Bewertung: 4.5 / 5
Tenet ist der inzwischen elfte Spielfilm von Christopher Nolan und erschien im August 2020 in den europäischen Kinos. Die nachfolgende Kritik ist spoilerfrei.
Trailer zu Tenet
Die Trailer haben genau das über die Handlung erzählt, was man im Vorfeld wissen muss. Es gibt eine neue Technologie mit der man die Zeit invertieren kann. Das augenscheinliche Ziel ist es, einen weiteren Krieg zu verhindern. Natürlich steckt hinter allen viel mehr, aber zu Beginn ist diese Information völlig ausreichend.
In einem Trailer zu Tenet wird so schön gesagt „versuchen Sie nicht es zu verstehen. Fühlen Sie es.“ An dieser Aussage ist tatsächlich eine ganze Menge dran. Denn von seiner erzählerischen Komplexität ist Tenet wirklich ein sehr schwerer Brocken, der in diesem Punkt durchaus Memento in den Schatten stellen kann. Es wird zwischendurch einiges erklärt und das ist gerade bei der ersten Sichtung sehr viel und wird sehr schnell abgehandelt. Das Interessante ist jedoch, dass es ausreicht um die zweite Hälfte des Films vollkommen zu fühlen und auf gewisse Weise nachvollziehen zu können. Der Film ist kompliziert, aber nicht so, dass es wehtut oder anstrengend ist, sondern so, dass die Unterhaltung immer noch im Vordergrund steht. So sind die schnellen Erklärungen für manche möglicherweise eine Schwäche des Films, im Resultat wird dieser Punkt aber zu einer Stärke von Tenet – Das ist eine Erzählkunst wie sie wohl kein Zweiter beherrscht.
Am Ende hat man, wie schon bei Following, Memento oder Prestige das Gefühl, dass man den Film am liebsten gleich nochmal sehen möchte. Besonders schön war es, nach dem Abspann die vielen anderen Kinobesucher zu beobachten, wie sie angeregt über den Film diskutiert haben. Das ist es, was Kino ausmacht, was uns begeistert. Oft bekommen wir eine 0815 Erzählung serviert, die 2 Stunden zu unterhalten weiß, aber anschließend sofort verschwunden ist. Das ist hier definitiv nicht der Fall.
Weiterhin kann man kritisch betrachten, dass Tenet auf einer ganz simplen Geschichte aufbaut und diese „nur“ sehr umständlich vermittelt. Das stimmt und das ist nichts Neues, aber dafür steht Christopher Nolan – es geht gar nicht um das eigentliche Ziel, sondern um den Weg, den Menschen gehen, um ihr Ziel zu erreichen.
Um auf ein paar nüchterne Fakten in der Besetzung einzugehen, so hebt sich Tenet insofern von seinen Vorgängern ab, dass sowohl im Filmschnitt wie auch in der Musikkomposition das Jahre lange Stammteam nicht verfügbar war. Lee Smith (Schnitt) wurde durch Jennifer Lame ersetzt und die Musik stammt aus der Feder von Ludwig Göransson und nicht mehr von Hans Zimmer.
Der Filmschnitt wurde hier und da im Vorfeld etwas kritisiert, meiner Meinung nach nimmt sich die Änderung jedoch nicht viel, der Schnitt passt gut zum raschen Filmtempo und kommt daher sehr authentisch daher. In der Musik liefert Göransson zwar einen ähnlichen Stil wie Hans Zimmer ab, welcher thematisch auch durchaus passt, aber leider kann die Genialität eines Hans Zimmer nicht erreicht werden und die Musik hat nur einen geringen Wiedererkennungswert. Interstellar (sein Meisterwerk), Inception, oder auch Batman Begins sind so einprägsam, das misst man bei Tenet leider – trotz authentischer Klänge. Über die eindrucksvollen und vor allem handwerklichen visuellen Effekte wurde in vielen anderen Kritiken schon genug erzählt – Tenet schaut bombastisch aus.
Schauspielerisch gibt es ebenfalls sehr viel Neuland. Lediglich Kenneth Branagh (Dunkirk) und Michael Caine (jeder Film seit Batman Begins) sind aus vorherigen Zusammenarbeiten erneut vertreten. Getragen wird Tenet vor allem von den neuen Gesichtern von John David Washington, Robert Pattinson sowie Elizabeth Debicki, welche sich alle drei wunderbar in die eher kühle Inszenierung einfügen.
Vergleichbar mit Dunkirk gibt es nur wenig persönliche Motive der Figuren - das kann ebenfalls für manche Zuschauer eine Schwäche sein. Für die Mysteriösität des Films war es teilweise notwendig, so bleiben die meisten über fast die ganze Laufzeit ein Rätsel.
Dass die Geschichte der Zeitinversion keine verrückte Idee von Nolan ist und auf wissenschaftlichen Thesen basiert, deutete nicht nur schon im Trailer eine Tafel im Hintergrund an. Wer den Abspann beobachtet, wird u.a. den Namen Kip Thorne finden. Inzwischen ist er Nobelpreisträger der Physik und nach Interstellar stand Thorne offenbar auch bei Tenet beratend zur Seite.
Wer sich für Memento, Inception oder/und Interstellar begeistern konnte, der wird auch an Tenet seine Freude haben. Christopher Nolan bringt durch ein durchdachtes Drehbuch und eine dazu stimmige Inszenierung komplexe Phänomene und Paradoxa als Unterhaltungsfilm verpackt an die Zuschauer und animiert diese einmal mehr dazu, sich über Filme tatsächlich Gedanken zu machen und darüber zu reden.
Dafür ist Kino gemacht.