Bewertung: 3.5 / 5
Die junge Jen ist mit ihrem offenbar wohlhabenden Liebhaber Richard auf dem Weg zu seinem etwas abgelegenen Rückzugsort. Dort angekommen, verbringen die beiden einen entspannten Tag und eine Nacht miteinander, was lediglich dadurch verkompliziert wird, dass er noch verheiratet ist. Leider wird das Wochenende dadurch unterbrochen, dass Richards Geschäfts- und Jagd-Partner Stan und Dimitri auf einmal einen Tag zu früh aufkreuzen. Nach einer etwas unbeholfenen und unangenehmen Vorstellungsrunde kommt man überein, dass man auch genauso gut einen entspannten Abend miteinander verbringen kann, bevor Jen wie geplant abreist. Zu ihrem Unglück muss diese am nächsten Morgen, während Richard scheinbar kurz unterwegs ist, die Erfahrung machen, dass Stan bei dem ausgelassenen Abend zuvor offenbar einiges falsch verstanden hat, und leider nicht nur Tiere jagt.
Nach einer kurzen Konfrontation mit dem zurückgekehrten Richard muss sie außerdem einsehen, dass es offenbar mit seinem Beschützerinstinkt nicht allzu weit her ist, zumindest wenn es um sie geht. Panisch flüchtet sie in die Wüste, kann ihren Verfolgern aber nicht entkommen, und bleibt, mutmaßlich tödlich verwundet, ihrem Schicksal überlassen.
Wenn man einmal durch das Vokabular der siebziger Jahre Exploitation-Filme schaut findet man eine Rubrik, die sich „rape-revenge films“ nannte. Das Konzept war simpel, eine Vergewaltigung, mit oder ohne Mord, öffnete das Tor der Handlung zu einem Rachefeldzug des Opfers oder deren Familie. Ganz streng genommen könnte man nach dem Maßstab auch Ingmar Bergmans Die Jungfrauenquelle zu diesen Filmen zählen, wenn es da nicht leichte Unterschiede in den Absichten der Regisseure gäbe (und der Tatsache, dass dieser Film von 1960 ist). Und sprechen wir von Regisseuren: Die Struktur dieser „rape-revenge“ Filme war so simpel, dass sie einfach zu Vehikeln für die Tendenzen ihrer Regisseure bezüglich deren Einstellung zu Frauen und Gewalt wurden. Nun, Revenge bleibt diesem Grindhouse Ton Treu, gibt ihm aber einen feministischen Spin.
Trailer zu Revenge
Es gibt zwei Szenen, die visuell das Thema des Films und die Entwicklung seiner Protagonistin perfekt zusammenfassen. Regisseurin Coralie Fargeat (ihr erster Film, Chapeau!) inszeniert Jen am Anfang bewusst so, wie es ein Michael Bay machen würde: voyeuristisch sexy. Jen ist naiv, verspielt, und hat zu wenig an. Gleich die erste Szene im Helikopter verdeutlicht zudem die Machtverhältnisse, Richard sitzt dominant im Vordergrund, der vor ihnen liegende Weg spiegelt sich klar in seiner Sonnenbrille. Jen ist im Hintergrund, lutscht an einem Lolli, ist nicht ganz scharf in Szene gesetzt, man kann sagen, noch nicht ganz geformt. Gleich hier haben wir eine klarere Bildersprache, als man es von manchen Big Budget Produktionen gewohnt ist, und uns wird auch gesagt: Hier erzählen Bilder die Handlung.
Die eigentlich angesprochene erste Szene kommt aber später. Bei ihrem ersten Treffen wird Jen von den Richards Partnern überrascht, sie hat fast nichts an und steht vor der Glasfront des Hauptzimmers. Stan und Dimitri glotzen sie einfach unverfroren an, sie steht wie eine Puppe im Schaufenster da. Und zusammen mit ihrer Inszenierung am Anfang wird einem hier langsam klar, dass der Film auch ein Statement zum male gaze machen will, und zu den Sehgewohnheiten, die wir zu einem solchen Film mitbringen. Wirklich klar wird dies, wenn die Szene später gespiegelt wird, und ein nackter Richard der nun in eine unbesiegbare Rachegöttin transformierten Jen ausgesetzt ist, in der umgedrehten Situation. Was am Anfang irgendwie noch normal erschien, ist jetzt verstörend umgedreht, und die extreme Veränderung in Jens Äußerem (obwohl sie immer noch nur einen Bikini trägt) macht einen Strich darunter. Der male gaze wird hier nicht unterwandert, er wird angegriffen.
Und um das Ganze noch zu verstärken, werden in mindestens einer Szene die macho-wacho Actionfilme der achtziger Jahre, mit ihren halbnackten Typen, durch den Kakao gezogen. In Jens Transformationsszene, komplett mit „gear up“, in dem Waffen klackende und zischende Geräusche machen wenn man sie nur ansieht, muss sie nicht nur Schmerzen erleiden, die normale Menschen ins Jenseits befördern würden (inclusive Blutverlust), sondern bekommt auch noch ein Branding, dass irgendwie an den Schlock-Klassiker Red Scorpion erinnert, nur mit komplett anderer Symbolik. Die angesprochene Symbolik ist leider (oder gerade) in gesamten Film nicht besonders subtil. So erleiden einige Personen ein Schicksal, welches doch etwas zu direkt mit deren Anteil am Verbrechen verbunden ist (einer zieht sich einen Splitter aus einem blutenden Spalt im Fuß, ein anderer bekommt die Augen ausgestochen. I get it…).
Und an der Stelle sollte man auch ein paar Kritikpunkte anbringen. So wird etwa wenig auf den Hintergrund der Täter eingegangen, außer dass sie eben „Männer“ sind. Dann wiederum sind diese auch nicht der Fokus des Films, und, sind wir einmal ambivalent, vielleicht ist das auch gerade der Punkt dieses unsubtilen, subversiven Genrefilms. Das Drehbuch ist intakt, erlaubt sich aber ein paar Stolperer, wie in der Nacht, in der der eine Person ihr Schicksal erleidet, und scheinbar keiner aufpasst. Oder bei einer späteren Verfolgungsjagd, wo die Übersicht, wie wer von A nach B kommt, schnell über Bord geht. Ebenfalls sieht man einen gewissen Mangel an Budget: besonders eine Maske sieht nicht besonders überzeugend aus, dasselbe gilt für einige Wunden, und in einer Motorradszene wird schnell klar, dass sich hier nur die Kamera und die Nebelmaschine bewegen.
Nichts desto trotz haben wir hier einen stylischen, überraschend schönen Actionfilm, der auch eine durchaus clevere Farbwahl ins Feld führt (das Rot am Anfang, Sex, wird zu einem Symbol exzessiver Gewalt am Ende). Matilda A. I. Lutz ist absolut phantastisch als Jen, und gibt ihrer rein visuell getriebenen, ohne erklärende Dialoge ausgeführten Veränderung volle Glaubwürdigkeit. Sound und Musik sind effektiv eingesetzt und pulstreibend. Wer hohe Ansprüche an Realismus hat sollte es sich allerdings zwei Mal überlegen: Der Streifen wälzt sich durchaus gerne in seinen Exploitation-Film Klischees. Die Gewalt ist exzessiv, drei Leute bluten für sechs, und gegen Ende geht es soweit, dass das Ganze fast etwas albern wird. Wenn ich vom Ende als „Ultra Schlock Territorium“ rede, dann wird es der, der den Film sieht, es bestimmt verstehen.
Also, um einmal Katie Rife zu zitieren, ist es möglich einen Exploitation-Film für die Post-#MeToo Ära zu modernisieren, ohne seinen rohen, ungeschliffenen Charakter zu verändern? Die Antwort ist in der Form des blutbesudelten Revenge erschienen.