Die geradezu virulente Angst vor Spoilern scheint mir überzogen, denn in meinen Augen hindert das Phänomen Menschen am Diskurs über die Macht der Bilder und an ihrer ästhetischen Einflussnahme. Durch Spoiler werden Hemmnisse aufgebaut, die das Sprechen über Plots unheimlich verkopft gestaltet. Das wiederum spielt durchaus auch den großen Studios in die Karten:
Das Marketing zum übermächtigen Phänomen Game of Thrones kokettierte etwa mit genau dieser Angst, die aktuellen Begebenheiten nicht zu verpassen. Es ging dabei nicht nur darum, mit anderen Menschen Schritt zu halten, denn die Fans verspürten die ständige Angst, dass sie von irgendeiner Stelle darüber gespoilert werden, ob Jon Snow (Kit Harington) das Zeitliche segnet oder welchen intriganten Plan Cersei Lannister (Lena Headey) diesmal ausgetüftelt hat.
Mein Uni-Alltag war zuweilen von dieser HBO-Serie dominiert und obwohl ich sie erst Jahre nach ihrer Erstausstrahlung in einem Rutsch sichtete, ist mir eine Dozentin noch bestens in Erinnerung geblieben, die in mahnendem Tonfall anmerkte, dass sie die damals aktuelle Folge der dritten oder vierten Staffel noch nicht gesehen habe, weshalb sie darüber kein Wort aus den Reihen des Seminarraums hören wolle. Mir selbst waren etwaige Spoiler dazu einigermaßen gleichgültig, denn im Endeffekt wollte ich meinen Alltag nicht danach ausrichten.
Ich möchte anderen Menschen keinesfalls die individuelle Sicht auf dieses Minenfeld absprechen, doch für meinen Geschmack stünde uns etwas weniger gesellschaftlich tradierte Paranoia im Umgang mit den hiesigen Medienerzeugnissen ganz gut zu Gesicht. Es ist dementsprechend kein Wunder, dass ich für den Beitrag auf ein Bild aus der unbeschreiblich guten Serie The Handmaid’s Tale zurückgegriffen habe, denn wenngleich der Kontext dort ein viel ernsterer und verstörenderer ist, gilt auch dort das Credo, dass man nur in brav erlernten Floskeln miteinander sprechen darf.
Natürlich braucht es ein gesundes Mittelmaß, damit man anderen nicht auf unbedachte Weise die Ersterfahrung raubt, schließlich kann man ein Werk nur einmal zum ersten Mal erleben. Und trotzdem beschleicht mich das Gefühl, dass es manchmal zu viel des Guten ist, wenn man über Filme und Serien ins Gespräch kommt. Dabei sei auch angemerkt, dass Spoiler-Empfindungen höchst individuell ausfallen und es dabei eine ungeheuer große Bandbreite gibt, die man schlecht vereinheitlichen kann. Das macht es ungeheuer schwierig, über Filme und Serien ins Gespräch zu kommen. Selbstredend bedeutet das aber nicht, dass man mit Fingerspitzengefühl auf die Bedürfnisse anderer Menschen reagiert.
Bei alledem kommt mir aber eine Situation in den Sinn, wo ich in meinem Freundeskreis gescholten wurde, weil ich aussprach, dass Dune einen zweiten Teil erhalten soll. Anscheinend hatte ich damit schon ein Sakrileg begangen, da ich vermeintlich etwas über die Handlungsstruktur verraten hätte. Der Witz an der Sache war dabei, dass die betreffende Person noch nicht einmal Frank Herberts wegweisenden Roman gelesen hatte und sie somit unmöglich wusste, was genau das bedeuten könnte.
Für diesen Menschen mag das natürlich ein wenig der Faszination an Denis Villeneuves neuestem Science-Fiction-Kracher eingebüßt haben, doch diese Nachricht waberte seit Monaten in den Sphären des Internets und war für mich derart geflügelt, dass ich die Reaktion darauf unmöglich vorhersehen konnte. Ich fühlte mich ein wenig schlecht, doch im Kern konnte ich wenig für diese Situation, da ich mir über die engen Grenzen meines Gegenübers gar nicht bewusst war.
Ich bin mir natürlich im Klaren darüber, dass das ein extremes Beispiel misslungener Kommunikation ist, doch auch diese Ebene gibt es, wenn man über filmische Erzeugnisse ins Gespräch kommt. Damit möchte ich also nicht sagen, dass dieses Erlebnis repräsentativ für den Diskurs ist. Fakt ist allerdings auch, dass es kein einheitliches Regelwerk für Spoiler gibt und man in gewissen Kreisen schon die Information kritisch beäugt, dass ein Film "ganz brauchbar" oder "unterirdisch" sei.
Für unsere Berichterstattung ist das ebenfalls schwierig, da man nicht genau weiß, ab wann Spoiler-Tags ein Verfallsdatum haben - schließlich werden wir von der Popkultur mit allerlei Referenzen geflutet und die allgemeine Aufmerksamkeitsspanne der Medienindustrie gleicht einem eifrig umherflatternden Kolibri.
Auf Seite 4 komme ich auf meine persönliche Nemesis der aktuellen Film- und Serienlandschaft zu sprechen und ziehe ein Fazit zu meiner Haltung gegenüber Spoilern.