Bewertung: 4.5 / 5
Über Kreuz, so begeht man laut Millionärssohn Bruno Anthony den perfekten Mord. Zwei Zufallsbekanntschaften bringen für den jeweils anderen eine Person um. Für dieses Unterfangen hat er auch schon einen bestimmten Partner im Auge: den Tennisprofi Guy Haines. Den hält nämlich von der Hochzeit mit der Senatorentochter Anne der Fakt ab, dass er noch verheiratet ist und seine Möchtegern-Exfrau sich gegen eine Scheidung stellt. Bruno schlägt vor, Guys Frau unter die Erde zu bringen, wenn Guy dafür Brunos herrischen Vater umbringt. Guy zeigt sich diesem Vorschlag zwar abgeneigt, das hält Bruno aber nicht davon ab, seinen Teil der Abmachung in die Tat umzusetzen.
Bei „Der Fremde im Zug“ handelt es sich um einen von Alfred Hitchcock inszenierten im Film Noir angesiedelten Thriller, der auf einer Vorlage von Patricia Highsmith basiert. Für das Drehbuch ist, unter anderem, hard boiled-Experte Raymond Chandler verantwortlich, dessen „The Big Sleep“ mit Humphrey Bogart verfilmt wurde (zu deutsch „Tote schlafen fest“) und der selbst ein Klassiker des Genres ist.
In wunderschönen Schwarz-Weiß-Bildern eingefangen, erzählt „Der Fremde im Zug“ die Geschichte, von einem Stalker und seinem Gestalkten. Nachdem Bruno den Mord an Guys Frau begangen hat, schiebt er sich langsam aber sicher in Guys Leben, ruft ihn an, stellt ihm nach, bis er ihn so weit hat, dass er scheinbar tut, was Bruno will. Eindrucksvoll zeigt der Film Guys Absturz in die Paranoia, die ihn dazu bringt, selbst dann in Panik zu verfallen, wenn er Bruno oder einen ihm ähnlich sehenden Mann nur in weiter Ferne sieht. Währenddessen verfällt Bruno seinerseits immer mehr dem Wahnsinn und wird so zur echten Gefahr für Guy.
Kreativ ist vor allem der Mord an Miriam, Guys Frau, gefilmt. Am Ende einer Sequenz, in der Bruno ihr nachstellt und Hitchcock kreativ Schatten nutzt, um Miriam gleichzeitig als „leichtes Mädchen“ und die Bedrohung durch Bruno darzustellen, lauert Bruno ihr auf einer „Liebesinsel“ auf und erwürgt sie. Diesen Mord sehen wir in der Reflexion von Miriams zu Boden gefallener Brille, fast so als würden wir etwas beobachten, das wir nicht sehen dürfen. Das Brillenmotiv wird später clever wieder aufgegriffen, wenn Bruno Barbara, Annes Schwester, begegnet. Deren Brille verursacht einen Flashback bei Bruno, der auf seinen Geisteszustand hinweist.
Seinem Titel als Meister der Suspense macht Hitchcock im letzten Drittel alle Ehre. Guy muss verhindern, dass Bruno Beweise, die ihn mit dem Mord an seiner Frau in Verbindung bringen würden, platziert. Vorher muss er aber ein Tennismatch spielen und die Polizisten, die ihn beobachten, abhängen. Cutter William H. Ziegler montiert Guys Tennisspiel gegen die Zeit parallel mit Brunos Weg zum Schauplatz des Mordes an Miriam. Beiden werden auf dem Weg zu ihren Zielen massig Steine in den Weg gelegt, mit denen Hitchcock die Spannungsschraube erheblich fest anzieht. Eine glanzvolle Leistung!
Getrübt wird der Gesamteindruck eigentlich nur durch den häufigen Einsatz von Rückprojektionen, die immer wieder aus der filmischen Realität reißen. Während man solche in Szenen, die in Autos oder Zügen spielen, verschmerzen kann, weil diese Szenen mit den Kameras der Zeit anders nicht zu filmen gewesen wären, stören sie vor allem in Außenszenen, in denen sie den Einsatz von Statisten ersetzen sollen. Ansonsten bleibt „Der Fremde im Zug“ ein großartiger Film, dessen kleinere Makel den Gesamteindruck kaum zu trüben vermögen.