Im späten 19. Jahrhundert setzt Ephraim Winslow (Robert Pattinson) als Gehilfe mit einem rätselhaften, leicht reizbaren Seebären (Willem Dafoe) zu einer kleinen felsigen Insel an der Spitze Nova Scotias über, um eine vierwöchige Schicht als Leuchtturmwärter anzutreten. Dort angekommen wird schnell klar, dass die beiden Männer wenig verbindet, und sie beide ihre eigenen Prioritäten bei der Verrichtung ihres Dienstes haben. Während Winslow versucht, seine Arbeit einfach zuverlässig zu machen, fühlt er sich mehr und mehr von seinem herrschsüchtigen Kollegen bedrängt, welcher zu allem Ungunsten noch eine unheimliche Affinität zum Leuchtfeuer des Turmes entwickelt zu haben scheint. Isoliert und bald erheblich alkoholisiert nehmen Misstrauen und Paranoia bald Überhand.
Der Leuchtturm ist eine Adaption der nie fertig gestellten Kurzgeschichte "The Light-House" eines gewissen Edgar Allan Poe durch Robert Eggers, der durch den hochgelobten The VVitch 2016 bereits ein klares Signal auf dem Radar hinterließ. Sein Folgeprojekt ist interessanterweise kein direkter Horrorfilm, sondern eher eine nicht klar zu klassifizierende "Buddy-Horror-Seemannsgarn-Komödie" mit offensichtlichem Lovecraft-Flair. Ein schicker Alternativtitel wäre auch "Pattinson vs Dafoe: At the (sexy) Lighthouse of Madness" gewesen (und ja, das ist der zweite schräge Film mit eindeutigen Sex-Inszenierungen dieses Jahr, in dem der Pattinson glänzt).
Trailer zu Der Leuchtturm
Schon am Anfang wird klar, dass Eggers offenbar ein echtes Talent für das Medium Film hat: in wunderbarem, kontrastreichem schwarzweiß und einer altmodischen 1.19 : 1 aspect ratio gefilmt fängt der Film die Ästhetik des vergangenen Zeitalters (oder besser unsere Vorstellung davon, die Welt war damals ja schon farbig) und die Beklemmung auf dem Eiland perfekt ein. Ähnlich wie bei The VVitch wird dies noch durch die Verwendung des damals gängigen Dialektes und Redewendungen verstärkt, sodass man von einem vollkommen eindringenden (immersive) Kinoerlebnis reden kann (aus genau dem genannten Punkt würde ich sogar, anknüpfend an eine kürzliche Diskussion, unbedingt den Genuss in OV mit original Untertitel empfehlen). Eggers hat außerdem ein paar Tricks auf Lager: wegen seinen perfekt zentrierten Einstellungen wurden bereits beim Erscheinen von The VVitch ein paar Vergleiche zu Kubrick gemacht, und diese finden in diesem Film eine Fortsetzung, allerdings diesmal auch gepaart mit einer gewissen Distanz zu den Charakteren. Das soll nicht heißen, dass diese schwach geschrieben wären, aber der Mangel an vermittelter Sympathie hilft dabei, die aufkommenden Paranoia zu intensivieren, da man sich als Zuschauer nicht so recht auf eine Seite stellen kann. Gleich am Anfang gab es eine Einstellung, die mich an eine ähnliche aus seinem letzten Film erinnerte: Pattinson und Dafoe starren eindeutig in die Kamera, sodass man gleich einen "fourth-wall-break" erwartet. Stattdessen schneiden wir zum abfahrenden Versorgungsschiff, aufgrund der Perspektive bleib es aber mehr als fraglich, ob dieses auch wirklich die Aufmerksamkeit der beiden auf sich gezogen hat. Bei The VVitch gab es eine vergleichbare Szene am Anfang, in der die Familie die Siedlung verlässt: die Kamera filmt rückwärts aus dem Wagen auf die schließenden Tore, nur dass wir in der Einstellung danach sehen, dass alle Familienmitglieder auf dem Wagen sitzen. Die Perspektive war die eines weiteren Mitreisenden. Die Szene aus dem Leuchtturm spiegelt diese Szene: Beiden Wärtern ist bewusst, dass sie noch etwas anderes zur Insel mitgebracht haben, aber sie sprechen es vor dem anderen nicht aus.
Wenn The VVitch ein sehr femininer Film über das (abstrakte) Erwachsenwerden der Tochter war, und seine zentralen Themen Selbstzweifel und Misstrauen waren, dann ist Der Leuchtturm ein ausgesprochen maskuliner Film über zwei Männer, die sich gegenseitig überlassen wurden. Das Thema des Misstrauens nimmt starke paranoide Wendungen, und der Versuch der beiden, Macht über einander zu erringen, ob physisch oder durch Wissen über den anderen, nimmt die zentrale Rolle ein. Eggers schichtet langsam und abwechselnd Seemannsgarn, Legenden und ihre jeweilige Herkunftsgeschichte, die die beiden sich erzählen, übereinander, und schmeckt das Ganze mit den scheinbaren Wahnvorstellungen die Winslow schon bald heimsuchen ab. Ein wirklicher roter Faden ist in der Erzählung auf ersten Blick nicht zu erkennen, was aber durchaus kalkuliert sein kann. Wenn die beiden kurz davor sind, den Verstand zu verlieren, sind wir es auch.
Aber was wäre ein klaustrophobisches Kammerspiel ohne die beiden zentralen Darsteller, und es freut mich schreiben zu können, dass sich Pattinson und Dafoe mit überbordender Energie in ihre Rollen werfen. Würde man Set-Fotos mit den beiden entsprechend altern lassen, könnte man diese auch leicht als "antik" verkaufen. Defoe sah schon immer wie ein grummeliger Seebär aus, ihn in schwarz-weiß zu filmen und möglichst oft furzen zu lassen war für Eggers offensichtlich eine natürliche Wahl. Jede Nuance der beiden ist eigentlich perfekt, von besoffener Kameraderie bis zu mörderischem Wahnsinn, sodass man eigentlich auf Auszeichnungen wetten müsste wenn es sich nicht um so einen kleinen Release handeln würde. Die Ausstattung ist minimalistisch-authentisch, die Horroreffekte angenehm grotesk-abstoßend, und die ganze Inszenierung wird von einem düsteren, atmosphärischen Soundtrack untermalt. Das gesagt sollte man allerdings noch, wie anfangs angedeutet, erwähnen, dass der Film überraschend humorvoll und witzig ist. Es handelt sich dabei allerdings um eine bestimmte Art von abstrusem, vollkommen trockenem Humor, der sich hervorragend in die Situation einbettet.
Wenn man dem Film etwas vorwerfen kann dann, dass er sich vielleicht etwas übernimmt, und nicht alles komplett ausarbeitet. So fügen sich die beiden letzten, offen gesagt phantastisch gefilmten Szenen schön in die Anspielungen auf die Sage von Prometheus ein, und Winslows scheiternde Ambitionen passen von der Handlungsweise auch gut hier rein, aber man wird auch das Gefühl nicht los, dass Eggers einfach viel an die Wand schmeißt um zu sehen was hängenbleibt. Nichts desto trotz ist Der Leuchtturm ein voll realisierter Fiebertraum, den man am liebsten direkt nochmals sehen will, und der sich im Kopf der Zuschauer manifestiert wie attraktive Meerjungfrauen in Robert Pattinsons Phantasien. Ein nie langweilig werdender, lustvoller Mindfuck, der eigentlich nur einen Wunsch übriglässt: Warum gibt es hier keine Version von „Black Phillip“ mit Tentakeln?