Bewertung: 4.5 / 5
Michael "Bully" Herbig. Ein Name, der aus der deutschen TV-Landschaft, nein aus der gesamten deutschen Unterhaltungsbranche für Jahre kaum wegzudenken war. Die Bullyparade als erfolgreiches TV-Format gebar gleich vier filmische Adaptionen von unterschiedlicher Qualität in Form von Der Schuh des Manitu, (T)Raumschiff Surprise - Periode 1, Lissy und der Wilde Kaiser und Bullyparade - Der Film. Außerdem gelang ihm eine hervorragende filmische Adaption von Wickie und die starken Männer für die Leinwand. Doch kann er sich von seinem "Fach" lösen, die Komödie hinter sich lassen und in einem neuen Genre beweisen? Ballon, sein neuester Film erzählt von der Flucht zweier Familien aus der DDR und ist klar als Thriller inszeniert. Beweist Herbig seine Vielseitigkeit, oder scheitert er an dem Versuch seinen Horizont als Regisseur zu erweitern?
Trailer zu Ballon
Inhalt:
1979 in Thüringen haben die beiden Familien Strelzyk und Wetzel den Plan die Grenze der DDR in einem Ballon zu überfliegen. Doch der Ballon scheint zu klein, die Planung nicht ausreichend. Günter Wetzel entscheidet in letzter Minute das Vorhaben nicht mitzumachen und Peter Strelzyk fliegt mit seiner Familie alleine los. Doch der Plan scheitert, der Ballon kommt zu früh wieder herunter und die geplante Grenzüberschreitung misslingt. Was folgt ist ein Rennen gegen die Zeit, bei der die Stasi beiden Familien konsequent näher kommt, während diese probieren, von tausenden Augen ungesehen, das Unmögliche möglich zu machen...
Kritik:
Ballon lässt sich bereits spannend an, wenn der Plot beinahe unmittelbar vor dem ersten Fluchtversuch der beiden Familien einsetzt und mit der Jugendweihe Frank Strelzyks einen bedrückend unmittelbaren Einstieg wagt. Herbig wirft seinen Zuschauer in den ersten Minuten hinein in ein Regime, welches für heutige Generationen nur noch schwer vorstellbar scheint, insbesondere wenn sie nie Teil davon waren. Eindringlich beginnen schon hier die Blicke, die als Stilmittel durch den gesamten Film führen werden. Denn die DDR als überwachender Staat, als Big Brother, in dem jeder einzelne ein möglicher Spitzel ist und man stets nur das weiß, was die Menschen voneinander preiszugeben bereit sind, ist ein Setting, welches für einen Thriller nicht besser auszudenken wäre. Und wenn im Laufe des Films nach und nach immer greifbarer wird, wie viel an Maschinerie innerhalb dieser Gesellschaft dahintersteckt, wird einem als Zuschauer automatisch ähnlich mulmig wie den Figuren.
Die Darstellerriege bestehend aus Karoline Schuch und Friedrich Mücke als Doris und Peter Strelzyk, ihrem Sohn Frank, gespielt von Jonas Holdenrieder und den Wetzels Günter und Petra, verkörpert durch den gewohnt großartigen David Kross und Alicia von Rittberg macht einen hervorragenden Eindruck und trägt mühelos durch die eindringlich inszenierte Handlung. Auf Stasi-Seite haben wir insbesondere den kongenial aufspielenden Thomas Kretschmann als Oberstleutnant Seidel, der die Grenze zwischen Charme, Regimetreue und brutaler Härte so gekonnt abschreitet, dass man bei aller Abscheu für seine Figur stets einen gewissen Respekt für ihn hegen will. Daneben findet sich eine große Gruppe von Nebendarstellern, die allesamt toll aufspielen und deren Rollen sich alle angenehm lebendig und menschlich anfühlen.
Menschlich ist überhaupt das Stichwort, welches hier einen ganz großen Stellenwert besitzt, denn auf dieser Ebene weiß Herbig absolut zu begeistern. Die Klaviatur des Thrillers mit all ihren Stellschrauben für Spannung und Intensität beherrscht er als hätte er nie etwas anderes gemacht, doch auf einer Ebene wo viele andere versagen brilliert er genauso: den Figuren. Die Emotion ist stets spürbar, die Entwicklung innerhalb der Figurenkonstellation, im Zwischenmenschlichen und auch bei den Ängsten und Sorgen der Charaktere, ist immer präsent und wichtiger Bestandteil der Umsetzung. Mit diesem Element steht und fällt die Involvierung des Zuschauers und Herbig holt seinen Zuschauer ab und setzt ihn stets mitten ins Geschehen. Er ist durchgehend nah an seinen Charakteren und lässt ihre Emotion durch die Leinwand in den Zuschauerraum fließen. Ganz große Leistung und ein nicht zu unterschätzender Faktor für die Spannung des Films an sich.
Diese wird noch weiter unterstützt von Ralf Wengenmayr und Marvin Millers perfektem Score, an dem sich jede Szene beinahe symbiotisch entlang bewegt. Die Musik sitzt nicht nur in den emotionalen Momenten des Films, sondern auch und insbesondere in der Unterstützung seiner Handlung. Man spürt bereits über die Musik wer die "Guten" und wer die "Bösen" sind, ohne dabei jedoch in der Charakterzeichnung plakativ zu werden. Die DDR ist nicht per se "Böse", das System nicht schlecht an sich; nur nehmen wir als Zuschauer eben die Sichtweise unserer Charaktere auf und diese wollen aus, für sie guten, Gründen flüchten und dieses System verlassen. Die Musik schwillt an, wenn es spannend wird, stützt unser Empfinden beim Zusehen zu jedem Zeitpunkt und drängt sich doch nie in den Vordergrund oder wirkt penetrant. Ein Score wie er sein muss, gekonnt und on point.
Zuletzt noch ein paar Worte zu Torsten Breuer an der Kamera und Alexander Dittners Schnitt, ohne die Herbigs Vision sicherlich nicht die Intensität und das Produktionsniveau erreicht hätte, die sie besitzt. Wüsste man es nicht besser, würde man denken man befinde sich in Hollywood. Die oft leicht hölzerne, irgendwie dezent amateurhafte Produktion aus deutschen Landen, die manche unserer Filme umschwebt, ist hier non-existent. Die Bilder sind grandios, der Schnitt auf den Punkt und die Ideen bei der Kameraarbeit lassen den Film stets perfekt im Fluss bleiben ohne dabei das Wesentliche aus dem Fokus zu verlieren. Keine Szene wirkt gestreckt oder zu viel, jeder Moment ist so wie er ist passend als Puzzleteil des Gesamtkonstruktes. Meisterlich!
Fazit:
Ballon ist für mich ganz persönlich der Film Herbigs gewesen, auf den ich seit längerem gewartet habe. Nicht dieser Film an sich, sondern eben die Loslösung von Altbekanntem und der Schritt hin zu einem Regisseur der sich aus seinem Fach - der Komödie - heraustraut und zeigt was er zu leisten vermag. Denn "Bully" war ja bereits mit seiner starken Inszenierung anderer seiner Filme aufgefallen. Doch immer hatte er sich selbst gewissermaßen Beschränkungen durch die Auswahl seiner Stoffe auferlegt - sei es beim Schuh des Manitu, der aus der Bullyparade erwuchs, oder auch bei Wickie, der sich der TV-Kinderserie unterwarf. Hier blieben ihm nun beinahe alle Freiheiten und er bringt seine Vision eindrucksvoll in den Kinosaal. Die Figuren, der Score, die Kamera, die Handlung - Ballon ist so nah an perfekt als Gesamtpaket, dass man Herbig applaudieren möchte. Den einen oder anderen dramaturgischen Kniff zur Spannungserzeugung verzeiht man dann auch gerne, wenn das Ergebnis letztlich so dermaßen rund ist und sich als Zuschauer so grandios anfühlt. Für mich war Ballon nicht nur Herbigs bisher bester Film, sondern auch einer der besten deutschen Filme der letzten 20 Jahre und von mir gibt es dementsprechend wohlverdiente
9,5/10 Punkte bzw 4,5/5 Hüte
und dazu die klare Empfehlung sich dieses großartige Kinoerlebnis nicht entgehen zu lassen.