar an diejenigen, die den Film bereits gesehen haben. Diese Vorgehensweise ist für mich persönlich zwar eher ungewöhnlich, aber ich habe das Gefühl diesem Film nicht zur Gänze gerecht werden zu können, ohne bestimmte Umstände und Ideen zu erläutern, um meine Wertung zu begründen. Alles was in Spoilerwarnung gesetzt ist, sollte ohne Kenntnis des Films nicht gelesen werden, alles andere ist spoilerfrei gehalten.
Erklärung der Story:
Jennifer Lawrence namenlose Figur, die in diesem Kontext schlicht "Mother" heißen könnte, lebt mit ihrem Mann, einem ebenfalls namenlosen Schriftsteller, in einem Haus, welches sie allein völlig renoviert hat. Dass hier bereits die Metaebene des Films in vollem Gange ist und sich die Idee der Geschichte von der ersten bis zur letzten Minute entfaltet und wieder in sich selbst zurückfällt, wird vermutlich nicht jedem sofort klar. Auch wem wir als Zuschauer hier eigentlich folgen wird erst im Laufe der Geschichte wirklich klar, doch die ersten Hinweise streut Aronofsky bereits mit dem Wenigen was wir über die Figuren wissen aus, sodass man seiner ausgiebigen Symbolik folgen kann, sofern man die Augen offen hält.
Wir folgen im Kern der Geschichte nicht einem Menschen; es ist keine Person, die wir durch die Kameraführung, welche sich überwiegend sehr nah an Lawrence Figur anschmiegt, verfolgen, es ist vielmehr ein abstraktes Konstrukt eines Konzeptes welches jeder Schriftsteller, oder vielmehr jeder Künstler an sich kennt: Die Muse, die Kreativität, der Funke des Schaffens, aber auch das Werk selbst. Lawrence verkörpert diese und wir folgen ihrem Weg von ihrer Geburt bis hin zu ihrem Untergang durch den Eingang in die (Pop-)Kultur. Während der Laufzeit des Films sehen wir als Zuschauer wie (ich werde sie im Folgenden der Einfachheit halber so bezeichnen) Mother gemeinsam mit Bardems Figur (ich nenne ihn der Einfachheit halber mal so) Künstler in diesem gemeinsam erschaffenen Haus lebt. Dieses Haus ist die bis zu einem Grad gereifte Idee, die der Künstler mit seiner Muse Mother erschaffen hat. Jedoch hat der Künstler eine Blockade, er kann nicht schreiben, da ihm der Funke fehlt, die Zündung seiner Idee.
Und an dieser Stelle kommt Ed Harris mit seiner Familie ins Spiel. Diese Gruppe Menschen zieht nach und nach in das Konstrukt des gemeinsamen Hauses ein. Die Ideen von außen sind es, die sich in der Idee, zunächst noch die von Mother und dem Künstler, einnisten und diese so weit strapazieren, belasten und einnehmen, bis sich der Funke löst. Währenddessen sieht man immer wieder wie andere Menschen im Haus streichen oder Veränderungen vornehmen, wie sie Dinge dort liegen lassen, die die Idee und das Haus erschüttern. Der Künstler und Mother erschaffen daraufhin ein neues Leben, ein neues Werk, zusammen. Mother wird schwanger und die Idee wächst in ihr heran, die Bedeutung bildet sich heraus. Währenddessen schreibt der Künstler wie im Wahn sein neues Buch.
Das Buch wird veröffentlicht und die Menschen lieben es, sie verehren den Künstler, sie kommen in sein Haus, auch sie nisten sich dort ein. Einige arbeiten weiter daran, streichen, bearbeiten, reparieren - aber viele zerstören auch, gestalten um, nehmen Dinge daraus mit. Die Interpretation vieler verschiedener Geister wird hier visuell auf höchst eindringliche Weise aus der Perspektive der Muse selbst gezeigt. Sie entreißen der Idee von Mother und dem Künstler nach und nach ihre Bestandteile. Das Haus steht dabei meiner Meinung nach symbolisch für die intimste Zone des Werkes, den Teil der Geschichte die dem Künstler von seiner Muse Mother geschenkt wurde. Und aus ihrer Perspektive sehen wir wie diese Intimität mehr und mehr von außen zerstört und geschändet wird. Am Ende dieses Weges steht das gemeinsame Kind - die innerste Bedeutung der Muse, das letzte was sie zu geben hat bevor sie obsolet wird. Sie versucht es so lange zu schützen wie sie kann, bis der Künstler auch dieses letzte Bisschen von ihr hinausträgt. Und selbst diese letzte Gabe nehmen die Verehrer und zerfetzen sie, konsumieren und verinnerlichen sie vor den entsetzten Augen von Mother, all ihr Dasein geht in der Leserschaft unter, die ihr jede Form von Bedeutung entreißen.
Der Kreis schließt sich am Ende indem der Film endet wie er begann - Der Künstler stellt das Herz seiner letzten Geschichte auf das Regal, als Kristall, als innerste Essenz dessen was seine Muse ausmachte - und eine neue Mother erwacht in dem gleichen Bett in dem Lawrence ganz zu Beginn erwachte, der Kreislauf der kreativen Schöpfung beginnt erneut und als Zuschauer weiß man bereits wie er enden wird. Ist man jedoch imstande diesem Gedankengang zu folgen und all die Puzzleteile im Kontext des kreativen Schaffensprozesses zu sehen, kommt man nicht umhin Aronofsky für seinen Mut und seine Genialität in der Umsetzung dieser nahezu perfekten Allegorie eines abstrakten Konstruktes in Filmform zu applaudieren.
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Offene Review:
Darren Aronofsky erschafft mit Mother! ein geniales und kreativ höchst interessantes Konstrukt, welches unter Garantie erst bei weiteren Sichtungen sein volles Potenzial ausschöpfen können wird. Trotzdem ist selbst auf der Oberfläche festzuhalten, dass sowohl Lawrence brilliante Performance als Mother und die nicht minder genialen Leistungen des übrigen Casts Hand in Hand gehen mit der visuell höchst intimen und gekonnten Umsetzung.
Die sehr abstrakte Grundidee des Films ist dabei Fluch und Segen zugleich, kann man ihr nicht folgen, bzw. versteht man das Ziel nicht auf das der Regisseur hinaus will, wird einen die scheinbar zusammenhanglose Geschichte vermutlich schnell verschrecken, irritieren oder gar langweilen. Kommt einem jedoch an der richtigen Stelle der richtige Gedanke wird einen der Film nicht nur durch das gewagte Bild- und Tondesign - es gibt keinen Score(!) - in seinen Bann ziehen, sondern einen auch durch die kongenialie Umsetzung seiner Ideen begeistern.
Dem Regisseur gelingt es mit mother! eine völlig abstrakte Idee in eine filmische Form zu bringen, die sicherlich nicht jedermanns Sache sein kann oder wird. Was auf der Oberfläche als Mystery/Horror-Thriller daherkommt, ist eigentlich nur die Fassade einer viel tiefergehenden Thematik. Dabei bedient er sich nicht nur visuell vieler Stilmittel: Intimität durch die Kamera, die Lawrence auf Schritt und Tritt folgt, starke Subjektivität dadurch, dass wir stets nur sehen was Mother sieht und vor allem das oft sehr klaustrophobische Framing; er verzichtet auch auf einen Score.
Das Sounddesign des Filmes ist via Surround auch als extrem klaustrophobisch zu bezeichnen und wir haben stets Mothers Wahrnehmung als die des Zuschauers. All das sorgt dafür, dass man vom Film psychisch sehr gefordert wird, da er einen an der Hand durch seinen kreativen Wust an Ideen führt. Der rote Faden wird dabei nie verloren, alles folgt in einer atemberaubenden Stringenz der streng allegorischen Grundlage des Films und man wird nach etwa zwei Stunden vermutlich fast schon körperlich erschöpft den Kinosaal verlassen.
Dabei wird sich mancher fragen, was er dort eigentlich zu Gesicht bekommen hat und nur Kopfschütteln für mother! übrig haben. Mich persönlich hat der Film abgeholt, durch seine Ideen gefesselt, mitgenommen und nachdem ich irgendwo auf halber Strecke dahintergestiegen war, was Aronofsky da eigentlich macht, nicht mehr losgelassen bis die Credits durchgelaufen waren. Dieser wahrhaftige Sturm aus Brillianz den Aronofsky auf den Zuschauer loslässt kann von meiner Seite nur mit der Höchstwertung von
10/10 Punkten bzw. 5/5 Hüten bewertet werden
und bekommt eine absolute Empfehlung zur Kinoansicht.
Ich bitte die sonderbare Form meiner Kritik nochmals zu entschuldigen, aber ich wollte versuchen meine Eindrücke mit meiner Interpretation zu verknüpfen und somit für jeden Leser einen Ansatz zu bieten. Über jedwedes Feedback bin ich jedenfalls dankbar und hoffe die Kritik gefiel euch trotzdem.