Bewertung: 3 / 5
Der Film Mowgli hat eine wahre Odyssee hinter sich. Bis es dazu kam, dass der vorliegende auf Netflix seine Premiere feiern sollte, gab es diverse Querelen hinter der Kamera und letztendlich ging es Warner Brothers nur noch um Schadensbegrenzung. Was war passiert?
Wie so üblich in Hollywood kommen urplötzlich zwei Studios gleichzeitig auf die Idee, eine neue Idee mit einer Verfilmung zu würdigen (Armageddon vs Deep Impact oder White House Down vs Olypmus has FGallen) oder eine brach liegende alte Idee neu aufzuwärmen (RTobin Hood vs Robin Hood oder Wyatt Earp vs Wyatt Earp in der einen oder anderen Verfilmung) und dann spielen die Beteiligten "Chicken". Fast zeitgleich kündigten also Disney und WB eine Neuverfilmung vom Dschungelbuch an, Disney eine Adaption des Zeichentrickklassikers und WB eine vorlagengerechtere düstere Neuorientierung. Beide kündigten vollmundig neuste Technologie an, um die Tiere zum Leben zu erwecken und der Wettlauf begann. Während Disney auf Nummer sicher ging und Jon Favreau (einen guten Handwerker) holte, konnte WB INnarutu verpflichten (ein Künstler, der der Bestie Mensch schon so manch denkwürdigen Auftritt gewährt hat). Doch anscheinend hatte WB die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Ein großer Künstler und ein kommerzielles Wagnis stehen sich manchmal gegenseitig im Weg. Innarutu musste (?) das Projekt verlassen, mit Andy Serkis wurde nun zumindest was das Motion-Capture Verfahren angeht ein versierter Meister geholt, der das Werk nun massentauglicher vollenden sollte. Wem bis jetzt keine Parallelen zu WBs DC-Plänen auffallen, den möchte ich natürlich nicht mit der Nase drauf drücken. Die Produktion verzögerte sich, Disneys Produkt kam geflutscht angerauscht, sah gut aus und spielte sensationelle Unmengen Geld ein, und auch Kritiker würdigten den Film. Also positionierte WB seinen Film in die Warteschlange und Serkis durfte dem Film lange seinen Stempel audrücken.
Trailer zu Mogli - Legende des Dschungels
So viel zur Vorgeschichte, und wie ist der Film?
Die Grundprämisse ist natürlich bekannt: Mowglis Eltern werden von Shir Khan getötet, Wölfe ziehen ihn auf. Als der Junge älter ist, kommte der Tiger wieder und fordert den Jungen ein. Um vor Khan zu fliehen, soll Mowgli zu den Menschen zurück kehren.
Bei so viel Gemeinsamkeiten ist es unglaublich wie unterschiedlich die beiden Filme sind. Mowgli ist ungleich archaischer und die Figuren sind allesamt irgendwie ausgereifter bzw. nicht so typisch schwarz-weiss gezeichnet. Selbst Shir Khan hat deutlich mehr Facetten als bei Disney, wo er einfach nur bösartig ist. Vor allem Mowgli, um den es hier ja geht, ist einfach im Vergleich zum Dschungelmilchbubi von Disney nicht nur älter sondern auch ein richtiger Charakter, der trotz einiger Unzulänglichkeiten seitens der Inszenierung durchaus glaubhafter ist.
Doch der Film hat einfach ein riesengroßes Problem: Man (zumindest ich) merkt dem Film irgendwann ganz eklatant an, dass WB irgendwann wegen dem gewagten innovativen Inhalt, den Innarutu wohl auf die Leinwand bannen wollte, der Mut verliess und sie auf Nummer sicherer gehen wollten. Ehrlich gesagt muss man sowas früher Erahnen als mitten in der Produktion, da geht es um Millionen von Dollars und hunderte bis tausende von Arbeitsplätze, da sollte man sich im Vorfeld der Produktion mit dem Projekt beschäftigen, wenn man Produztent ist ist. Aber sei es drum. Mit Joss Whedon, verzeihung, Andy Serkis wurde also ein hungriger Neuregisseur verpflichtet, der natürlich alles tat, was WB wollte und so wurde der Film nach Möglichkeit doch noch auf irgendwie auf Mainstream getrimmt. Hier ist das "Irgendwie" wichtig! Denn so ganz kann man natürlich nicht zu einem Kinderfilm mutieren, denn das hat ja Disneys Film perfektioniert, also muss schon eine andere Herangehensweise her. Und so kam es, dass man einen möglichst archaischen Film bekam, der aber vorne und hinten seine Probleme hatte und vor allem gegen Ende komplett nicht mehr unter Serkis Kontrolle war.
Hier mal exemplarisch ein paar Punkte:
1. Shir Khan ist eine gebrochene (auch körperlich) Figur, die - man kann es nur erahnen - auch zu dieser Figur geworden ist, weil die Menschen den Dschungel zurück drängen. ER ist deutlich ambivalenter angelegt, gerade weil er sich sowohl in der Affenbande als auch in im Wolfsrudel präzise und frei bewegen kann, er gehorcht ganz klar den Regeln des Dschungels und ist wenn auch der Böse in der Geschichte, gleichzeitig auch Gezeichneter. Hier ist absolut denkbar, dass Innarutu einen noch ambivalenteren Ansatz gewählt hätte.
2. Mowglis Akzeptanzproblem innerhalb des Wolfsrudels wird zwar thematisiert, aber da gibt es mehr als nur eine Nuance, die noch weiter vertieft hätte werden können. Auch hier haben wir mit Serkis Version eine deutlich gegenüber Innarutus bisherigen Werken kastrierte Variante vorliegen.
3. Der Jäger und seine Beziehung zu Mowgli: Anfangs als väterliche Figur eingeführt, entwickelt er sich zu einer etwas jämmerlich werdenden Figur, die Mowgli irgendwann auch hasst. Hier ist ein besonders großer Knackpunkt für mich ersichtlich, vor allem würde hier auch Mowglis etwas androgynes Aussehen durchaus Raum für Innarutu geben, in ganz schön böse menschliche Abgründe zu blicken. Sicher die vorliegende Szene geht unter die Haut und ist mutig, aber ich glaube zu erahnen, dass Innarutu hier einen ganz krass anderen und gleichzeitig auch für die spätere Handlung deutlich glaubwürdigeren Ansatz gewählt hätte.
4. Das Abwenden von den Menschen und die abrupte Wandlung in Tarzan of India: Das passt ja mal gar nicht zu der bisherigen Erzählung und hier verliert Serkis komplett die Kontrolle über das Werk.
5. Ein Film, der solche Ambitionen an den Tag legt wie Mowgli braucht deutlich mehr Laufzeit als popelige 104 inkl. Abspann, denn er ist vom Konzept her ein Epos. Auch hier geht Serkis den Weg des geringsten Widerstandes und dreht einem Film, der inkl. Abspann unter der 2 Std. Marke ist - erinnert uns an was genau nochmal?
Alles in allem ist Mowgli genau wie Justice League damals keine Vollkatastrophe, er hat sehr gute Ansätze und man erahnt, dass der ursprüngliche Regisseur tatsächlich großartige Ideen gehabt hätte, die aber durch umfangreiche Umgestaltungen komplett untergehen. Mowgli ist nach wie vor der mutigere Film als Disneys Version, hat ausgefeioltere Charkatere, aber er krankt an der Umsetzung und inhaltlich ist vieles Stückwerk. Tricktechnisch kann er Disneys Version nie das Wasser reichen. Dennoch als Gegenentwurf ist er allemal sehenswert.
Disneys Version würde ich 6-7 Punkte geben, da es eine ehrliche Kinderverfilmung ist mit ganz klarer Schwarz-Weiss-zeichnung. Mowgli würde ich eigentlich als den stärkeren Film ansehen, aber da Serkis immer stärker die Kontrolle über den Film verliert, man ganz klar erkennen kann, wieviel Potential hier liegen gelassen wurde, sit der Verdruss dann doch irgendwie größer und der Film wirkt irgendwie doch schwächer als Disneys Version, daher nur 6 Punkte.
Und neben der Snyder Cut Petition für JL sollte es eigentlich auch eine Petition für den Innarutu Mowgli geben, das hätte ein 10 Punkte Epos werden können. Mensch WB, was ihr momentan im Filmbereich an inetressanten Stoffen zerstört passt auf kaum eine Kuhhaut mehr!