Nun werden wir in diesen Zeiten jedoch Zeuge vieler Umbrüche. Der Tag hat nur 24 Stunden und die Zeit rennt uns immer schneller davon. Gestern schlürften wir noch Cocktails in der Innenstadt, morgen schon überreicht uns der Nachbar hämisch grinsend die erste Packung Lebkuchen mit den Worten "Na, schon Geschenke gekauft?". Wir erleben mehr Veränderung als uns lieb ist. Aber wir arrangieren uns mit Neuem wie auch mit verlorenem Alten. Im Moment ist bekannte Virus-Situation jene, die das sowieso schon angeschlagene Kino noch deutlicher in die Knie zwingt.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir sehen werden, wie das uns bekannte Kino stirbt. Das empfinde ich nicht als grundsätzlich schlecht, sondern viel eher auch als Chance. Mit weniger Kinos werden Studios sehr gut überlegen, welche Filme darin laufen, und welche in den (hauseigenen) Stream gehen. Das bedeutet nicht zwangsläufig dann nur noch 1A-Unterhaltung in den Kinos zu erleben. Außerdem ist da noch unsere Subjektiv-Synapse im Gehirn. Doch solange er uns Zuschauer:innen mitzureißen vermag, ja förmlich in sich einzusaugen, ist es vollkommen egal welche Art Film wir auf der beeindruckend riesigen Leinwand mit seiner audiovisuellen Kulisse um uns herum erleben werden. Das Erlebnis wird zu unserem eigenen kleinen, reduzierten LSD-Trip.
Wir brauchen den Abstand. Den Kurzurlaub vom Alltag. Das Kino ist wichtig! Die Streaming-Anbieter auch. Wir brauchen ebenso freie und unabhängige Filmseiten, ganz besonders jene, deren Herzblut im Hintergrund jeder Null und Eins zu schimmern scheint. Heute mehr denn je! Filmseiten, die uns als Art Google Maps dienen und durch den heutigen Dschungel der Filme und Serien führen. Geführt von neutralen Stimmen, mit Informationen von Fans für Fans. Nicht mit Superlativen um sich schmeißende Seiten, die von Studios und Verleihern finanziert werden.
Wie im echten Leben sind es die kleinen Dinge, und im Internet die kleinen Seiten, die uns dabei unterstützen können zu selektieren. Denn unsere Zeit ist zu wertvoll, um sie mit dauerhaft Sinnbefreitem zu verschwenden. Dabei ist selbst dem selten einer Logik folgenden Popcorn-Kino alles gegönnt und darin erlaubt, solange es uns unterhält. Egal, ob jemand allein mit nur sechs Schuss ganze Horden mit seiner Pistole erledigt oder jemand stolpernd versucht, vor einem maskierten Serienkiller wegzulaufen. Solange der Film uns im Kino mitnimmt, ist Unrealismus in dem Moment vollkommen unwichtig.
Und während ich diese Zeilen schreibe, merke ich, wie es um mich herum dunkler wird. Die Nacht bricht herein, und ich brauche noch irgendeinen Film oder eine Serie, um heute abzuschalten.
Ich schaue mich um. Der Blick wandert im Zimmer herum durch die Regale von mehreren tausend DVDs und Blu-rays. Hinüber zu meinem Fire Cube, gleitend auf den an der Wand hängenden Flachbildschirm, auch dem die Startseite läuft und mir die drei Anbieter zeigt, deren Dienst ich abonniert habe. Ich mag Filme. Jede Art von ihnen. Und während es beim Kinobesuch früher einfach war, sich für einen Film zu entscheiden, ist es heute Zuhause ganz anders. Nun weiß ich endlich, wie es meiner Frau geht, wenn sie vor ihrem Kleiderschrank steht und auf hunderte Schuhe starrt. Ich habe jetzt die exakt gleiche Art von Problem, denn...
...ich habe nichts anzusehen.