Bewertung: 4.5 / 5
Eines vorab: Manchmal erörtere ich einen Film sehr lange und von vielen Seiten und wirke dann auf manche Leser hier besonders kritisch, weshalb sie dann am Ende total konsterniert sind ob der doch so hohen Wertung. Dazu muss ich sagen, dass ich diese Filme so lang und breit bespreche und so kritisch, weil sie es eben verdienen, dass man sich so lange mit ihnen auseinander setzt. Und die vermeintlichen Kritikpunkte kann man dann auch eher als Würdigung ansehen. Roma wird voraussichtlich so eine Kritik werden. Der Film ist schlicht überragend und großartig und zählt jetzt schon zu den groß0en Klassikern des beiläufigen detaillierten Erzählens. Visuell überragend, pickepackevoll und sehr sehr gediegen erzählt, ist er ganz großes Kino! Dennoch reicht es nicht, nur diese beiden Sätze zu dem Film zu schreiben, denn er ist so viel mehr. Und gleichzeitig ist er nicht für jedermann. Gerade letzter Aspekt ist immens.
Roma erzählt beinahe zu beiläufig einen Ausschnitt aus dem Leben einer Dienstmagd im Mexiko der frühen 1970er (möglicherweise sogar 1970) in einem auf den ersten Blick wohlsituierten Haushalt. Dieses knappe eine Jahr, das beleuchtet wird, gibt dem Zuschauer neben dem Schicksal der Magd und der Familie auch einen sehr detaillierten gesellschaftlichen Blick, die Beziehung Mann/ Frau, soziale Komponenten (Arm/Reich, damit einhergehend Gebildet/Ungebildet), sowie den inhärenten Klassenkampf gepaart mit dem Ost/West-Konfikt. Im Endeffekt hat man ein ziemlich akurates Bild eines Mexiko, das irgendwie so auch heute noch funktionieren dürfte.
Trailer zu ROMA
Soweit so gut, wieso also eine lange Kritik? Weil der Film unisono sehr gute Kritiken bekommt und es kaum, wenn überhaupt kritische Aspekte gibt. Und das ist einfach nicht gerechtfertigt. Kommen wir also erst mal zum Positiven:
ROMA ist einfach ein Augenschmaus, jede Einstellung ist prinzipiell gefühlt eine akribische Plansequenz, die man mehrfach schauen muss, um zu begreifen, was einem hier auch noch beiläufig im Hintergrund erzählt wird.
Technisch brillant bis zum Geht-Nicht-Mehr und beeindruckend wie sonstwas (das letzte Mal, dass ich so beindruckt von einem Film und seiner ästhetischen Inszenierung war, war der Directors Cut von Lady Vengeance!) begnügt sich Cuaron nicht nur mit der bildlichen Darstellung, nein sowas funktiuoniert nur, wenn man mittendrin sitzt, so dass ROMA auch nur so funktionieren kann, wenn der Sound ebenso stimmig ist, und meine Fresse (tschuldigung, aber das musste jetzt sein!), der Sounddesign hat es knüppeldick in sich, und jeder der den Film mit einer halbwegs brauchbaren Surround-Anlage schauen kann, darf sich gesegnet fühlen. Von rechts, von links, von vorne von hinten, von oben von unten von überall brecehen hier Eindrücke auf den Zuschauer ein, so dass man fast gar nicht anders kann, als denjenigen Leuten zuzustimmen, die behaupten, ROMA wäre eigentlich prädestiniert für die große Leinwand. Die kleinsten Hintergrundgeräusche werden hier wieder gegeben, als könnte es was Wichtiges ein, und wer weiß, vielleicht ist dem auch so. Schließlich wird das Leben so transportiert.
Audiovisuell ist also alles top - trotz/auch wegen (je nachdem in welchem Lages man sitzt) dem künstlerisch ach so wertvollen Schwarz-Weiss, und wie sieht es mit dem Inhalt aus? (Kleiner Tipp: Wir sind immer noch im positiv besprochenen Teil)
Tja, hier sollte man etwas weiter ausholen und dem Zuschauer etwas mehr Hintergrund an die Hand geben, eigentlich. Aber genau das tut Cuaron nicht, er bleibt immer auf Augenhöhe mit seiner Protagonistin, die recht ahnungslos durch die Gegend zieht. So unbedarft geht dann auch der Zuschauer an die ganze Handlung ran, und wenn man als Zuschauer dann doch mehr über Mexiko weiss, dann wird das ohnehin sehr komplexe Bild nur weiter vervollständigt. Will heissen, schlecht wird den Film eigentlich kein Interessierter finden, nur der mit mehr HIntergrundwissen wird ihn womöglich noch besser finden? Das liegt einfach - ich wiederhole mich - an der pickepackevollen mit Details vollgestopften komplett durchgeplanten Inszenierung.
Wenn beispielsweise der Freund der Protagonistin anfangs als jemand eingeführt wird, der ganz unten war und nun durch Kampfsport sich wieder gestärkt fühlt, der auch nicht mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt ist, dann kann man eigentlich vielleicht nur erahnen, wohin die Reise geht. Wenn dann aber das volle Ausmass einem offenbart wird, dann steht man zweierlei ungläubig da: Zum einen, warum man es nicht schon vorher gewußt hat, und zum anderen über den wirklich beiläufigen Aufbau zu dieser Erkenntnis.
Und es hört damit gar nicht erst auf: Wer sich ein bißchen mit mexikanischem/lateinamerikanischem/universellem Machismo beschäftigt hat, der kommt am Thema Ciudad Juarez eigentlich nicht vorbei, und damit auch an solchen Filmen wie Paradies der Mörder in der einen oder anderen Ausprägung. ROMA geht den weniger aggressiven und anklagenden Weg der nuancierten Betrachtung aus rein femininer Sicht der Dinge und den Status der Frau in solch einer Gesellschaft. Dadurch wird der Film intimer, persönlicher und gleichzeitig aber auch deutlich ergreifender und empathischer, und für den einen oder Zuschauer sicherlich auch anklagender. Schließlich werden hier zwei Frauentypen nebeneinander gestellt, die zeitlich parallel eine ähnliche Krise durchlaufen.
Und wenn es am Ende katalystisch zur Zuspizung am Meer kommt, ist jedes Ende möglich, nach allem, was einem vorher zugemutet wurde, rechnet man auch mit dem Schlimmsten.
Bevor das zum zigsten Male wiederholte nocheinmal hochpreisend Bejubeln, kommen wir nun zum Negativen:
Der Film ist stinklangweilig! Das musste erst mal gesagt werden, auch wenn es so natürlich nicht stimmt. Der Film nimmt sich seine Zeit, seine Story zu erzählen, ermüdend langatmig in einigen Momenten und auch wenn er eine stimmige Story erzählt, wirkt es vor allem in den ersten 60-75% einfach sehr unfokussiert und wenig zielführend. Bis man schließlich gewisse Früchte erntenb kann, gibt es massiv überragende, aber für sich genommen irgendwie nichtssagende Plansequenz an Plansequenz gereiht, und der heutige Kinogänger wird sicherlich nicht viel mit diesem langsamen Nichterzählfluss anfangen können.
Es gibt keine klar definierte Antagonistenfigur - später wird sich dies radikal ändern, aber selbst dann ist es dann eher das System - und auch das fehlende musikalische Leitmotiv trägt nicht dazu bei, dass der Film zugänglicher wird.
Das ist - machen wir uns nichts vor - trotz aller Qualitäten kein Film für die Massen und hat rein gar nichts in einem Multiplexkino der heutigen Zeit verloren. Das mag widersprüchlich wirken, denn es ist ein Film, den man möglichst großformatig geniessen muss, aber er hat halt keine Chance gegen den siebten Aufguss eines Avengers oder Harry Potter (hehe, der musste jetzt sein) Spinoffs.
Auch wird es nicht dazu beitragen, dass die Massen den Film mögen werden, wenn ihnen so mal gar nichts erklärt wird, anhand zum Beispiel einer dummen Figur, die nur dafür da ist in solchen hohlen Blockbustern, um für das Publikum die richtigen Fragen zu stellen. Nicht falsch verstehen, auch sowas hat seine Daseinsberechtigung und ich bin der Letzte der sowas verteufelt, aber in ROMA ist das halt Fehl am Platz.
In guter alter Erzählkinotradition der guten alten Italiener und Japaner erzählt hier Cuaron seine epischsste und persönlichste Geschichte und erklärt nebenbei, warum er Gravity drehte und zeigt ganz klar seine Liebe zu La Strada.
Der Film ist ein Meisterwerk, keine Frage, aber er ist nicht so einfach zugänglich. Er verdient locker 9-10 Punkte, aber wegen der Sperrigkeit würde ich ihm am Liebsten nur 8 Punkte geben. Schließlich dauert es gefühlt bis zur letzten halben Stunde bis so etwas wie eine tatsächliche Handlung erfühlt wird.
Aber ganz ehrlich, wenn ein solcher Film von mir nur 8 Punkte bekommt, dann habe ich die letzten Jahrzehnte meines Lebens dem falschen Hobby gefröhnt und verstehe von Film überhaupt nichts.
Mindestens 9 Punkte!