Frühjahr 1917, weit entfernt von den Schlachtfeldern des Krieges freuen sich der junge Paul Bäumer und seine Freunde darauf, bald in das sehnsüchtig erwartete Abenteuer Krieg zu ziehen. Vom Lehrer bereits zu Nationalhelden erklärt und in der Erwartung, in ein paar Wochen in Paris zu sein und sich danach vor Lorbeeren kaum noch retten zu können, geht es hochmotiviert in die Kaserne. Dass auf der Uniform der falsche Name steht, scheint nur ein kleiner Logistikfehler zu sein, und der verantwortliche Unteroffizier reißt das Namensschild einfach ab. Was Paul und seine Freunde nicht wissen, wir Zuschauer aber schon: es war in der Tat ein Logistikfehler, ein Fehler im nunmehr voll industrialisierten Krieg, der aber gravierender ist als Paul denkt, denn die Uniform wurde einer Leiche abgezogen und einfach „recycelt“. Material kostet Geld, der Rohstoff Mensch wächst nach, so die Logik des totalen Krieges, in dem sich die Freunde nun wiederfinden. Aber erst an der Westfront, nachdem die gemütliche Anreise rüde unterbrochen wurde und der erste Job im Graben so gar nichts ruhmreiches hat, fangen die Freunde an zu realisieren, worauf sie sich hier eingelassen haben.
Trailer zu Im Westen nichts Neues
Seien wir einmal realistisch, die Verfilmung von 1930 ist sowas wie ein Meilenstein des Filmes und der erste echte Antikriegsfilm, damals unübertroffen in seinem Realismus und basierend auf einem bereits sehr erfolgreichen Buch von Erich Maria Remarque über seine Erfahrungen aus dem Krieg. Die Hoffnungen, dass eine Netflix Verfilmung auch nur in die Nähe dieses Filmes kommen könnte, waren bei mir minimal. Zu meiner eigenen Verblüffung steht der Film aber auf eigenen, und sehr starken Beinen, dank einiger intelligenter Entscheidungen.
Edward Berger’s Adaption von Im Westen nichts Neues ist vermutlich die realistischste Verfilmung, die es zum Leben und Sterben in den Schützengräben des ersten Weltkrieges aktuell gibt. Hier ist kein Platz für Hoffnung und Kameradschaft, blut- und schlammverkrustet wird hier einfach ums Überleben gekämpft. Die Version von 1930 hatte diesen berühmten Tracking shot, bei dem die angreifenden Soldaten von den Maschinengewehren niedergemäht werden. Berger hat in der Eröffnungsszene seine eigene Version davon gefunden und die Visualisierung für eines der Kernthemen des Filmes, die Industrialisierung des Krieges. Die Soldaten rennen von A nach B, dann ab ins Massengrab und die Uniformen werden wiederverwertet, Frischfleisch wartet schon. Auch einer der Kritikpunkte an dem Film, den man ab und zu liest, die mangelnde Charakterisierung von Pauls Freunden, ist hier thematisch verankert. Auf deiner Erkennungsmarke, die man deiner Leiche abknipsen kann, steht alles, was für die Kriegslogistik nötig ist. Getötet wird emotionslos und fast schon roboterhaft, oder eben mit Maschinen. Lediglich in zwei Sequenzen wird Paul emotional mit seinem Handeln konfrontiert (wer Buch und die erste Verfilmung kennt wird eine davon erraten), und Felix Kammerer überträgt die brutale Wirkung unfassbar gut auf den Zuschauer.
Berger war, das muss man klar sagen, sehr frei in seiner Interpretation, soweit dass Stimmen gefragt haben, was das noch mit dem Buch zu tun hat. Die Änderungen sind allerdings smart gewählt und thematisch passend. Himmelstoss und die Ausbildung in der Kaserne fehlen (fast) komplett, für mögliche Kameradschaft oder humoristische Streiche ist hier kein Platz. Die Krankenhaus Szene, die zumindest für Paul im Buch gut ausgeht, nimmt hier einen Ausgang, der einem fast den Magen umdreht. Ein weiteres Thema dieses Filmes ist das der verlorenen Generation, und für diese findet Berger hier die entsprechend brutalen Bilder. Ebenfalls fehlt der Heimaturlaub, der im Buch und dem alten Film einen eher sentimentalen Charakter hatte. „Ach, die Familie versteht es einfach nicht.“ war das bedrückende Erlebnis zuvor. Dieser Teil wurde komplett ersetzt, dafür bekommen wir einen durchaus härteren Kontrast durch den Nebenhandlungsstrang mit der diplomatischen Delegation am Ende des Krieges. Die deutschen Militärs verstehen die Lage sehr wohl, weigern sich aber zu akzeptieren, wohin sie ihre permanente Eskalation geführt hat. Der Film greift hier sehr direkt den Militarismus der deutschen Elite an, und verbildlicht effektiv den Irrsinn des Krieges: während sich am Verhandlungsort durch alte Männer über zu alte Croissants beschwert wird und Angst geschürt wird, die Bolschewiken könnten ja alles wegnehmen, geht das Morden munter weiter. Der Film lässt wenig Gutes an den Offizieren und ihrem Stolz, die durch den neuen Charakter General Friedrichs (Devid Striesow) personifiziert werden. Dieser kann auf den ersten Blick als vermeintliche Karikatur Spott auf sich und den Film ziehen, der bleibt einem allerdings im Halse stecken, wenn man bedenkt, dass die Figur keine völlig unrealistische Darstellung deutscher Generalissimas ist. „Lieber ein Krieg ohne Ende als ein Ende in Chaos und Anarchie.“ soll ein gewisser General Ludendorff mal gesagt haben (bevor er dann die „Dolchstoß-Legende“ verbreitete und beim Hitler-Putsch mitmachte, sympathischer Typ). Als Sympathieträger taugt hier lediglich der von Daniel Brühl wunderbar schüchtern verkörperte Matthias Erzberger, der wirklich existierte und hier, schön gesagt, wortwörtlich die Suppe der Militärs auslöffeln muss. In seinen Szenen zeigt der Film seine deutlichsten Sensibilitäten als deutscher Film in der Rolle der Unterlegenen, revisionistisch wird er allerdings nie. Hier bündelt der Film seine Kernbotschaft: dass dies ein sinnloser, bitterer Konflikt war, der in einem bitteren Frieden enden und Europa seinen Fußabdruck aufsetzen wird. Um dies zu verdeutlichen, arbeitet Berger auch viel mit Kontrasten, so werden immer wieder friedliche, weitläufige Landschaften mit den teilweise klaustrophobischen Schlachtszenen, in denen ganze Landstriche verwüstet sind, abgewechselt.
Eine weitere Abweichung von Buch und Film ist dazu, kurzer Spoiler, der Tod von Kaczinsky (Albrecht Schuch) . Eine kleine, aber starke Szene in einem Moment, in dem man eigentlich durchatmen kann. Der Film findet die richtigen Bilder für die Entmenschlichung und den emotionalen Dachschaden, den die Menschen Europas erlitten haben. Paul und Kat sind an dem Punkt schon so etwas wie Tiere geworden, die scheinbar regelmäßig bei einem Bauern plündern. Das Terrorisieren der Zivilbevölkerung, das für die beiden irgendwie zur notwendigen Norm geworden ist (man muss ja essen..) schlägt aber jetzt zurück, und der Bauernsohn sieht denke ich nicht umsonst wie eine Anspielung auf Geh und Sieh aus.
Große Verwunderung gab es glaube ich wegen der letzten Sequenz, die völlig neu ist, und von mir gibt es dafür großes Lob. Hier bringt Berger gleich drei thematische Fäden auf einen Punkt zusammen. Der Charakter Pauls, und mit ihm die verlorene Generation, wird abgeschlossen, er kann sich dem Gehorsam und dem Töten nicht mehr entziehen, die für ihn zum Sinn geworden sind (Anspielungen darauf finden sich auch in Dialogen von Kat) . Die fast schon lächerliche Abstrusität des Krieges wird nochmal abgearbeitet, bis zu einer bestimmten Uhrzeit wird noch gemordet, weil stolze alte Männer es so wollen. Um Punkt 11 Uhr wird sich dann nicht mehr gehasst und gekillt, mal sehen wie gut das geht . Die berüchtigte „Dolchstoß-Legende“ mit der der Film in zwei Szenen vorher schon reinen Tisch gemacht hat (die angebliche Unbesiegtheit des Heeres im Feld, und der angebliche Verrat der Sozialdemokraten, den allerdings, historisch korrekt, Hindenburg empfiehlt), wird böse umgedreht bzw. entblößt: den Stoß gibt es schon, aber die Verantwortung liegt bei der deutschen Militärführung.
Wie vorher angesprochen, gegen das Original (die TV-Verfilmung von 1979 ignorieren wir einfach einmal, denn diese ist, naja, sehr „TV“) kann der Film eigentlich nur verlieren, aber technisch kann man schon drei Kategorien finden, in denen er die Nase vorne hat. Da wäre zum einen der Ton und der beängstigende, verstörende Soundtrack, der permanent auf etwas noch Schlimmeres hinweist (ich fühlte mich ein wenig an There will be blood erinnert, nur nicht ganz so avantgardistisch). Die Kamera ist fantastisch, ohne das gezeigte zu glorifizieren. Der Film hat eigentliche immer eine böse Überraschung parat, nach schönen Szenen kommt nicht selten der blanke Horror (diese Panzer im Nebel sehen doch eigentlich ganz majestätisch aus…). Klar besser sind die Schauspieler und die Dialoge, beide sind deutlich natürlicher und man hat selten das Gefühl, einem episodenhaften Kammerspiel beizuwohnen (auch wenn ich mir für das Genuschel von Albrecht Schuch manchmal einen Untertitel gewünscht hätte).
Es gibt eigentlich wenig Angriffsfläche für harte Kritik, aber wenn ich mir einen Punkt rauspicken würde, dann wäre es, dass manchmal doch Zuviel ausgesprochen wird, was man als Zuschauer vielleicht auch so oder anders verstehen würde. Und der berühmte Satz aus dem Buch, der am Ende den Titel erklärt, geht in dem neuen Ende natürlich etwas unter. Aber wer meint, eine gute Filmadaption sei immer eine möglichst Buchtreue, kann gerne einmal die beiden Shining Adaptionen nebeneinanderlegen.
Ein Film aus der Perspektive der Verlierernation, für die jungen Männer, denen keine Heimkehr vergönnt war, und ohne irgendeinen „aber das Opfer war es ja wert“ Kitsch mit wehender Flagge im Hintergrund.