Bewertung: 4 / 5
Der jungen Bella Baxter (Emma Stone) wird durch den Wissenschaftler Dr. Godwin Baxter (Willem Dafoe) das Leben gerettet. Nun sammelt die junge Frau Lebenserfahrung und ist auf der Suche nach einem tieferen Sinn. Dabei trifft sie auf den Anwalt Duncan Wedderburn (Mark Ruffalo), der mit ihr auf ein wildes Abenteuer geht und ihr neben der Fleischeslust auch die Welt zeigt. Doch auch der junge Student Max McCandles (Ramy Youssef) hat ein Auge auf Bella geworfen. Nach und nach entdeckt Bella ihre Leidenschaft für das Leben in all seinen Facetten und versucht aus ihrem Alltag auszubrechen.
Große Filme, das Verständnis von Kunst. Es hat sich gewandelt, gerade in Hollywood, wo man eigentlich immer auf die Kommerzialisierung und Massentauglichkeit von Filmen achtete. Wann genau das passierte? Schwer zu sagen, natürlich gibt es da immer Strömungen, wie etwa zu Beginn der 1990er durch Konsorten wie Alexander Payne, Paul Thomas Anderson oder eben auch Wes Anderson. In diese Tradition lässt sich vermutlich auch Yorgos Lanthimos Poor Things einordnen. Und ja, man kann schon sagen, daß das Werk zunächst recht sperrig anmutet. Jede Faser von Kunst, die im Film steckt, schreit in den ersten zehn bis fünfzehn Minuten dermaßen nach Aufmerksamkeit, daß man mitunter mal in die schwarze Pädagogik abtauchen und im Sinne von Batman zum Schlag gegen Robin ausholen möchte. Sicherlich kann man wie bei jedem Film die Frage stellen, warum man denn eigentlich brisante und mitunter auch sowieso schon komplexe Themen verschachtelt und metaphorisch aufgearbeitet werden müssen. Doch das wäre eine Diskussion, die in der Postmoderne so tief verankert ist, da auch hier dann wirklich alles entzaubern würde. Dennoch ist Poor Things nicht frei von Fehlern, sondern leidet er mitunter daran, auch ein wenig zu lang zu sein und das ist eben etwas, was man auch einem solchen Film nicht verzeihen kann. Klar, daß ist jetzt wirklich keine greifbare analytische Meinung, sondern ein ganz persönlicher Geschmack.
Trailer zu Poor Things
Im Prinzip ist Poor Things eine Geschichte, die keine Geschichte ist. Welch ein Segen. Von A nach B geht es hier zwar schon, aber mehr auf organischem Weg und erinnert dabei sogar an die großen Tim Burton-Filme. Als Antwort, wenn man denn eine brauchte, kann man das Werk aber auch verstehen. Es ist im Prinzip Barbie (2023) in gut. Lange Zeit offenbart sich Poor Things nämlich nicht, sondern lässt sich eher Zeit damit, seine Hauptfigur Bella Baxter durch das Leben streifen zu lassen. Immer wieder begegnen ihr Männer auf ihrem Weg und ab dem Zeitpunkt schießen so viele Gedanken durch den Film, daß es wahrlich schwierig wird, jede einzelne Nuance und Beziehung, die Bella zwischenmenschlicher Natur eingeht, aufzugreifen. Wie ein Kind ist sie intellektuell und tritt auch so dem Leben und den Männern dieser Welt entgegen. Der erste hält sie im Haus und hat sie erschaffen, als er ein Hirn in einen Körper steckte. Natürlich lässt das Parallelen zu dem zeitlosen Klassiker Frankenstein (1818) von Mary Shelley zu. Und ja, diese sind auch gewollt. Nur entwickelt sich der Film glücklicherweise in eine ganz andere Richtung und überrascht auf diesem Level auch ein erstes, aber nicht das letzte Mal. Wordlbuilding ist ja dann wichtig, wenn man eine phantastische Welt greifen möchte, oder zumindest dem Zuschauer beibringen möchte, warum das nun wichtig ist. Auf dieser sehr oberflächlichen Ebene des Films gelingt Lanthimos tatsächlich ein Geniestreich, weil die Bilder, die er erzeugt, zwar in jedem Moment artifiziell sind, aber auch in jedem Moment spannend. Und man kann und möchte sich dann auch ganz einfach in dieser Welt verlieren.
Nun ergeht es Bella Baxter zunächst auch so. Sie ist der Fisch aus dem Wasser, der wie ein Neugeborenes, die Außenwelt entdeckt. Sofort will sie heiraten, sofort will sie Abenteuer und nimmt sich beides in Gestalt von Max McCandles und Duncan Wedderburn. Es sind die Männer, die Bella Baxter hier kontrollieren und imponieren. Ab diesem Punkt zeichnet Poor Things vor allem ein sehr freizügiges und naives Bild zweier Romanzen mit der gleichen Frau, die man vielleicht sogar als Missbrauch deuten könnte. Denn immerhin ist Bella Baxter nur im Körper einer erwachsenen Frau, hat aber hier noch lange nicht die Reife dieser. Und dieser Blick, verändert auch den Blick auf den Film, der zunächst traumhaft und märchenhaft anmutete. Zumindest wird sich das mit dem Gigolo Wedderburn lösen. Aber der bittere Nachgeschmack in Bezug auf McCandles bleibt bis zum Ende des Werkes bestehen. Und dann wird Poor Things auch zur Parabel gegen die Prüderie in den Staaten. Natürlich kann man das plakativ und einfach nennen, wenn Bella Baxter hier eigentlich in unzähligen Sequenzen nur am Kopulieren ist und auch eine Emma Stone am laufenden Band blankzieht. Doch das ist es nicht, vielleicht nur zu einem kleinen Teil. Denn tatsächlich ist die Körperlichkeit hier ein zentrales Thema, daß die naive Bella Baxter auch in die Prostitution treibt. Ganz im Sinne des neuen Deutschen Films, was einen Auftritt von der großen Hanna Schygulla auch erklärt. Denn Lanthimos orientiert sich stark an Vorbildern wie Rainer Werner Fassbinder oder auch dem großen Terry Gilliam. Und es gelingt ihm tatsächlich dann auch wirklich patriarchale Strukturen offenzulegen. Etwas, an dem Greta Gerwig leider mit ihrem letztjährigen Fliegenschiss an Film scheiterte.
Mitunter entwickelt sich Poor Things dann auch immer weiter in unangenehme Pfade. Er will seine Figur emanzipieren und zeigen, welche Hürden das letzten Endes bedeutet. Dieser sind hier systemischer Natur. Natürlich auch aufgrund dessen, weil das der Wahrheit entspricht. Unterdessen liefert Hauptdarstellerin Emma Stone eine brachial gute Leistung ab, die ihr zurecht hohe Anerkennung einbrachte. Der Grund dafür liegt vor allem in der verkörperten Naivität, die die Figur bis zum Schluss behalten wird. Die Konzeption dessen ist so gelungen, daß Bella Baxter den großen Fragen im Leben bis zum Ende keine für sie treffende Antwort liefern kann. Denn weder Liebe noch Tod, noch Verlangen, noch Macht werden auf ihrem Weg für sie ergründet. Und da scheint sie in vielen Bereichen auch die einzige zu sein, die keine Antwort parat hat. Insofern zeichnet Lanthimos ein ehrliches Bild des Lebens. Denn den großen Fragen kann man sich gar nicht erwachsen nähern, weil die Antworten immer naiv bleiben müssen. Es gibt hier keine Erkenntnis. Es ist ebenso phantastisch, weil der Film eben den Mann als Erschaffer, als Gott zeichnet. Immer wieder nennt Bella Baxter ihren Ziehvater Gott, was natürlich auch viel Spielraum für Interpretationen überlässt. Genetische Experimente, Transhumanismus und andere Träume des Silicon Valley schwingen da mit und entlarven diese moderne Ideologie der vermeintlichen Unsterblichkeit.
Ein etwas zäher Start in Poor Things, sollte nicht dafür sorgen, daß man sich diesem sehr speziellen Film nicht annähert. Angereichert mit phantastischen Ideen, großem Schauspiel, zeichnet Lanthimos eine Welt, die naiv und abgeklärt zugleich ist. Es sind Machtspiele, die die einfachen Menschen nicht verstehen können und dem sie deshalb auch nicht folgen werden. Herrlich ironisch und bitter aufgeladen, holt der Film zu einem harten Schlag aus.