
Disney hat in den letzten Jahren einen Trend verfolgt: Klassiker neu interpretieren, statt neue Geschichten zu wagen. Mit opulenten Live-Action-Remakes sorgte das Studio für volle Kinokassen. Die Schöne und das Biest (2017) verzauberte mit weltweit 1,26 Milliarden Dollar, Aladdin (2019) ließ den Rubel mit 1,1 Milliarden rollen und Der König der Löwen (2019) brüllte sich mit 1,7 Milliarden Dollar an die Spitze. Selbst Cinderella (2015) schlug sich mit immerhin 542 Millionen Dollar beachtlich.
Doch 2025 zeigen sich erstmals Abnutzungserscheinungen im Live-Action-Trend: Das Schneewittchen-Remake enttäuscht an den Kinokassen mit bisher gerade einmal 149 Millionen Dollar weltweit, während das Rapunzel-Remake wieder auf Eis gelegt wurde (weitere Infos findet ihr hier).
Der aktuelle Live-Action-Trend erinnert an eine frühere Phase in Disneys Geschichte - allerdings in anderer Form. In den 1990er- und 2000er-Jahren setzte das Studio ebenfalls auf bekannte Geschichten, doch statt aufwändiger Kino-Neuinszenierungen kamen Fortsetzungen direkt für das Heimkino. Die Ära der Direct-to-Video-Sequels war geboren: Klassiker wie Aschenputtel, Arielle, die Meerjungfrau oder Pocahontas erhielten preisgünstige Nachfolger, die vor allem von der Nostalgie lebten. Ihr vielleicht prominentestes Vermächtnis? Bambi 2 - Der Herr der Wälder - das späte und überraschende Zusatzkapitel eines ikonischen Disney-Klassikers.
Das Original von 1942, unter der Regie von David Hand, brachte mit Stimmen wie Bobby Stewart (junges Bambi) und Hardie Albright (erwachsenes Bambi) eine Geschichte, die Herz und Seele traf: Ein Rehkitz, umgeben von Freunden wie Klopfer und Blume, erlebt die Schönheit des Waldes, bis der Verlust seiner Mutter durch Jäger und ein tobender Waldbrand die Idylle zerreißen. Bambi 2 wagt sich als sogenanntes „Interquel“ in diese emotionale Lücke: Es spielt nach dem Tod der Mutter und vor Bambis Jugend, eine Suche nach familiärer Bindung inmitten von Trauer, die den Kern des Originals bewahrt und doch erweitert.
Diese Fortsetzung entspringt Disneys Home-Video-Ära, einem goldenen Zeitalter für den Heimkonsum. Mit dem Höhepunt von VHS in den 90er-Jahren und dem Aufkommen der DVDs ab Ende der 90er erkannte Disney ein lukratives Geschäft: Direct-to-Video-Sequels, die Klassiker mit kleineren Budgets und neuen Teams fortsetzten. Zwischen 1994 und 2008 produzierte das Studio 24 (!) solcher Werke - darunter Aladdin 2 - Dschafars Rückkehr (1994), Der König der Löwen 2 - Simbas Königreich (1998), Cinderella 2 - Träume werden wahr (2002), Schöne und das Biest - Weihnachtszauber (1997) und Pocahontas 2 - Reise in eine neue Welt (1998).
Diese Filme, oft ohne die Originalbesetzung und mit einfacherer Animation, wurden über Disneys „Platinum Editions“-Reihen oder als eigenständige DVDs vor allem an Familien verkauft, als günstige Möglichkeit, die liebgewonnenen Geschichten zuhause weiterzuerleben. Bambi 2 kam gegen Ende dieser Ära: Nach einem kurzen Kinolauf in Argentinien (Januar 2006) landete es als DVD in den USA, mit Alison Krauss’ Musik und einer Produktion, die solide, aber nicht bahnbrechend war - ein Schwanengesang dieser Strategie.
Das Kuriose daran: Der Abstand von 64 Jahren (!) zwischen Bambi und Bambi 2 bedeutet einen Rekord für den längsten Zeitraum bis zu einer Disney-Fortsetzung. Damit übertrifft der Film sogar andere spätere Disney-Sequels deutlich - etwa Fantasia (1940) zu Fantasia 2000 (1999) mit 59 Jahren oder Mary Poppins (1964) zu Mary Poppins’ Rückkehr (2018) mit 54 Jahren. Dabei teilt Bambi 2 auch die typische Direct-to-Video-Kritik: Auf Rotten Tomatoes kommt der Film auf schwache 50 %. Patrick Stewarts sonore Stimme als Vater Bambi wird zwar gelobt, doch manche empfinden die Story als zu vorsichtig, um wirklich an die emotionale Wucht des Originals heranzureichen.
Doch warum endete diese Ära nach Bambi 2 allmählich? Der eigentliche Wendepunkt kam 2006: Nach der Übernahme von Pixar wurde John Lasseter zum neuen Animationschef bei Disney und zog konsequent die Reißleine. Lasseter sah in den Direct-to-Video-Fortsetzungen eine Qualitätsminderung im Vergleich zum Kinoerlebnis und ließ somit die Produktionen einstellen. Gleichzeitig begannen die DVD-Verkäufe ab 2007 langsam zu sinken: Digitale Piraterie nahm zu und das Publikum verlagerte sich zunehmend hin zu größeren Event-Filmen. Disney reagierte und fokussierte sich fortan wieder auf hochwertige Blockbuster, allen voran Rapunzel - Neu verföhnt (2010) und Die Eiskönigin - Völlig unverfroren (2013), die einen neuen Animationsboom auslösten, bis Disney schließlich mit seinen Realverfilmungen erneut die Kinokassen stürmte.
Doch nach Höhenfliegern wie Der König der Löwen zeigen Rückschläge wie Schneewittchen und das vorerst auf Eis gelegte Rapunzel-Remake eine mögliche Erschöpfung. Der Markt scheint gesättigt und Fans verlangen Frisches statt Recyceltem. Dieser Blick zurück zeigt: Disney passt sich an, doch Trends verblassen...