In einer nicht genau datierten Zukunft hat es die Menschheit endlich geschafft, die Erde ist ruiniert, komplett ausgebeutet und nicht mehr bewohnbar. Eine kleine Elite wird vor dem kompletten Kollaps auf die Raumkolonie „Kepler-209“ evakuiert, dann brach der Kontakt zur Erde ab. Einige Generationen später werden nun Missionen zurück zur Erde geschickt, um zu testen, ob diese wieder bewohnbar ist, da die Menschheit auf Kepler-209 inzwischen unfruchtbar geworden ist. Die Astronautin Blake soll mit ihrer Crew Hinweise sammeln, dass der Planet sich erholt hat und wieder überlebens- und fortpflanzungsfähige Bedingungen bietet. Als sie unerwarteterweise auf Überlebende der alten Erde sowie einer vorherigen Mission stößt, treten sowohl alte, koloniale Machtstrukturen wieder auf, als auch ein moralisches Dilemma, auf das Blake nicht vorbereitet war.
Tides ist ein interessanter Film geworden, der zeigt, dass man einen Science-Fiction Film zu den gerade angerissenen Themen auch ohne ein riesiges Budget und Plattitüden, dafür aber mit etwas moralischer Komplexität im Drehbuch und gescheiter Bildsprache machen kann. Auch interessant zu beobachten ist, wie unterschiedlich der Film aufgenommen wurde. So kam er im englischsprachigen Raum scheinbar weniger gut an, in deutschsprachigen Kritiken kam er dafür sehr gut weg, so etwa bei Marcus Stiglegger für EPD oder bei Michael Kuratli für Filmbulletin (beide übrigens lesenswert). Die Interpretation überlasse ich mal jedem selbst, aber auf der einen Seite stehen Klimakrisen-Leugner durchaus schon mal in hohen politischen Ämtern (vollkommen spekulativer, schnippischer Kommentar, ich weiß). Offenbar erst der zweite Film von Tim Fehlbaum, der mit Hell wohl schon einmal in die Dystopien-Schiene geschlagen hat.
Trailer zu Tides
Hier lohnt es sich vielleicht, den Film mit zwei weiteren Filmen zu vergleichen. Auf die Frage, ob die Menschheit an ihrer Lage selber schuld ist, und als Folgefrage wert ist gerettet zu werden, gibt Interstellar zum Beispiel ein doppeltes ja zurück (Nolan ist irgendwo halt einfach konservativ). Dagegen würde The Road den ersten Punkt eher gar nicht beantworten, Frage zwei aber mit einem pessimistischen Nein abtun. Tides bleibt hier gleichzeitig klar als auch ambivalent, was in der Kombination durchaus noch mehr zum Grübeln anregt. Die Menschheit ist zwar selbst schuld, aber das Überleben ist möglich UND an Konditionen, und an Umdenken, geknüpft.
Der Film erreicht dabei so viel mit so wenig. Mit einem für Science-Fiction Filme lächerlichen Pups-Budget von etwas über 2 Millionen ausgerüstet weiß er seine Welt trotzdem geschickt zu formen und die Bilder zu nutzen. So werden einfache Stilelemente smart genutzt, wie der immer wiederkehrende Nebel dieser neuen alten Welt, der die Ungewissheit der Situation visuell erfasst. Die Überlebenden, von den Rückkehrern charmant „Muds“ genannt, haben nicht zufällig offensichtliche Ähnlichkeiten zu Naturvölkern. Das komische Sprachkauderwelsch mag vielleicht unrealistisch erscheinen, treibt aber das Kernthema des Filmes, dass Stamm, Nation oder ähnliches in Endeffekt Trivialitäten sind. Und wenn wir in eine Umgebung kommen, die dem am nächsten kommt, was wir als „Zivilisation“ bezeichnen, werden daraus direkt beengende Gänge, die besonders am Ende die Sackgassen andeuten, in die wir uns aktuell begeben. Eine Menge geschickt eingesetzter Symbolismus, ohne dass Offensichtliches einfach ausbuchstabiert wird, wie etwa beim inhaltlich schwachen Avatar. Gerade bei erneuter Sichtung von Camerons Erfolgsfilm (zumindest an der Kinokasse) fällt auf, wie wenig Bildsprache dieser hat, und wie viel Ballast dieser in Form von Szenen mit sich schleppt, die nur eine Rechtfertigung haben, wenn man sie durch die 3D Brille ansieht. Er zieht auch bei den Charakteren den Kürzeren, die bei Tides nicht zu klischeeüberladenen Pappfiguren verkommen, sondern tatsächlich, Pro- und Antagonist, Schichten haben, die das Drehbuch erst einmal herunterschälen muss. Auch die moralische Fallhöhe ist deutlich höher, und der Film damit eindeutig erwachsener: während bei Avatar auch 13-jährige nach 25 Minuten sagen können, welcher Charakter wohin steuert, ist dies bei Tides bei weitem nicht der Fall. Weniger ist oft besser, und sich auf zwei Charaktere zu fokussieren und sich dem Spektakel komplett abzuwenden, hat dem Film sicher gutgetan. Da verzeiht man ihm auch ein paar Unsicherheiten, wie zum Beispiel, dass er den Aspekt des Kollektivismus in Form des „Kepler’schen“ Slogans „For the many“ zwar irgendwie als scheinbaren Zivilisationsaspekt aufgreift (Ist eines unserer Probleme nicht unser fast schon brutaler Individualismus/Egoismus?!), dann aber nicht viel damit macht. Und auch dass einige Szenen durchaus auf dem Grad zwischen Punktgenauigkeit und Plakativität wandeln, wie etwa eine bestimmte Szene mit einem Streichholz, in der die Entdeckung des Feuers als Ursprung der Zivilisation benannt wird, nur um direkt danach auf eine Karte der Erde zu fallen und diese anzuzünden. Aber wieder, bei Avatar hätte bestimmt noch eine Stimme aus dem „off“ gesagt, dass wir die Welt niedergebrannt haben, nur damit es wirklich jeder verstanden hat.
Klassismus, Kolonialismus und Ausbeutung sind die Kernthemen, die diesen sehenswerten Film antreiben. Er endet angenehmerweise auf einer ambivalenten Note, die vor allem eines klar macht: noch können wir es vermeiden, als Spezies hier zu landen. Und auf dem Weg dahin können wir uns mit ein paar weiteren Dingen auseinandersetzen, ohne dabei belehrt zu werden, etwa wie verbreitet und sinnlos das Verständnis vom eigenen „Stammt“ oder Kultur, auch in scheinbar gebildeten Kreisen ist, wenn es um die Menschheit als Ganzes geht. Eine Anspielung auf das egoistische Verhalten der Nationen in Zeiten einer globalen Krise? Wäre angemessen.