
Bewertung: 4 / 5
Im letzten Jahr hat Marvel das Tor zum Multiversum geöffnet. Durch Loki und Spider-Man 3 - No Way Home machte man den Zuschauer mit dem Konzept vertraut und zeigte zudem dessen unendlichen Möglichkeiten auf. Nun erreicht uns mit Doctor Strange in the Multiverse of Madness der nächste Schritt. Doch schafft es Regisseur Sam Raimi das Multiversum zu bändigen und dem Film seinen eigenen Stempel aufzudrücken?
Doctor Strange in the Multiverse of Madness Kritik
An der Seite von Doctor Strange (Benedict Cumberbatch) begibt sich das Publikum auf eine Reise ins Ungewisse und der Held muss sich gemeinsam mit der Hilfe von alten und neuen magischen Verbündeten über das verstörende und gefährliche Netzwerk aus Realitäten hinwegsetzen, aus denen das Multiversum besteht. Dabei steht er einem vertrauten und tödlichen Gegner gegenüber.
Trailer zu Doctor Strange in the Multiverse of Madness
Wir versuchen unsere Kritik möglichst frei von Spoilern zu verfassen, was offen gesagt nicht gerade leicht ist bei so einem Film. Wer also gar nichts wissen möchte, sollte wohl einfach direkt ins Kino gehen. Eine Warnung vorab aber an die Eltern: Dieser Film ist nichts für schreckhafte Kinder!
Das Problem mit dem Multiversum ist, dass es nicht nur eine Vielzahl an Möglichkeiten bietet, sondern auch eine Vielzahl an Enttäuschungen. Im letzten Jahr offenbarte Marvel den Zuschauern vor allem mit den Auftritten von Andrew Garfield und Tobey Maguire nicht nur die großartigen Möglichkeiten eines solchen Konzepts, man öffnete sogleich auch die Büchse der Pandora, und dies könnte Marvel eventuell noch auf die Füße fallen. Denn selbstverständlich sind die Erwartungen seitdem enorm, erst recht, wenn im Titel das Wort Multiversum vorkommt.
Seien wir doch mal ehrlich: Nicht wenige Fans erwarten eine Szene zu sehen, in der Doctor Strange völlig verwirrt auf Chris Evans und Michael B. Jordan trifft, die sich beide als menschliche Fackel von den Fantastic Four vorstellen, obwohl Strange sie als Captain America und Killmonger kennt, im Hintergrund James McAvoy und Patrick Stewart, die ein Gespräch unter zwei Xaviers führen, daneben ein Deadpool, der freche Sprüche über die Verrücktheit des Multiversums raushaut, und deswegen von Hugh Jackman als Wolverine eine gedonnert bekommt, während sich Wesley Snipes als Blade fragt, was er da überhaupt zu suchen hat und Nicolas Cage als Ghost Rider ihm nur zustimmen kann.
Wir müssen jetzt leider einige von euch enttäuschen, denn so eine Szene sucht ihr im Film vergebens. Aber das ist eben das Problem, welches sich Marvel selbst geschaffen hat: Genau so eine Szene wäre nicht nur möglich, sondern auch umsetzbar, und nicht wenige erwarten dies deswegen sogar. Dass die Trailer vieles angedeutet und so die Erwartungen noch höher geschraubt haben, wird kaum helfen und viele Fans im Kino enttäuscht zurücklassen.
Aber wir wollen es positiv sehen, denn dies wird sicher nicht das letzte Mal sein, dass wir es mit dem Multiversum zu tun bekommen. Von daher macht es sogar Sinn, nicht direkt zu Beginn sämtliche Munition zu verbrauchen. Und es ist ja nicht so, als biete Doctor Strange in the Multiverse of Madness nicht einige tolle Auftritte, welche Fans im Kino jubeln lassen werden. Wir verraten euch natürlich nicht, was das Multiversum hier so alles zu bieten hat. Einige Vermutungen im Vorfeld lagen richtig, andere gingen voll daneben. Wir glauben aber, vor allem mit einem Auftritt wird kaum einer gerechnet haben. Er hat zwar nicht viel Dialog, aber sein Auftritt hinterlässt Eindruck.
Auch wenn das Multiversum zentrales Thema ist, so bleibt es im Kern ein Doctor Strange-Film und dieser schafft es, nie den Fokus von den eigentlichen Hauptfiguren zu verlieren. Wir begleiten Strange, Wanda (Elizabeth Olsen) und America (Xochitl Gomez) auf ihre Reise und jede der Figuren macht dabei eine ganz eigene Wandlung durch.
Während Cumberbatch hier einen deutlich gereiften Strange spielt, der zudem die Rolle eines Mentors einnimmt, bekommt man von ihm ansonsten das, was man aus vorherigen Auftritten gewohnt ist. Olsen dagegen darf richtig glänzen und Seiten zeigen, die man von ihrer Figur so noch nicht zu sehen bekam. Sie knüpft hier an ihre tolle Leistung aus WandaVision an. Gomez ist der Newcomer im MCU und ihre America die Figur, um die sich im Grunde alles dreht. Gegenüber Strange und Wanda geht sie leider etwas unter und bleibt zu blass. Der Unterschied ist aber auch, dass wir die anderen Figuren bereits seit Jahren kennen und der Zuschauer nur wenig Zeit hat, mit America warm zu werden. Hier zeigt sich der deutliche Vorteil von Charakter-Einführungen durch Serien.
Alle drei müssen sich im Laufe der Geschichte mit den eigenen inneren Dämonen auseinandersetzten und eine Wahl treffen, die zum Guten oder zum Bösen führen kann. Hierbei werden manche Entscheidungen getroffen, die überraschen könnten.
Auch bei Marvel wurden Entscheidungen getroffen, mit denen so nicht unbedingt zu rechnen war. Denn Doctor Strange in the Multiverse of Madness ist definitiv kein Film, wie ihn das MCU bisher gesehen hat. Wir sind ehrlich gesagt ziemlich überrascht, wie mutig dieser Film geworden ist. Denn Kevin Feige hat sein Versprechen von vor einigen Jahren tatsächlich eingehalten: Dies ist zum Teil ein richtiger Horrorfilm! Und hierfür hat man sich den perfekten Regisseur ausgesucht.
Das MCU hatte schon immer so manche Probleme. Seien es die austauschbaren Bösewichte, der schwache dritte Akt oder eben, dass es teilweise egal war, wer die Regie geführt hat. Die Filme, so toll und unterhaltsam sie sind, wirkten fast alle auch irgendwie gleich. Einzig James Gunn und Taika Waititi vermochten es in der Vergangenheit, einen MCU-Film abzuliefern, der eindeutig ihren Stempel trug. Zuletzt ließ man auch Chloé Zhao viel Spielraum mit ihrem Drehstil bei Eternals, jedoch waren die Reaktionen hier eher gemischt.
Nun reiht sich auch Sam Raimi dazu, der sich hier spürbar austoben durfte. Es dauert nur wenige Minuten, bis deutlich wird, dass dies hier eines seiner Werke ist. Die typischen Kamerafahrten, die Zooms, der Humor, ein ganz bestimmter Auftritt, der nicht fehlen darf und auch seine Art, Horror zu inszenieren - es ist alles dabei. Man gewinnt gar den Eindruck, dass Marvel ihm keinerlei Grenzen gesetzt habe und Raimi völlig frei in der Entwicklung des Films war.
Denn obwohl es nach wie vor ein Marvel-Film ist, der sich natürlich auch an 12-Jährige richtet, wird es viele überraschen, wie weit Raimi in Sachen Horror gehen durfte. Es erwarten euch so manche Szenen, die euch aus dem Kinosessel schrecken könnten. Und auch was die Brutalität angeht, waren einige Momente dabei, wo bei uns in der Vorführung die Leute spürbar überrascht waren, dass man das gerade wirklich so gezeigt bekommen hat. Auch wenn wir teilweise ziemlich verwundert waren, so ist Doctor Strange in the Multiverse of Madness immer noch ab 12 Jahren freigegeben, also erwartet jetzt kein The Evil Dead, wenngleich auch hier manche Szene daran erinnert.
Natürlich werden vor allem diejenigen, die sich im Horror-Genre zu Hause fühlen, hier nur müde lächeln. Wir waren aber beeindruckt davon, wie weit sich Marvel aus seiner sonst sehr jugendfreien Komfortzone herausgewagt hat. Mit den Jahren kam nicht nur der Erfolg, sondern offenbar auch das Selbstbewusstsein, Experimente wagen zu können. Bisher hat sich dies zumeist ausgezahlt und wir hoffen, dass es auch dieses Mal der Fall sein wird, damit man weiter neue Wege geht und Regisseuren auch zukünftig freie Hand lässt, ihren eigenen Stil mit einzubringen.
Doctor Strange in the Multiverse of Madness bietet einige tolle wie auch verrückte Ideen, von denen nicht wenige deutlich die Handschrift Sam Raimis tragen. Darunter ein musikalisches Duell, wie wir es so noch nie zuvor gesehen haben. Da trifft jeder Ton ins Ziel!
In einem Punkt bleibt man aber ganz traditionell: Nach dem Film erwarten euch selbstverständlich noch zwei zusätzliche Abspannszenen. Wirklich von Bedeutung ist nur die erste, und hier betritt ein bekannter Hollywoodstar das MCU, mit dem sicher nicht jeder gerechnet hat. Die letzte Szene folgt nach dem Abspann und hat keine zukünftige Relevanz, aber wenn ihr so lange durchhaltet, werdet ihr auf jeden Fall mit einem Lächeln das Kino verlassen.
Doctor Strange in the Multiverse of Madness verschiebt die Grenzen des MCU! Wer auf ein Multiversum-Overkill gehofft hat, der könnte trotz einiger toller Auftritte enttäuscht werden. Die größte Überraschung ist stattdessen der Film selbst. Sam Raimi schafft es, seinen unverkennbaren Stil ins Marvel-Universum einzubringen und schenkt dem MCU so seinen ersten Horrorfilm. Spiel, Spaß und Horror für (fast) die ganze Familie.
Wiederschauwert: 80%
