Bewertung: 5 / 5
Antarktis, Winter 1982: die Nerven in der amerikanischen Forschungsstation liegen bereits blank, da kommt von der norwegischen Station zu allem Überfluss noch ein Helikopter angeflogen, dessen Besatzung auf der Jagd nach einem Hund wild um sich ballert. Nachdem die Besatzung des Helikopters beseitigt ist, macht sich der Pilot MacReady auf den Weg zur Station der Skandinavier. Dort angekommen muss er feststellen, dass von der Forschergruppe niemand mehr lebt. Anscheinend haben die Norweger im ewigen Eis einen außerirdischen Organismus gefunden, der in der Lage ist, alles und jeden zu assimilieren und zu imitieren. Zurück in der amerikanischen Station macht sich das „Ding“ auch schon bald bemerkbar. Ein Katz und Maus-Spiel zwischen den Forschern und dem Alien entwickelt sich, bei dem sich keiner mehr sicher sein kann, wer Freund oder Feind ist...
Manche Filme haben einfach ein schreckliches Timing. So auch John Carpenters „Das Ding aus einer anderen Welt“, der blöderweise im Jahr 1982 veröffentlicht wurde. Warum blöderweise? Weil 82 das Jahr von „E.T. - der Außerirdische“ war. Dementsprechend war dem Publikum nicht besonders nach ernstem SciFi-Horror, einige Kritiker sollen den Film sogar für anstößig gehalten haben. Was für den Howard Hawks-Fanatiker Carpenter wohl ein Traumprojekt war, denn Hawks produzierte das Original aus den 1950ern, entpuppte sich als Film, der seiner Karriere den ersten ordentlichen Knick verpassen konnte. Erst auf dem Heimvideomarkt konnte „Das Ding aus einer anderen Welt“ dann endlich sein Publikum finden und mauserte sich in den folgenden Jahren daher zu einem Kultfilm.
John Carpenter hat irgendwann mal behauptet, es gäbe im Grunde genommen nur zwei Horrorgeschichten: „Das Böse ist da draußen!“ und „Das Böse ist in uns!“ In „Das Ding aus einer anderen Welt“ verbindet Carpenter nun diese beiden Ansätze zu einem paranoiden Lehrstück in Sachen Körperhorror. Sind Carpenters Charaktere bereits zu Beginn dem Wahnsinn nahe und kurz davor sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen, verwandeln sie sich im Verlauf der Handlung zu einer Ansammlung misstrauischer Irrer, die das Pulverfass Forschungsstation jederzeit in die Luft jagen könnten. Der Kniff dabei ist, dass Carpenter den Zuschauer die meiste Zeit im Dunkeln darüber lässt, wer gerade das Monster sein könnte und wer nicht. Man befindet sich immer auf der Höhe der Charaktere, versucht verzweifelt mit ihnen zu erahnen, wem man nicht den Rücken zudrehen sollte. Das schafft Carpenter vor allem dadurch, dass er der Handlung einige Lücken verpasst hat, in denen nahezu jeder der Charaktere hätte assimiliert werden können. Hinzukommt, dass nie ganz geklärt wird, wie das „Ding“ letztlich funktioniert. Einerseits scheint es den Körper seiner Opfer in sich aufzunehmen (Blair spricht von „Verdauung“), andererseits zeigt eine Computersimulation eine Art viraler Übertragung. Aber gerade diese Unsicherheit ist es, die dem Monster seine Unverständlichkeit verschafft (es ist „alien“ im eigentlichen Wortsinne), die wiederum das Misstrauen unter den Männern und beim Zuschauer nährt.
Dabei fällt es nicht schwer, eine tiefere Bedeutungsebene in das Monster hineinzulesen: erst im Dezember 1981 wurde AIDS erstmals als Krankheit anerkannt. Die Krankheit war zu diesem Zeitpunkt noch wenig erforscht und noch weniger war in der Bevölkerung über sie bekannt. In „Das Ding aus einer anderen Welt“ sehen wir dann eine Gruppe Männer, die sich gegen einen unbekannten Feind verteidigen müssen, der sich in ihrem Blut (und ein Bluttest ist hier eine der größten Spannungsszenen) befinden könnte. Dabei sind die Monsterattacken explizit sexuell kodiert: wenn das Hunde-Ding aufbricht, „ejakuliert“ es eine schleimige Flüssigkeit in Richtung der anderen Hunde und der Menschen, es reißt den Männern die Kleidung vom Leib, wenn es sie übernimmt. Am Deutlichsten wird dies aber in der Szene, in der Norris sich verwandelt. Norris liegt auf einem Tisch, während der Doc versucht ihn wiederzubeleben. Als erste Hilfe keine Wirkung zeigt, wechselt er zum Defibrillator. Durch die Elektroschocks in die Enge getrieben, verwandelt sich Norris Brust in eine riesige Vagina Dentata, die dem Doc auch sogleich die Hände abbeißt. Doch damit nicht genug, gebiert das Ding sogleich noch ein zweites Wesen, das per Nabelschnur mit dem Norris-Ding verbunden ist. Die Aussage ist klar, aus dem infizierten Wesen kann nichts gesundes mehr entwachsen.
Für die psychosexuellen Alpträume zeichnet sich Special Effects-Guru Rob Bottin verantwortlich, der sich mit seiner Arbeit hier in den Olymp der Effektkünstler katapultiert hat. Jedes Wesen ist mit Liebe gestaltet, weist kleine Details auf, die einem erst bei mehrmaligem Sehen auffallen mögen. Besonders beeindruckend ist aber die Flüssigkeit der Bewegungen, die das Ding vollführt. Gerade wenn sich der Kopf des Norris-Dings abtrennt (Kenner werden wissen, was gemeint ist – und nervös schlucken), zeigt sich die Zeitlosigkeit von Bottins Arbeit, die auch heute noch mit modernen Effekten mithalten kann.
Carpenters Regiearbeit ist wie gewohnt in dieser Schaffensphase unauffällig aber äußerst effektiv. Er weiß, wann er die Kamera drauf halten muss, um den Zuschauer mit dem Gezeigten „niederzuknüppeln, aber lässt auch mal Andeutungen ausreichen, wenn dies effektiver erscheint. Trotz aller Paranoia wird der Film aber nie hektisch, Carpenter scheint es wichtig gewesen zu sein, seine Handlung langsam zu entfalten, um die Spannung kontinuierlich nahezu unerträglich werden zu lassen. Geholfen wird ihm dabei vor allem durch die Kameraarbeit von Dean Cundey, der Carpenters Filme seit „Halloween – Die Nacht des Grauens“ fotografiert hat. Cundeys Kamera zeichnet sich durch langsame Bewegungen aus, die den Zuschauer zum geisterhaften Beobachter des Geschehens werden lässt- Gerade die ruhigen Kamerafahrten durch die Station tragen viel zur bedrohlichen Stimmung des Filmes bei. Carpenter hat aber auch ein superbes Drehbuch von Autor Bill Lancaster (Sohn der Leinwandlegende Burt) spendiert gekriegt, das mehrere Finten rauswirft, sich sogar traut, die Publikumssympathien von Hauptcharakter MacReady abzuwenden und sogar subtile Hinweise darauf gibt, wer am offenen Ende das Ding sein könnte und wer nicht. Zusätzlich hat Carpenter ein hervorragendes Darstellerensemble, allen voran der lakonische Kurt Russell, Wilford Brimley und Keith David. Gerade Brimley muss erwähnt werden, sein leiser Absturz in den Wahnsinn sorgt für eine schwarzhumorige Auflockerung des Geschehens. Zum ersten Mal in Carpenters Karriere hat er übrigens hier ausnahmsweise nicht selbst die Musik geschrieben, sondern sich Hilfe aus Italien geholt: Komponistenlegende Ennio Morricone hat Carpenter einen Score kredenzt, der eine zum Schauplatz passende eisige Kälte versprüht und ordentlich an der Spannungsschraube dreht.
Mit „Das Ding aus einer anderen Welt“ hat John Carpenter auf dem Höhepunkt seiner Karriere einen seiner besten Filme geschaffen, dessen Ansehen sich im Laufe der Jahre glücklicherweise verbessert hat. Ein paranoides Meisterwerk, das seinesgleichen sucht.