Bewertung: 3 / 5
"John Wick: Kapitel 2" ist seinem Vorgänger auf gewisse Weise unter-, auf andere aber auch überlegen. Sein Ansatz ist ein anderer: Erzählte sich Teil 1 über Action, so ist Action, was Teil 2 erzählt. Er inszeniert die Figur John Wick weniger als Charakter, sondern viel mehr als Jäger, als Choreografen, als Sinnbild. Ein Sinnbild des Todes.
Nicht umsonst beginnt der Film aus der Perspektive von John Wicks Widersacher*innen. Eine hektische Verfolgungsjagd, bei der die Kamera Keanu Reeves immer wieder im Treiben der Großstadt verschwinden lässt, die über schnelle Schnitte und unruhige Shots Zuschauenden die Übersicht nimmt. Mit dem Gejagten gleichgesetzt wird John Wick auch für uns zur Bedrohung. Zum Mythos, in Anknüpfung an das Motiv aus Teil 1 (Analyse), getragen von treibenden Rhytmen und lauten Motorengeräuschen.
Melodisch wird der Soundtrack erst, wenn John seinen Gegner überwältigt hat; doch selbst dann folgt die Kamera nur seinen Füßen. Wieder sind es die Worte der Antagonisten, die Reeves Figur adeln - in Referenz darauf kennt einer der Gegner die Geschichte über John und den Bleistift bereits, ebenso wie wir Zuschauer*innen. Und dann tritt John Wick ins Licht: Bereit, den Film über zu beweisen, was jeder an ihm fürchtet.
Trailer zu John Wick - Kapitel 2
Doch im Gegensatz zu Teil 1 wird John Wick im Anschluss nicht dekonstruiert. Zwar zieht er sich im Verlauf Verletzungen zu, zwar trifft er auf ebenbürtige Gegner, das Hauptaugenmerk ruht jedoch immer auf dem Kampf als solchen. Auf der Ästhetik, die man daraus ziehen kann.
Schon der erste Shot über die nächtlich erleuchtete Großstadt ist demselben aus dem vorangegangenen Film im Detail überlegen. Trübten Teil 1 noch aufgesetzt kühle Farben, um Johns Verlust festzuhalten, zeigt die Fortsetzung, wie viel man aus Bildgestaltung herausholen kann. Zum einen visuell: Lässt die Kamera der Action Raum, füllt sich dieser mit aufwendiger Kolorierung. Mit optischen Details. So spiegeln sich in Totalen die Kontrahenten im Wasser auf dem Fußboden, in den Wänden eines Spiegelkabinetts, springen durch die Lichter einer Disko und sprinten durch das Panorama einer U-Bahnstation, während die Szenerie die Farbkontraste immer wieder klar akzentuiert. Auffällige Primärfarben, meist entlang der 60-30-10-Regel in das Bild eingearbeitet; eine klinische, videospielartige Ästhetik.
In Nahaufnahmen hingegen folgt die Kamera stur John Wick und dessen Bewegungen, schneidet wenig und wird praktisch zum eigenen Akteur, wenn sie Widersacher*innen erst im passenden Moment zu erkennen gibt. Immer mit dem Bestreben, die Kampfchoreografie ohne Perspektivwechsel bis zum bitteren Ende durchzuziehen. Eben weil der Film seinen Fokus darauf legt, sich, vor allem visuell, mit jeder Actionszene zu steigern. Etwas, das ihm gerade im überragend ausgearbeiteten Finale spielend leicht gelingt.
Zum anderen trägt die Form, sobald das Werk die Eröffnungsszene hinter sich gebracht und seine Geschichte etabliert hat, einen gewissen Subtext. Denn kämpft sich John durch einen Tunnel unbedeutender Handlanger*innen, ist das Bild zum Großteil einfarbig, trifft er hingegen auf einen ebenbürtigen Kontrahenten, zieren es Komplementärfarben. Und gerät die Zahl gefährlicher Gegner*innen außer Kontrolle, arbeitet der Film mit Parallelschnitten, wird wieder bunt wie zu Beginn. Der Beginn, auf den sogleich Bezug genommen wird, wenn John nun tatsächlich einen Feind mit einem Bleistift tötet, wie um all die Legenden über ihn zu bestätigen.
Vergleichbar mit der Charakterarbeit aus Teil 1 ist das jedoch nicht. Was der Film an Ästhetik gewinnt, büßt er an Bedeutung ein; Reeves Figur ist nur noch eine Hülle. Die Versuche, das zu ändern, sind stümperhaft: John Wick, der schwarze Mann und Bote des Todes, kann ebendiese Rolle kaum mit Ausdruck füllen. Zwar ist Gianna DAntonios Tod, vor dem John bloß über einen Kameraschwenk in den Raum gelangt, überraschend sinnlich, etwas zu sagen hat man damit jedoch nicht. Die Anleihen an Italowestern verkommen zur Spielerei, und die Tatsache, dass John Wick buchstäblich ein Spiegel vorgehalten wird, zerbricht daran, dass man die Figur nur über die Dialoge anderer charakterisiert. Wie von dem Hund kaum noch etwas zu sehen ist, ist auch von dem ursprünglichen John Wick wenig übrig.
Er hat sich weiterentwickelt, vom Charakter zum Jäger, zum Choreografen, zum Sinnbild. Ein Sinnbild für das Inszenieren von Ästhetik.
6,5 von 10 Enten.