Bewertung: 4 / 5
Das argentinische Kino wird unterschätzt und muss sich vor Produktionen aus dem anglo-amerikanischen Raum trotz wesentlich kleineren Budgets nicht verstecken. Vor Jahren hat z.B. die Gaunerkomödie [b]Nine Queens[/b] den vermeintlichen Genrekönigen aus dem Hause [i]Guy Ritchie[/i] mit Verve die Stirn geboten, in die hiesigen Lichtspielhäuser hat es der Streifen trotzdem nicht geschafft. Schon damals konnte der argentinische Darsteller [i]Ricardo Garin[/i] nachhaltig auf sich aufmerksam machen, in dem Kriminal-Melodram [b]In Ihren Augen[/b] zeigt er nun seine Qualitäten als Charakterkopf. Es ist kein Zufall, daß das Werk sogar den Oscar für den besten fremdsprachigen Film abstaubte und dabei einen ziemlich heissen Favoriten überraschend ausstach. Die Academy liebt bekanntermassen gut erzählte Geschichten, die mit einer Verschachtelung und konkretem emotionalem Bezug aufwarten können. In dieser auf 2 Zeitebenen erzählten Story ist der im Fokus stehende Kriminalfall nur der Ankerpunkt für einen Bogen, der viel mehr umspannt, als nur die unbefriedigende Aufklärung eines 20 Jahre zurückliegenden Mordfalles. Es geht um die Aufarbeitung von Fehlentscheidungen, die man im Laufe seines Lebens trifft, um unerfüllte Träume und um Schuldgefühle. Im Schlussakt bekommt der Film sogar noch einen universalen Aspekt, den jeder Zuschauer frei nach seinem Gusto interpretieren kann – aber ohne Chance auf eine gänzlich befriedigende Lösung. [u]Inhalt[/u] Benjamin Esposito[b]([/b][i]R. Garin[/i][b])[/b] war jahrelang Beamter der argentinischen Justiz, seinem Ruhestand fehlt die innere Ruhe und so entschliesst er sich ein Buch zu schreiben über einen brutalen Kriminalfall, den er einst mit einem Kollegen und einer Richterin bearbeitete. Dieser Fall hat ihn nie ganz losgelassen, zum einen, weil die Aufklärung unbefriedigend war und zum anderen, weil der Freund des Opfers bei ihm einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat, da dieser sich mit aller Leidenschaft für eine Frau einsetzte und auch nach ihrer Ermordung nicht vergessen konnte und sie immer weiter liebte. Den Mut zu einer solchen Hingabe hat – wie sich herausstellt - der Hauptprotagonist in seinem Leben nie gefunden. Kann er nun mit dem Schreiben dieses Buches etwas nachholen, was er einst verpasste? Oder überwältigen ihn Gefühle, die er verdrängt hat, denn er hat vor 20 Jahren noch einen weiteren schweren Fehler begangen. [u]Kritik[/u] Diese Adaption eines Romans zappt gekonnt zwischen den 2 Zeitebenen hin und her. Bühnenbild und Maske gehen dabei detailliert und unaufdringlich vor, es gelingt trotz der Verschachtelung die Geschichte in einem Guss zu erzählen. Der Kriminalfall aus der Vergangenheit wird aufgedröselt, die beschwerlichen Ermittlungen rund um einen an die Nieren gehenden brutalen Mord an einer jungen Frau werden genauso gezeigt wie die sich entwickelnde Beziehung zwischen Esposito und Richterin Irene Menendez, die in den Fall ebenfalls involviert ist. Aber das Verhältnis zwischen den beiden entwickelt sich nicht so, wie es vielleicht hätte sein können. Zwischen ihnen scheint eine unsichtbare Barriere zu bestehen und Esposito findet nicht den Mut diese Barriere zu überwinden. Den Kontrast zu dieser melodramatischen Komponente bildet Espositos Beziehung zum Kollegen und besten Freund Pablo Sandoval. Dieser ist für den Humor zuständig[b](![/b]man beachte seine Strategie beim Abwimmeln von Telefonanrufen[b])[/b], als notorischer Trinker und Sprücheklopfer gibt er zunächst eine Art [b]“[/b]Sidekick[b]”[/b] zur eigentlichen Geschichte, was sich aber im Verlauf ändern soll - bis hin zu einem echten Paukenschlag. Angesichts seiner Vergangenheit wird deutlich, warum der pensionierte Justizbeamte unbedingt dieses Buch schreiben MUSS. Es geht beileibe nicht um die Aufarbeitung eines alten Kriminalfalls, sondern um die Verarbeitung seines gesamten Privatlebens, welches im Verlaufe der Ermittlungen zu diesem Mordfall dramatische Wendungen annahm. Wie kann es ihm gelingen mit seinem heutigen Wissen und den wieder hochgekommenen Gefühlen sein Leben zufrieden weiterzuführen? Er sucht sich Hilfe bei dem Mann, den er dafür bewundert nicht vergessen zu können und zu wollen. [u]Fazit[/u] Es mag Zuschauer geben, die sich möglicherweise ein wenig darüber beschweren werden, daß sich das Werk etwas arg viel vornimmt und das Tempo gerade zu Beginn etwas gemächlich ist. Das ändert aber nichts daran, daß es sich um hochmodernes Kino handelt, welches relativ selten angeboten wird. Exellente Darsteller, eine auch für die grosse Leinwand brauchbare Inszenierung[b]([/b]Stadionszene[b]!)[/b] und eine raffiniert und sehr sauber erzählte Geschichte sorgen für echtes Augen- und Denkfutter, welches trotz seiner Emotionaliät nie in Kitsch mündet. Und spätestens der Schlussakt sorgt dann dafür, daß man den Streifen nicht schon an der Kinoausgangstür vergessen hat.
In Ihren Augen Bewertung