Bewertung: 4.5 / 5
Ein Jahr nach dem Verschwinden ihres Ehemannes Kane ist die Biologieprofessorin Lena endlich bereit mit ihrem Leben weiterzumachen, als Kane plötzlich mitten in ihrem Schlafzimmer steht. Die Verwunderung ist groß, vor allem da Kane sich nur bruchstückhaft erinnern kann, wo er vom Militär hingeschickt wurde und wo er das Jahr denn nun verbracht hat. Als dann urplötzlich seine Organe versagen und sein Krankenwagen auf dem Highway von der Regierung abgefangen wird, wird klar, dass hier was großes läuft. Kane war im „Shimmer“, einem Gebiet in einem ehemaligen Nationalpark, das von einem schimmernden Kraftfeld umgeben ist. Alle Expeditionen ins Shimmer sind bisher spurlos verschwunden, Kane ist der einzige, der es zurückgeschafft hat. Um eine Rettung für Kane zu finden, schließt Lena sich der nächsten Expedition zum Urpsrung des Shimmers, einem Leuchtturm, unter Dr. Ventress an. Doch neben der aggressiven Flora und Fauna, scheint das Shimmer die Expeditionsteilnehmerinnen sogar auf zellulärer Ebene anzugreifen...
Es ist mittlerweile nichts neues mehr, wenn man sagt, die Netflix Original-Filme wären eher Ausschussware. Als „The Cloverfield Paradox“ überraschend auf der Streamingplattform landete, war die Freude erst groß, aber langsam stellte sich die Einsicht ein, dass Paramount den Film nur loswerden wollte, weil man fürchtete, er würde im Kino niemals seine Kosten einspielen können. Ein ähnliches Schicksal hat nun auch „Auslöschung“ ereilt, den die Produzenten für zu zerebral und intelligent hielten, um seine 40 Millionen Dollar Budget wieder einzuspielen. Im Gegensatz zu „The Cloverfield Paradox“ ist „Annihilation“ (so der Originaltitel) aber ein guter Film geworden, der die Hoffnung auf gute und vor allem niveauvolle Unterhaltung nach den anderen Netflix-Graupen wieder aufkeimen lässt.
Trailer zu Auslöschung
Verantwortlich zeichnet sich Alex Garland, der bereits mit „Ex Machina“ bewiesen hat, dass er hintergründige Science Fiction in ein ansprechendes Paket verpacken kann, das mit mehreren Bedeutungsebenen aufwartet. Ging es in „Ex Machina“ noch darum, was „Bewusstsein“ überhaupt bedeutet und entlarvte er nebenher zusätzlich das Frauenbild seiner zwei Hauptfiguren (und damit eines nicht geringen Teils des männlichen Publikums), geht es in „Annihilation“ um Traumabewältigung, aber auch um die menschliche Natur selbst. Sind wir inhärent selbstzerstörerisch? Die von Jennifer Jason Leigh verkörperte Dr. Ventress stimmt dem zu: wir sind auf molekularer Ebene dazu programmiert, uns selbst kaputt zu machen. Auch Protagonistin Lena scheint dem zuzustimmen, wenn sie das Altern als Gendefekt bezeichnet, den Verfall des Menschen als wider der Natur einschätzt. Öfter wird auch auf den Krebs Bezug genommen, der den Menschen von innen zerfrisst und der von den eigenen Zellen ausgelöst wird.
Doch genau an dieser Stelle kommt das Shimmer ins Spiel, denn es ist mehr als nur ein Kraftfeld. Wie eine der Frauen uns erklärt, ist das Shimmer ein Prisma, der nicht nur Licht, sondern gleich alles, also gar die Realität selbst, bricht. Und wie ein Prisma, der uns die Zusammensetzung des Lichts zeigen kann, kann das Shimmer uns auch unsere Zusammensetzung zeigen. So ergibt es nur Sinn, dass die Frauen, die die Expedition zum Leuchtturm auf sich nehmen, alle Aspekte der anderen in sich aufweisen („Were all damaged goods“ informiert uns Tuva Novotny als Cass), die aber mit ihren Problemen auf unterschiedliche Weise umgehen. Alle Frauen sind auf ihre Art selbstzerstörerisch, alleine schon aufgrund der Tatsache, dass sie sich zu einer Mission ohne Wiederkehr melden. Aber wir lernen auch, dass sie drogenabhängig waren, sich geschnitten oder ihre eigentlich glücklichen Ehen korrumpiert haben. „Warum“ fragt der Zuschauer und der Film hat eine Antwort parat: wir schaden uns selbst, nicht weil wir sterben, sondern weil wir uns lebendig fühlen wollen. Doch dieses Gefühl ist ein Trugschluss, wie wir erfahren müssen: auch dieses Verhalten wird in unserem Tod enden, wie wir eindrucksvoll an einem Soldaten sehen, dessen Eingeweide (wo wir gerne mal Gefühle verorten – man denke an den englischen Ausspruch „I can feel it in my guts“) ein Eigenleben entwickeln, was ihn letztendlich umbringt. Und letzten Endes ist es nur logisch, dass man dem Shimmer nur entkommen kann, wenn man seine destruktiven Eigenschaften hinter sich lässt – auch wenn das eine beängstigende Veränderung der eigenen Identität nach sich zieht.
„Annihilation“ hat aber nicht nur anregende Ideen zu bieten, sondern ist zusätzlich noch wunderbar inszeniert. In den letzten Jahren erlebt der langsame, bedächtig inszenierte Science Fiction-Film eine kleine Renaissance, da muss man sich nur Garlands eigenes Schaffen, aber auch Denis Villeneuves letzte Arbeiten ansehen. Auch „Auslöschung“ ist ruhig erzählt, es geht mehr um Stimmung und Atmosphäre als um Thrill oder Schauwerte. Einige Reviews vergleichen sogar mit Andrej Tarkowski, dieser Vergleich ist aber, bis auf ein paar Handlungselemente, verfehlt, so langsam ist „Annihilation“ dann doch nicht. Garland beweist aber wieder mal Gespür für evokative Bilder, die die Handlung mit Subtext füllen. Gerade sein Einsatz von vertikalen Linien, der die Charaktere nahezu gefangennimmt, zeigt, wie sehr er in der Lage ist, eine Geschichte wirklich visuell zu erzählen.
Der Film ist zusätzlich hochwertig besetzt, vor allem Hauptdarstellerin Natalie Portman darf sich durch alle Emotionen spielen und brilliert dabei. Die große Überraschung dürfte aber Tessa Thompson sein, die letztes Jahr in „Thor: Ragnarok“ als Valkyrie die typische Actionheldin geben durfte. Von der könnte die Rolle der Josie aber nicht weiter entfernt sein, die das verletzliche Mitglied der Gruppe darstellt. Und diese spielt Thompson mehr als überzeugend, ihre Inaktivität wirkt nie aufgesetzt, sie beweist hier, dass sie durchaus Reichweite hat.
Mit „Auslöschung“ hat Netflix dieses Jahr den ersten wirklichen Glücksgriff getätigt, der vielschichtig daherkommt und spannend unterhalten kann. Vielleicht nicht so gut wie Garlands Vorgänger, aber da meckert man auf hohem Niveau.