Bewertung: 4 / 5
Once Upon A Time… oder A long time ago, in a city not even that far away. "Es war einmal" – so beginnen Märchen und tatsächlich: Als ich nach Once Upon a Time in Hollywood das Kino verließ, hatte ich das Gefühl, ein Märchen gesehen zu haben.
Aber fangen wir von vorn an: Recht kurzentschlossen besuchten Sully und ich das Kino, um uns das neuste Werk aus der Feder Quentin Tarantinos zu Gemüte zu führen. Die Vorgeschichte zu seinem offiziell neunten Film war ja doch recht kontrovers diskutiert – so sollten die grausamen Morde der sektenartigen Kommune Manson Family aufgearbeitet werden. Nach anfänglicher Ablehnung der Verfilmung durch Sharon Tates Schwester Debra, konnte Tarantino den Stoff offenbar doch auf eine Weise zu Papier bringen, die Debra Tate einlenken ließ, was letztlich auch das Interesse unsererseits weckte.
Trailer zu Once Upon a Time in Hollywood
Was am Ende zu unterschiedlicher Auslegung der gesehenen Ereignisse führte, war die das Hintergrundwissen, das Sully und ich mit ins Kino brachten. Während Sully relativ viel über die Hintergründe dieser grausamen Morde wusste, ging ich gänzlich ohne Kenntnis derer ins Kino. Ich wollte mich ganz unvoreingenommen "überraschen" lassen. So wusste ich gerade mal, dass es diese sogenannte Manson Family gab und eine Schauspielerin namens Sharon Tate, die ermordet wurde. Wie sich das ganze abspielte, war mir völlig unbekannt. Dementsprechend ergab manches erst später, bei nachfolgender Recherche, Sinn.
Aber eins nach dem anderen. Der Film fing an und generell gefiel mir, was ich sah. Tarantino schaffte es einmal mehr, mit tollen Bilder (Stimmung durch Farben und Kontraste, Kameraeinstellungen), passender Musik, Liebe zum Detail (das Hollywood der 60er wurde mit akribischem Feingefühl nachgestellt – ganz ohne CGI) und guten Dialogen der überzeugend spielenden Schauspieler (insbesondere Brad Pitt war einmal mehr über jeden Zweifel erhaben) zu glänzen. Obwohl ich nach gut einer halben Stunde kurz überlege, wo der Film eigentlich hinwill, fühlte ich mich gut unterhalten. Die Manson Family, sowie Sharon Tate und ihre Freunde waren bis dahin lediglich Randfiguren – ich persönlich war mir nicht einmal bewusst, dass ich bereits den Manson-Anführer Charles zu Gesicht bekommen hatte – im Gegensatz zu Sully. Grundsätzlich waren die beiden fiktiven Figuren, Schauspieler Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) und sein Stuntman Cliff Booth (Brad Pitt), im Fokus der Geschichte. Und genau hier (Fokus auf fiktive Figuren) konnte man sich bereits dem Gedanken hingeben, ein Märchen zu sehen. Es machte einfach einen riesen Spaß, den beiden Hauptprotagonisten zu folgen, sich durch das sonnige Hollywood kutschieren zu lassen und die Bilder, Gespräche und Handlungen zu genießen.
Tarantino zog sämtliche Register, um den Märchencharakter des Films zu unterstreichen, siehe unter anderem die Begegnung von Cliff Booth mit Bruce Lee (was seiner realen Tochter Shannon im Übrigen, verständlicherweise, überhaupt nicht gefiel), oder sein Auftritt auf der Spahn Movie Ranch, auf der sich die Mitglieder der Manson Family aufhielten. Rückblickend wäre dieser Film meine Antwort auf die Frage: "Wie sähe die Tarantino Version von Forrest Gump aus?" Auch dort sind die geschichtlichen Ereignisse nur Nebenschauplätze und der Fokus liegt auf der fiktiven Hauptperson und dennoch greift eben jene Person in wichtige geschichtliche Ereignisse ein.
Nachdem der Once Upon a Time in Hollywood mehr oder weniger handlungslos dahindümpelt (ohne langweilig zu werden (das würde ausser Quentin Tarantino wohl sonst niemand schaffen)) nimmt der Film irgendwo ab Mitte der Spielzeit an Fahrt auf und letztendlich treffen vier Mitglieder der Manson Family am Ort des Geschehen ein: Die Handlung beginnt, die der Kenner der geschichtlichen Ereignisse schmerzlich erwartet. Doch während ich von einer ganz anderen Motivation dieser vier Personen ausgehe, ist Sully das eigentliche Motiv bewusst. An dieser Stelle will ich aus Spoilergründen gar nicht weiter in die Handlung eingehen. Es sei einfach nur gesagt, dass Tarantino es einmal mehr schafft, ein Ende zu inszenieren, das einfach unglaublich mitreißt. Sämtliche Rezeptoren des Kinogängers werden aktiviert und nach dem Abspann gehe ich gefühlte zehn Zentimeter gewachsen und breiteren Schultern aus dem Kinosaal. Eine Wohlfühlstimmung die ich bei Filmen liebe.
Ich unterhalte mich hinterher mit Sully über das Gesehene. Ich stelle fest, dass die Handlung auf einen Bierdeckel passen würde und dass wohl mindestens die Hälfte aus dem Film geschnitten werden könnte, ohne der Handlung zu schaden. Auch einen Tag später tausche ich meine Gedanken mit Sully und bartacuda aus. Wir diskutierten über die Motive, was die eigentliche Handlung überhaupt sollte – ganz einfach, ob wir da jetzt einen guten oder einen schlechten Film gesehen hatten. Doch alleine die Tatsache, dass uns Once Upon a Time in Hollywood in der Nachlese so sehr beschäftigte und wir so viel darüber sinnierten und debattierten, schien ein Grund dafür zu sein, dass Tarantino etwas richtiggemacht hat und je länger ich darüber nachdenke, desto wohlwollender fällt meine Note aus. Direkt nach dem Kinobesuch hätte ich nicht mehr als 6 von 10 Punkten gegeben - ganz einfach, weil ich mich ob der schwachen Handlung einfach nur durch schöne Bilder und das tolle Ende geblendet fühlte. Je mehr Zeit jedoch verging (was auf ironische Weise zum Titel passt), je mehr Gedanken ich dem Film widmete und je mehr ich mich darüber austauschte und Freunden erzählte, desto weiter stieg meine Begeisterung.
Nachdem ich mich ausgiebig mit den Hintergründen um die Manson Family befasst habe und die Motive einigermaßen klar sind (100%ig sicher ist es ja heute immer noch nicht), weiß ich, dass ich den Film nochmals und mit anderen Augen sehen muss und werde.
Nach anfänglich 6 Punkten bin ich letztlich bei 8 Punkten, bzw. 4 Hüten angelangt!