Bewertung: 4 / 5
Spoiler-, Epilepsie- & Triggerwarnung:
Drogen, sexueller Missbrauch, Tod, Depressionen, Suizid, Rassismus
Kunst ist eine Droge. Sie macht die graue Realität bunt. Das hässliche Leben schön. Die kantige Welt glatt. In ihr sind die Menschen gleich. Und im Tod. Doch während wir atmen, sind wir grausam. Triebgesteuert. Rassistisch.
Es ist ein pessimistisches Gesellschaftsbild, das der deutsche Experimentalfilm "Figaros Wölfe" zeichnet. Eines voller Abgründe und Widersprüche. Denn seine Welt ist buchstäblich in Schwarz und Weiß eingeteilt.
Trailer zu Figaros Wölfe
Statt Farben dominieren Hell und Dunkel das Bild. Über dem Film liegt nicht bloß ein Graufilter; er ist sich dem Wesen seiner Optik bewusst. Funkelnde Details in einem Meer aus Finsternis, im Zwielicht versunkene Gesichter unbekannter Figuren. Was einem farblosen Bild an Ausdruckskraft fehlt, füllt "Figaros Wölfe" mit konträrer Beleuchtung. Licht und Schatten als erzählerisches Element.
Es trennt die Menschen. Verschiedene Hautfarben dienen als Gegensätze, Égalité ein unerreichtes Ideal. Nicht nur die Figuren sind rassistisch, der Film ist es selbst: Ein schwarzer Mann in weißer Unterhose, seine Anatomie ein visueller Reibungspunkt. Er vergewaltigt eine weiße Frau; "Figaros Wölfe" sieht darin den größtmöglichen Kontrast. Seine Haut verdunkelt im wahrsten Sinne des Wortes das Bild.
Im Subtext des Filmes spiegelt sich unsere Gesellschaft. Wir wandeln in Extremen, wechseln zwischen Güte und Grausamkeit, zwischen Intelligenz und Infantilität. Für "Figaros Wölfe" ist die Welt ein einziger Konflikt. An banalen Dialogen hängen philosophische Überlegungen, aus einem unschuldigen Vorort wird eine düstere Großstadt, auf einen heiteren Vorspann folgt ein bitterer Film. Wir Menschen können eben nur Schwarz und Weiß.
Die kubistische Bildsprache zeigt die Ungestalt unserer Welt. Unangenehme Musik untermalt eine charakternahe Kameraarbeit, die Inszenierung hypnotisch an ihre Figuren gebunden. Verzerrte Gesichter, Schwarzblenden, sprunghafte Schnitte. Das Bild neigt sich mit den Bewegungen der Protagonisten, blendet Geräusche aus, lässt sie hallen. Stehen die Charaktere unter Drogen, stehen es die Zuschauenden auch. Wird eine Figur vergewaltigt, werden wir es auch. "Figaros Wölfe" erweckt regelrecht ein Gefühl davon, sexuell missbraucht zu werden, indem er der Wehrlosigkeit des Opfers dessen Lebendigkeit gegenüberstellt. Indem sich die Kamera an die unterlegene Perspektive schmiegt. Und indem es im Anschluss um die Narben jener Person geht, deren Position am Körper immer intimer wird. Dem Filmtitel folgend fallen die Menschen übereinander her.
Was kann man also anderes tun, als einem solchen Dasein zu entfliehen? Wir morden und vergewaltigen, sind Sklaven unserer Bedürfnisse und wollen eigentlich nur eines: sterben. "Es geht doch immer nur ums Ende", betont der Film, und formuliert zugleich eine tiefe Todessehnsucht. Die jungenhaften Figuren altern, die harmlosen Spiele verrohen, die erfüllten Beziehungen zerbrechen. Auf was kann man stolz sein, fragt "Figaros Wölfe", wenn nicht auf erlittene Schmerzen? Unsere Narben sind Selbstzweck, unser Hang zum Drogenkonsum ein Ausdruck der Vergänglichkeit.
"Zeit zu sterben" heißt die Bar, in welcher der Protagonist seinen letzten Drink nimmt. "Willst du denn verbrennen?", wird eine andere Figur gefragt, während man ihr eine Zigarette anzündet. Und wieder eine andere Person versucht sich nur durch Sonneneinstrahlung zu ernähren - bis jemand ins Licht tritt und ihr so den Tod prophezeit; metaphorisch mit der fehlenden Farbgebung verknüpft. Shots, die einander spiegeln, das Aufsteigen eines weißen Ballons als Verbildlichung des sexuellen Höhepunkts. Ein surrealer Oneshot im Sinne künstlerischer Narrative.
Doch der Tod, so erlösend er auch sein mag, ist vielleicht ein Schritt zu radikal. Es gibt eine Alternative. Ein Frosch im Glas, ein Rausch. Und die Kamera ist die Verbindung. Der Beweis, dass wir Menschen doch mehr als Schwarz und Weiß können. Dass eine Welt möglich ist, in der Hautfarben keinen Unterschied machen. Vielfalt statt Tristesse. Gemeinschaft statt Gut und Böse. Opfer und Verbrecher im selben Bild. In einem schönen Bild. Eines voller Farbverläufe. Eines voller Formvollendung. Die Natur ein romantischer Ort. Der menschliche Körper ansehnlich und sinnlich. Es ist die Kunst.
In einer rauschhaften Szene wird "Figaros Wölfe" plötzlich bunt. Er löst sich von seiner rauen, rassistischen Optik, wird sein eigener Kontrast. Dem Abscheulichen steht auf einmal eine bis dato unbekannte Anmut gegenüber. Sie betont den Wert, welchen Kunst hat. Wie auch "Figaros Wölfe" seine Vorbilder preist, indem Soundtrack und Setting als Hommage an "Blade Runner" dienen, er den "Like Tears in Rain"-Monolog gezielt verbildlicht und klar auf die Filmografie von Gaspar Noé verweist. Schöpferisches Gestalten in all seiner Bedeutung.
Nur sind wir Menschen es auch, welche die Kunst verschmähen. Weil wir sie, im wahrsten Sinne des Wortes, zu nüchtern betrachten. Uns die Realität aus ihren Armen reißt. Nach nicht einmal zehn Minuten wird "Figaros Wölfe" wieder schwarzweiß. Sowie der Rausch endet, kehrt die Hässlichkeit zurück. Am Ende bleibt uns allen eben doch nur der Tod.
8 von 10 Enten.