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The Irishman

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"I heard you paint houses" - The Irishman

The Irishman Kritik

The Irishman Kritik
22 Kommentare - 17.11.2019 von ZSSnake
In dieser Userkritik verrät euch ZSSnake, wie gut "The Irishman" ist.
The Irishman

Bewertung: 5 / 5

Martin Scorsese, Robert De Niro, Al Pacino, Joe Pesci, Harvey Keitel - Jeder für sich ein unglaublich großer Name des Kinos, sie sind große Talente und Legenden des modernen Hollywood. Jeder für sich eine Garantie für herausragende Leistungen im eigenen Fach. Aber alle unter einem Hut? In einem 203 Minuten langen Epos, welches Großtaten wie Der Pate oder auch Goodfellas wieder aufleben lassen soll? Im Jahr 2019? Dazu die De-Aging Technik, um den Darstellern das Aussehen ihrer ganz großen Zeit wiederzugeben, anstatt Darsteller im passenden Alter zu suchen? Alles Fragen die sich mir stellten, alles Ideen in meinem Kopf die Skepsis weckten, obwohl allein die Zutaten für sich nach einer Garantie für großes Kino aussahen. Großes Kino, das die meisten Leute nur daheim auf Netflix zu Gesicht bekommen werden. Etwas, was traurig macht, wenn man The Irishman im Kino genießen durfte wie ich. Denn der Film verdient, nein er FORDERT die Leinwand und das "Erlebnis" Kino.

Inhalt:
Frank "The Irishman" Sheeran (Robert De Niro) ist ein irischstämmiger Kriegsveteran, welcher als Lastwagenfahrer seinen mageren Lohn aufbessert, indem er Rindfleisch aus seinen Ladungen unter der Hand an die italienische Mafia verkauft. Darüber kommt er in Kontakt mit dem Mobster Russell Bufalino (Joe Pesci), welcher ihn mit seinem Partner Angelo Bruno (Harvey Keitel) unter die Fuchtel nimmt. Frank streicht in der Folgezeit Häuser mit dem Blut der Feinde des Mobs, Freundet sich aber auch mit dem Gewerkschaftsboss Jimmy Hoffa (Al Pacino) an, was ihn in eine schwierige Lage mit vielen verschiedenen Verbündete und Feinden bringt. Eine bewegte Lebensgeschichte über nahezu vier Jahrzehnte entspinnt sich...

Trailer zu The Irishman

Kritik:
Wir beginnen mit dem Offensichtlichsten und zugleich auch der ultimativen Stärke dieses Films - den Darstellern. Und wow. So gut, so intensiv, aber auch zugleich so in ihren Paraderollen gewürdigt, hat man die großen drei - De Niro, Pesci und Pacino - wohl seit sehr langer Zeit nicht mehr gesehen. Sicher, alle waren und sind grandiose Darsteller, aber an die großen Erfolge der 70er- bis 90er-Jahre konnten sie zuletzt nur noch selten anknüpfen, bzw. in Pescis Fall hatte er sich ja in den vergangenen 15 Jahren ohnehin extrem rar gemacht auf der Leinwand. Aber alle rufen ihr absolutes A-Level ab und man spürt zu jedem Zeitpunkt, dass ihnen die Rollen auf den Leib geschrieben wurden.


De Niro als stets ruhiger Mittelsmann, ein Ruhepol in der Mitte zwischen Pacinos emotionalen Ausbrüchen und Pescis berechnender Boshaftigkeit, der durch seine "ein Mann muss tun, was er tun muss"-Attitüde den Kriegsveteranen, welcher nicht mehr so richtig in dieses Amerika reinpasst, on Point verkörpert. Pacino als Geschäftsmann und Gewerkschaftsführer mit extrem kurzer Zündschnur fühlt sich sichtlich wohl unter Seinesgleichen, lässt aber insbesondere im Umgang mit De Niro und seiner Film-Familie (glorreich auch hier: ein kompletter Sub-Plot über seine zunehmende Entfremdung von der jüngsten Tochter Peggy) immer wieder auch die emotionalere, ruhigere Seite seiner Figur durchscheinen. Der fürsorgliche Freund, der empathische Anführer. Komplettiert wird das Trio durch den stets undurchsichtigen, aber immer auf der Oberfläche freundlich-kumpelhaften Pesci, bei dem es jedoch stets brodelt und der auf jede Frage eine Antwort zu haben scheint.


Ich war zuvor skeptisch gewesen, ob es das De-Aging wirklich brauchte, warum man nicht einfach jüngere Darsteller verpflichten konnte, welche sich die Rollen zu Eigen machen. Doch Scorsese zeigt seinem Zuschauer durch die Inszenierung eindrucksvoll, wieso das nicht funktioniert hätte. So eindrucksvoll in der Tat, dass man sich Steven Zaillians (unter anderem Verantwortlich für Schindlers Liste) Skript garnicht mit anderen Darstellern vorstellen mag. Als ich aus dem Saal kam, war mir klar, wieso es diese Darsteller und NUR DIESE Darsteller sein mussten. Und wenn diese Elite alles aus sich herausholt und so großartig aufspielt, dann weiß man, dass das niemand hätte besser machen können. Natürlich unterstützt von einem tollen Cast an Nebenfiguren - Harvey Keitel, Stephen Graham, Bobby Cannavale, Domenick Lombardozzi oder Anna Paquin, um nur ein paar zu nennen, sind allesamt ebenfalls ganz große Klasse - halten diese drei Giganten den Plot so perfekt zusammen, dass man genussvoll mit der Zunge schnalzen möchte.


Und Optisch? Macht das was her, oder sehen die alten Herren verjüngt aus wie Plastik? Tatsächlich fällt es so gut wie nie auf. De Niro, den man ohnehin am meisten sieht, glänzt manchmal an der einen oder anderen Stelle ein wenig im Gesicht und wirkt etwas unecht. Aber alles in allem ist das De-Aging wahnsinnig gut gelungen und man bekommt selten das Gefühl, dort eigentlich alte Herren vor sich zu haben, die nur digital verjüngt wurden. Einzig in der einen oder anderen Szene wird körperlich klar, wie viel älter De Niro eben in der Realität bereits ist als sein verjüngter Konterpart. Wenn er brutal einen Mann zusammentritt, sieht man durchaus, dass da ein Rentner bei der Arbeit ist. Diese wenigen Momente genügen jedoch nicht, um einen aus dem Film zu reißen und fallen, wenn man nicht grade aktiv darauf achtet, vermengt mit dem ohnehin oft schwarzen Humor und den sarkastischen Spitzen inklusive der einen oder anderen gekonnt verpackten Popkulturreferenz, überhaupt nicht auf. Audiovisuell ist der gesamte Film ein Genuss mit seinen weiten Einstellungen, langen Kamerafahrten, wenigen Schnitten und der unaufgeregten Inszenierung und läd zum Staunen und Verweilen ein, was bei der Laufzeit auch notwendig ist.

Kommt bei den 203 Minuten denn dann Langeweile auf? Tatsächlich nicht, keine Minute wirkt zu viel, jede Szene hat ihre Berechtigung und trägt zum Gesamtbild bei. Einmal mehr muss ich Zaillians Skript loben, welches den bewegten Werdegang Frank Sheerans aus so vielen Winkeln beleuchtet und bis zum Schluss immer wieder neue Elemente aufnimmt, die weitere Facetten der Figuren sichtbar machen, dass man applaudieren möchte. Gestützt wird die großartige Geschichte von vielen zeitgenössischen Musikstücken aus Jazz, Blues oder Rock und zudem dem reduzierten, jedoch stets unheimlich stimmungsvollen Score von Robbie Robertson, welcher bereits The Wolf of Wall Street für Scorsese mit Musik versorgte, der insbesondere durch die wundervollen Mundharmonica-Einlagen auffällt. Die Soundkulisse macht, ebenso wie die unaufgeregte, jedoch präzise und nach Jahren der Erfahrung einfach mühelos wirkende Inszenierung Scorseses genau was sie soll und stützt die epische Geschichte genau wie sie sollte.


Fazit:
The Irishman ist Kino, wie es sein sollte: Grandiose Darsteller spielen sich durch eine dicht geschriebene Geschichte und werden von gekonnter Hand perfekt in Szene gesetzt. Die teilweise ganz leicht holprigen Effekte und die Restriktionen durch das Alter der Darsteller werden zu 99% von Scorsese aufgefangen und fallen aufgrund der teilweise extrem dialoglastigen Struktur nicht weiter negativ ins Gewicht. Und während ein angenehm atmosphärischer Score und ein guter Soundtrack eine lange vergessene Zeit wieder aufleben lassen, frage ich mich als Zuschauer, warum Kino nicht immer so bedeutsam sein kann. Und wieso ein Martin Scorsese in der heutigen Zeit gezwungen ist, ein solches Großwerk auf Netflix zu veröffentlichen. Wer kann, schaut sich The Irishman bitte, bitte, bitte um seinetwillen, im Kino an. Fahrt zur Not ein Stück, der Film atmet Kino und lebt für die Leinwand. Auf Netflix kann und wird er diese Intensität nicht erreichen, wie er sie im altmodischen Kinosaal des Programmkinos entfachen kann. Ganz großes Highlight und ein klarer Kandidat für meinen Film des Jahres.


Von mir ganz persönlich gibts die Höchstwertung 10/10


Lässt man sich auf dieses Epos ein, wird man mit über 3 Stunden allerfeinster Kinokost belohnt und einmal mehr Zeuge von Scorseses großer Kunst.

The Irishman Bewertung
Bewertung des Films
1010

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22 Kommentare
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MobyDick : : Moviejones-Fan
28.11.2019 14:24 Uhr
0
Dabei seit: 29.10.13 | Posts: 7.688 | Reviews: 254 | Hüte: 620

So, im Groben und Ganzen stimme ich mit dir überein. Ich persönlich finde das Dea-Aging ziemlich schlecht eingebunden, vor allem in den körperlichen Szenen, wie du ja selbst auch in der einen Szene ansprichst, schiebe das aber darauf, dass Scorsese hier bewusst diesen Kontrast setzt. Auch ich werden den Film zeitnah wiederholen und finde ihn auch wirklich gut. Allerdings ist er in meiner "Großen Gangsterfilm-Liste" leider doch etwas abgefallen, so dass ich ihm eine schlechtere Bewertung gebe als du, trotz ohne Zweifel vorhandener Größe! Btw: Natürlich Hut :-)

Dünyayi Kurtaran Adam
MJ-Pat
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ZSSnake : : Expendable
23.11.2019 19:00 Uhr
0
Dabei seit: 17.03.10 | Posts: 8.941 | Reviews: 183 | Hüte: 614

@ Eli4s :

Ich hab 9 € hier im kleinen, schnuckeligen Programmkino gezahlt - war aber dafür perfekte Atmosphäre. Mucksmäuschenstiles Publikum, voller Saal, Alles mit rotem Behang, Vorhang vor der Leinwand und so...so ein echt klassischer Kinosaal. Keitel war mir persönlich auch n bisschen zu wenig, ich liebe den Kerl ja spätestens seit Tarantino den damals für Reservoir Dogs reaktiviert hat und seh ich immer gern. Ich verstehe, warum der Fokus auf De Niro, Pesci (und was war der in dem Film intensiv, so richtig aus der klassischen Sprücheklopfer und "Schnellreder"-Komfortzone raus und menacing as f**k) und Pacino lag - aber wenn man nen Keitel hat, warum dann nicht n bisschen mehr nutzen? Sei es drum, auch so war das mehr KINO als viele der größten Blockbuster der letzten 10 Jahre zusammen. In der Hinsicht bin ich dann auch irgendwo auf Scorseses Seite, wenn er dann und wann ne polarisierende Äußerung vom Stapel lässt. Wenn der im gleichen Atemzug so nen Film in die Kinos (und nach Netflix, okay...) bringt.

"You will give the people of Earth an ideal to strive towards. They will race behind you, they will stumble, they will fall. But in time, they will join you in the sun, Kal. In time, you will help them accomplish wonders." (Jor El, Man of Steel)
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eli4s : : Moviejones-Fan
23.11.2019 18:35 Uhr
0
Dabei seit: 22.02.12 | Posts: 2.700 | Reviews: 31 | Hüte: 115

@ZZSnake

"aber Mafia war bei mir immer irgendwie auf der "dont care"-Liste"

So eine hat sicher jeder...

haha, das ist echt ein geiler Spruch von Pesci. Der Cast ist gigantisch, wobei ich gern von Harvey Keitel mehr gesehen hätte. Definitiv auch froh, im Kino gewesen zu sein. Obwohl die Karte mit 15 € unglaublich, geradezu unverständlich teuer war...

MJ-Pat
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ZSSnake : : Expendable
23.11.2019 16:20 Uhr | Editiert am 23.11.2019 - 16:22 Uhr
0
Dabei seit: 17.03.10 | Posts: 8.941 | Reviews: 183 | Hüte: 614

@Eli4s:

Erst einmal danke für das ausführliche Feedback. Tatsächlich hab ich im Nachgang auch überlegt, dass ich ein wenig mehr auch auf den Aspekt der Endgültigkeit trotz "offener Tür" hätte eingehen können. Nicht zuletzt weil Scorsese ja laut darüber nachgedacht hat, dass das hier vielleicht sein letzter Film sein könnte. (Und was für einer!)

Den Aspekt Alterswerk und auch Idee der bedächtigen, teils auch nostalgiedurchtränkten Rückschau hätte ich ansprechen können. Allerdings wurde mir ohnehin schnell bewusst, dass es schwer wird dem Film mit einer Review gerecht zu werden.

Der Pate und auch Goodfellas sind hiernach definitv hoch in die Watchlist gewandert und Scorsese hat die Neugier am Genre geweckt. Letztlich gucke ich auch immer zuerst mit dem Gedanken an den Film und weniger das Genre, aber Mafia war bei mir immer irgendwie auf der "dont care"-Liste. Und wenn ein solcher Film mich da aus der Reserve lockt, umso besser. Der Kinogang war halt in allererster Linie von dem Cast und der Regie abhängig gemacht. Egal ob Mafia oder nicht - dieser geballten Masse an Talent (herrlich Pescis Aussage in einem seiner seltenen Interviews auf das "Good Luck with the Movie" des Reporters: "We dont need Luck - we have talent!" Unbezahlbar.) lockt den Filmfan dann halt doch sehr.

Und ich bin sicher, ich hätte es bereut, den nur auf Netflix zu sehen...

"You will give the people of Earth an ideal to strive towards. They will race behind you, they will stumble, they will fall. But in time, they will join you in the sun, Kal. In time, you will help them accomplish wonders." (Jor El, Man of Steel)
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eli4s : : Moviejones-Fan
23.11.2019 13:47 Uhr
0
Dabei seit: 22.02.12 | Posts: 2.700 | Reviews: 31 | Hüte: 115

@ZSSnake

stimme dir natürlich soweit zu, wenngleich ich die größte Stärke des Films im Hinblick auf Scorseses Gesamtwerk sehe und im zentralen Thema, dass er meiner Meinung nach vermittelt. Ein, zwei Sätze mehr zu Scorsese hätte ich mir deshalb gewünscht.

Dass du die körperliche Einschränkung der gealterten Schauspieler ansprichst, finde ich eine gute Beobachtung. Ich hatte mich primär auf die Gesichter konzentriert. Die Szene vor dem kleinen Laden war tatsächlich etwas seltsam. Hatte ich schon fast wieder vergessen, weil der Gesamteindruck so positiv war.

Ich denke jetzt noch drüber nach, da steckt wirklich einiges drin im Film.
Wichtig, dass du die Tochter erwähnst. Sie ist super wichtig, obwohl sie wenig Screentime hat. Überhaupt, wenn ich einen Kritikpunkt abseits der Länge hätte, dann dass die Frauenfiguren ziemlich flach ausfallen. Andererseits, es ist nunmal eine sehr männlich dominierte Gesellschaft, die hier gezeigt wird, aus der Perspektive eines Mannes...

"Ich selbst mag Mafiafilme nicht besonders und habe nie Der Pate oder Goodfellas gesehen"

sagt der, der hier die volle Punktzahl gibt. Ist das nicht etwas paradox? Hat dich dieser Film denn nun angeregt die beiden noch zu sehen? Mal abgesehen davon sind das ja nicht nur tolle Mafiafilm, sondern allgemein filmische Meilensteine... vielleicht nimmst du noch "City of God" mit dazu. Für mich kann man den durchaus in der selben Reihe nennen...

Nicht zuletzt sind das ja vielschichtige Dramen und Charakterstudien, die eben in einem bestimmten Milieu angesiedelt sind. Ist nichts anderes, wie wenn ich mir zuletzt "I, Tonya" oder "The Rider" ansehe. Eiskunstlauf und Rodeoreiten interessiert mich erstmal auch null. Aber darum geht es ja nicht (vordergründig).

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PaulLeger : : Moviejones-Fan
20.11.2019 00:59 Uhr
0
Dabei seit: 26.10.19 | Posts: 2.335 | Reviews: 17 | Hüte: 261

@Silencio

Zusätzlich sollte die Industrie vielleicht wieder zu einem Modell zurückfinden, in dem die Filme eben nicht am Startwochenende stehen oder fallen, damit Filme wie "The Irishman" (und ein Großteil von Scorseses anderen Filmen) ihr Publikum auch noch finden können. Aber das ist, zugegeben, sehr unwahrscheinlich.

Teilweise gibt es das noch wenn man sich den monatelangen Run von Bohemian Rhapsody anschaut. Noch besseres Beispiel ist Greatest Showman, der nach seinem schwachen Startwochenende schon als Flop abgestempelt wurde, sich dann aber durch Mund-zu-Mund-Propaganda monatelang in den Kinos hielt und so am Ende locker in die Gewinnzone kam. Aber es stimmt natürlich, dass gerade die Blockbuster mittlerweile extrem frontlastig sind.

Bei The Irishman käme da halt seine überlange Laufzeit erschwerend hinzu. Ein Kino, das den Film zeigt, kann aufgrund seiner Länge weniger Vorstellungen pro Tag ansetzen als bei einem 90-Minüter, deshalb glaube ich nicht, dass die meisten Kinos dem Film eine lange Laufzeit gestattet hätten, die müssen halt auch so kalkulieren, dass sie möglichst das Optimum rausholen.

Ich geh jetzt mal davon aus, dass er nicht nur die Zeit bis 1980 meint, sondern auch noch (mit Abstrichen?) die Zeit danach. Es ist ja nicht so, als wäre der Autorenfilm danach schlagartig tot gewesen, Scorsese zählt in seinem NYT-Artikel nicht nur alte und neue Stimmen auf, sondern auch mittelalte, wie zB Wes Anderson. Er kann sich doch unproblematisch heute darüber beschweren, wie das Eis in den letzten vierzig Jahren dünner geworden ist und heute nur noch einen Bruchteil von dem trägt, was es vor 20 Jahren noch tragen konnte. Und davon ab: das ist ja nicht mal das erste Mal, dass Scorsese sich zum Geschäft kritisch äußert.

In den 80ern wurden u.a. Blade Runner und Brazil von Studios verstümmelt, Gilliam hat in den 90ern ewig gebettelt um den Don Quixote-Film finanziert zu kriegen (ironischerweise konnte er ihn jetzt in dieser ach so dunklen Ära endlich abdrehen), Autorenfilmer hatten es seit 1980 mehr oder weniger durchgehend schwer wenn sie nicht gerade in die Sundance-Hype-Schiene gepasst haben. Da es damals noch weit und breit kein MCU gab ist mir Scorseses Kritik in dem Punkt einfach zu plump.

Nebenher weiß ich persönlich auch gerade gar nicht, ob der Baumbach nicht einen Deal über mehrere Filme mit Netflix abgeschlossen hat und deswegen gezwungen ist, jetzt noch was für Netflix zu machen.

Hatte ich wegen Meyerowitz Stories auch erst überlegt, Google-Suche ergab aber, dass Netflix sich den hier erst gesichert hat, als das Projekt inklusive der Hauptdarsteller schon stand.

"The Favourite" ist aber auch eine Koproduktion gewesen, in die übrigens auch staatliche Mittel geflossen sind - Film4 zB gehört zu Channel Four und ist damit in öffentlicher Hand. Das ist ein schwer zu vergleichender Fall, der Baumbach wird kaum in Irland und Großbritannien anklopfen können, weil er gerne auch Geld von dort hätte.

Auch "Vice" ist nicht einfach von irgendeinem Studio produziert worden, da hängen drei Produktionsfirmen drin, unter anderem Plan B vom Pitt und Gary Sanchez von McKay selbst - und man darf nicht vergessen, wie reich den die Ferrell-Furzkomödien gemacht haben. Da ist der Baumbach nicht in der gleichen Position, der kann nicht zu einem zweiten und dritten Unternehmen gehen und denen vorschlagen, wie gerecht man sich das Risiko aufteilen kann. Der muss schon eher um "Almosen betteln." Zusätzlich hat der McKay ja schon mit einem Film über eine komplizierte Bankenkrise, die keinen in den USA interessiert, einen Erfolg erzielen können. Da könnte ein Biopic über einen Vizepräsidenten, dem viele die Schuld für die aktuelle politische Lage geben, ja auch Erfolg haben.

Ja, Baumbach hätte vielleicht ebenfalls mehrere Studios für einen Koproduktionsdeal auftreiben müssen, einfach den Scheck von Netflix zu nehmen war da mit Sicherheit der bequemere Weg. Ist halt schade, wenn das immer mehr Filmemacher so handhaben.

Abstriche machen sie durchaus, aber das ist trotzdem ein kompliziertes Spiel: geben sie zu sehr nach, sinkt ihr Marktwert. Das wollen sie natürlich verhindern, deswegen geben sie ja nicht für jedes x-beliebige Drehbuch ihren Namen her, nur weil das vielleicht Oscarchancen haben könnte. Wenn der Baumbach jetzt aber ein Studio im Rücken hat, kann er zur Johanssen gehen, ihr sagen, sie könne Summe X haben, dafür steckt Netflix Summe Y in eine Oscarkampagne. Mit einem Studio im Rücken läuft die Verhandlung da wesentlich leichter.

Wie oben schon erwähnt hatte er die Zusagen von Johansson und Driver schon bevor er sich um ein Studio bemüht hat. Das Projekt war eigentlich wie gemalt für Fox Searchlight, Annapurna oder A24. Dass er sich mit Netflix bereits kurz nach Bekanntwerden des Casts geeinigt hat, erweckt aber eben nicht den Eindruck, dass er es bei den klassischen Studios überhaupt großartig versucht hat.

Ich hab mich ja nicht mal gegen Megalomanie ausgesprochen, ich hab mich für eine Industrie ausgesprochen, die breiter aufgestellt ist und sich damit Experimente wie "The Irishman" leisten kann. Wenn ich moderate Erfolge als Beispiel heranziehe, dann nur, um zu verdeutlichen, dass es kein Effektkino (ob "The Irishman" das ist, ist streitbar mMn) braucht, um Zuschauergruppen anzusprechen und dass nicht alles ein Milliardenerfolg sein muss. Das Problem sind nicht teure Filme, das Problem sind Studios, die versuchen den Markt mit teuren Filmen (wobei ich "The Irishman" nur nach Genremaßstäben für teuer halte, relativ zum Tentpole ist der günstig) zu überschwemmen, die möglichst breite Publikumsschichten erreichen müssen, weil sie sich anders auch gar nicht finanzieren und die das Geld bitte auch zum Ende des Quartals wieder drinhaben.
Abgesehen davon halte ich die Industrie übrigens aktuell gar nicht für größenwahnsinnig, eher im Gegenteil: die (für mich sogar äußerst unterhaltsamen) Zeiten, in denen zugekokste Produzenten jede Schnapsidee finanziert haben, sind ja lange vorbei. Heutzutage denkt man doch eher strikt marktwirtschaftlich, da ist für den Wahn doch kein Platz, das ist allenfalls gierig.

Ich denke ich sehe den Status quo nicht ganz so pessimistisch wie du. Für mich kommen derzeit noch genügend gute Filme abseits der Blockbuster heraus, 2017 würde ich etwa gar als überragendes Filmjahr bezeichnen, 2018 war sehr gut, 2019 fällt bislang etwas ab, aber ich hab noch nicht alles gesehen und es kommen ja noch paar interessante Streifen.

Klar seh ich auch die Gefahren, die du schilderst, aber mein bereits erwähnter Vorschlag die Oscar-Kriterien so anzupassen, dass tatsächlich nur FIlme mit einer richtigen Kinoauswertung nominiert werden können, würde meiner Einschätzung nach dem Erhalt einer gewissen Diversität im Kino mehr bringen als Marvel-Bashing.

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Silencio : : Moviejones-Fan
19.11.2019 10:00 Uhr
0
Dabei seit: 17.08.17 | Posts: 2.416 | Reviews: 54 | Hüte: 289

PaulLeger:

"Das bezweifle ich wie unten bereits ausgeführt eben stark. Die erfolgreichsten Scorsese-FilmeShutter Island und The Wolf of Wall Streethaben 294 bzw. 392 Mio eingespielt und die profitierten mMn stark vom DiCaprio-Effekt, der für mich einer der letzten Superstars ist, für den die Leute tatsächlich noch ins Kino gehen (daher kann er es sich auch leisten keine Rollen in Franchise-Filmen anzunehmen). Selbst die beste Marketing-Kampagne der Welt schafft es nicht einen Dreieinhalb-Stunden-Film mit abgehalfterten Altstars (nicht meine Meinung aber so werden sie wohl vom Durchschnittskinogänger gesehen angesichts ihrer Filmographie in diesem Jahrhundert) und ohne große Action zu einem 500 Mio-Einspiel zu verhelfen, das bei diesem Budget aber nötig wäre"

Die Frage ist halt, ob das Publikum sich nicht auch vom Gegenteil überzeugen ließe: schneide einen Trailer zu einer todtraurigen Version von "Well meet again", mach keinen Hehl draus, dass die Darsteller so nicht mehr zusammenkommen werden, weil sie steinalt sind, erinner an die Höhepunkte der Karriere.

Zusätzlich sollte die Industrie vielleicht wieder zu einem Modell zurückfinden, in dem die Filme eben nicht am Startwochenende stehen oder fallen, damit Filme wie "The Irishman" (und ein Großteil von Scorseses anderen Filmen) ihr Publikum auch noch finden können. Aber das ist, zugegeben, sehr unwahrscheinlich.

"Dann meint er also die kurze Epoche von 67 bis 80? Dann kommt seine Kritik aber reichlich spät und an die falsche Adresse, die beiden Hauptverantwortlichen (neben Cimino) müsste Marty doch sogar auf Direktwahl im Telefon gespeichert haben, da hätte er Steve und George doch einfach anrufen und ihnen seine Meinung geigen können was er davon hält, dass sie mit der Entwicklung des Blockbuster-Konzepts das Autorenkino fast gekillt haben"

Ich geh jetzt mal davon aus, dass er nicht nur die Zeit bis 1980 meint, sondern auch noch (mit Abstrichen?) die Zeit danach. Es ist ja nicht so, als wäre der Autorenfilm danach schlagartig tot gewesen, Scorsese zählt in seinem NYT-Artikel nicht nur alte und neue Stimmen auf, sondern auch mittelalte, wie zB Wes Anderson. Er kann sich doch unproblematisch heute darüber beschweren, wie das Eis in den letzten vierzig Jahren dünner geworden ist und heute nur noch einen Bruchteil von dem trägt, was es vor 20 Jahren noch tragen konnte. Und davon ab: das ist ja nicht mal das erste Mal, dass Scorsese sich zum Geschäft kritisch äußert.

Lucas und Spielberg sind natürlich key player in der Bewegung und haben zumindest die filmische Blaupause gelegt, sie sind aber auch nicht die einzige Ursache. Problematisch ist ja auch die vertikale Eingliederung in Medienkonzerne, die dafür gesorgt hat, dass das Filmgeschäft bestimmte Wachstumsziele erreichen muss und die damit den Blockbuster und seine diversen Vermarktungsmögichkeiten fördert und nötig hat. Wem man da jetzt mehr die Schuld geben will, muss man selbst entscheiden, ich seh da so ein 50:50-Verhältnis.
Ach, dem Cimino kann doch keiner böse sein. Wer von uns hat nicht im Wahn schon mal ein Studio ruiniert?

"Klar spekulier ich hier, aber einen 18 Mio-Film zu stemmen, der mit seinem Oscar-Buzz marketingtechnisch ein Selbstläufer ist, wäre nun wirklich nix, was in den letzten Jahren aus der Reihe fallen würde."

Absolut. Bedeutet aber im Umkehrschluss nicht, dass er von einem Studio automatisch dafür Geld bekommt. Geschichten, in denen Studios sichere Gelddrucker nicht produzieren wollten, gibt es ja zuhauf.
Nebenher weiß ich persönlich auch gerade gar nicht, ob der Baumbach nicht einen Deal über mehrere Filme mit Netflix abgeschlossen hat und deswegen gezwungen ist, jetzt noch was für Netflix zu machen.

"Die Studios haben u.a. einem in den USA kaum bekannten griechischen Regisseur, der davor nur obskure Grotesken für Freunde des absurden Arthouse-Geschmacks inszeniert hatte für einen Kostümfilm über drei Zicken am englischen Hof des 18. Jahrhunderts 15 Mio bewilligt oder für ein Biopic über einen farblosen US-Vizepräsidenten, für den sich in den USA aktuell kaum einer interessiert, 60 Mio (!) locker gemacht, nur weil sie sich davon Oscar-Prestige erhofft haben und dann sollen ihnen 18 Mio für einen Film, der ein Thema hat, das viele Menschen ansprechen dürfte und zudem zwei sehr bekannte Stars vorweisen kann, ein zu großes Risiko gewesen sein? Erscheint mir unwahrscheinlich"

"The Favourite" ist aber auch eine Koproduktion gewesen, in die übrigens auch staatliche Mittel geflossen sind - Film4 zB gehört zu Channel Four und ist damit in öffentlicher Hand. Das ist ein schwer zu vergleichender Fall, der Baumbach wird kaum in Irland und Großbritannien anklopfen können, weil er gerne auch Geld von dort hätte.

Auch "Vice" ist nicht einfach von irgendeinem Studio produziert worden, da hängen drei Produktionsfirmen drin, unter anderem Plan B vom Pitt und Gary Sanchez von McKay selbst - und man darf nicht vergessen, wie reich den die Ferrell-Furzkomödien gemacht haben. Da ist der Baumbach nicht in der gleichen Position, der kann nicht zu einem zweiten und dritten Unternehmen gehen und denen vorschlagen, wie gerecht man sich das Risiko aufteilen kann. Der muss schon eher um "Almosen betteln." Zusätzlich hat der McKay ja schon mit einem Film über eine komplizierte Bankenkrise, die keinen in den USA interessiert, einen Erfolg erzielen können. Da könnte ein Biopic über einen Vizepräsidenten, dem viele die Schuld für die aktuelle politische Lage geben, ja auch Erfolg haben.

"Einige Superstars machen für die Möglichkeit, in anspruchsvollen Filmen mitzuwirken, Abstriche bei der Gage, dies ist mit Sicherheit ein Beispiel dafür, denn bei einem 18 Mio-Gesamtbudget muss allein Johansson ja schon auf ihr übliches 20 Mio-Salär verzichtet haben. Wenn die Rolle wie in diesem Fall auch noch gute Oscar-Chancen verspricht, dann sind die Stars erst Recht bereit finanzielle Abstriche zu machen, das seh ich also nicht als großes Finanzierungsproblem."

Abstriche machen sie durchaus, aber das ist trotzdem ein kompliziertes Spiel: geben sie zu sehr nach, sinkt ihr Marktwert. Das wollen sie natürlich verhindern, deswegen geben sie ja nicht für jedes x-beliebige Drehbuch ihren Namen her, nur weil das vielleicht Oscarchancen haben könnte. Wenn der Baumbach jetzt aber ein Studio im Rücken hat, kann er zur Johanssen gehen, ihr sagen, sie könne Summe X haben, dafür steckt Netflix Summe Y in eine Oscarkampagne. Mit einem Studio im Rücken läuft die Verhandlung da wesentlich leichter.

"Für mich gab es wie gesagt noch eine dritte Option: Verzicht aufs De-Aging und damit Senkung des Budgets auf eine Summe, die ihm ein Hollywood-Studio bewilligt hätte. In deinen ersten Punkten hast du doch gerade für eine Abkehr von der Megalomanie Hollywoods plädiert, daher müsste dieser Gedankengang für dich doch auch nachvollziehbar sein oder gilt dieser Ratschlag für Scorsese nicht?"

Ich hab mich ja nicht mal gegen Megalomanie ausgesprochen, ich hab mich für eine Industrie ausgesprochen, die breiter aufgestellt ist und sich damit Experimente wie "The Irishman" leisten kann. Wenn ich moderate Erfolge als Beispiel heranziehe, dann nur, um zu verdeutlichen, dass es kein Effektkino (ob "The Irishman" das ist, ist streitbar mMn) braucht, um Zuschauergruppen anzusprechen und dass nicht alles ein Milliardenerfolg sein muss. Das Problem sind nicht teure Filme, das Problem sind Studios, die versuchen den Markt mit teuren Filmen (wobei ich "The Irishman" nur nach Genremaßstäben für teuer halte, relativ zum Tentpole ist der günstig) zu überschwemmen, die möglichst breite Publikumsschichten erreichen müssen, weil sie sich anders auch gar nicht finanzieren und die das Geld bitte auch zum Ende des Quartals wieder drinhaben.
Abgesehen davon halte ich die Industrie übrigens aktuell gar nicht für größenwahnsinnig, eher im Gegenteil: die (für mich sogar äußerst unterhaltsamen) Zeiten, in denen zugekokste Produzenten jede Schnapsidee finanziert haben, sind ja lange vorbei. Heutzutage denkt man doch eher strikt marktwirtschaftlich, da ist für den Wahn doch kein Platz, das ist allenfalls gierig.

"I am not fucking around here, I believe a well-rounded film lover oughta have something to say about Jean-Luc Godard and Jean-Claude Van Damme."

-Vern

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PaulLeger : : Moviejones-Fan
19.11.2019 00:53 Uhr | Editiert am 19.11.2019 - 00:54 Uhr
0
Dabei seit: 26.10.19 | Posts: 2.335 | Reviews: 17 | Hüte: 261

@Silencio

Bei den ersten Punkten stimme ich dir größtenteils zu.

Um die Übertragbarkeit der Werbekampagne geht es nicht. Es ging darum, dass Nachfrage nicht einfach wie von dir angedeutet entsteht, sondern sie auch zielgerichtet geweckt wird. Könnte man einen Film wie "The Irishman" auf die gleiche Art vermarkten? Wahrscheinlich nicht, weil sich Filme abseits des Vier Quadranten-Modells generell nicht für flächendeckendes Marketing eignen. Aber mit seinen (heutzutage ja fast moderaten) 140 bis 160 Millionen muss er das ja nicht. Ich denk schon, dass ein findiges Marketingteam den in die schwarzen Zahlen hieven könnte.

Das bezweifle ich wie unten bereits ausgeführt eben stark. Die erfolgreichsten Scorsese-Filme Shutter Island und The Wolf of Wall Street haben 294 bzw. 392 Mio eingespielt und die profitierten mMn stark vom DiCaprio-Effekt, der für mich einer der letzten Superstars ist, für den die Leute tatsächlich noch ins Kino gehen (daher kann er es sich auch leisten keine Rollen in Franchise-Filmen anzunehmen). Selbst die beste Marketing-Kampagne der Welt schafft es nicht einen Dreieinhalb-Stunden-Film mit abgehalfterten Altstars (nicht meine Meinung aber so werden sie wohl vom Durchschnittskinogänger gesehen angesichts ihrer Filmographie in diesem Jahrhundert) und ohne große Action zu einem 500 Mio-Einspiel zu verhelfen, das bei diesem Budget aber nötig wäre.

Die "angeblich guten alten Zeiten" in denen Welles gedreht hat, sind ja nicht die, die Scorsese meint, wenn er von der Vergangenheit spricht. Niemand verwechselt hier das Studiosystem mit dem Kino, in dem persönlicher Ausdruck möglich war. Tatsächlich geht es eher darum, die Freiheiten, die sich einige Filmschaffende mühsam erkämpfen mussten und die seit Jahren von den Studios zurückgeschraubt werden, zu behalten. Da hätte der Welles vielleicht sogar anerkennend genickt...

Dann meint er also die kurze Epoche von 67 bis 80? Dann kommt seine Kritik aber reichlich spät und an die falsche Adresse, die beiden Hauptverantwortlichen (neben Cimino) müsste Marty doch sogar auf Direktwahl im Telefon gespeichert haben, da hätte er Steve und George doch einfach anrufen und ihnen seine Meinung geigen können was er davon hält, dass sie mit der Entwicklung des Blockbuster-Konzepts das Autorenkino fast gekillt haben.

Das ist allerdings nur eine Mutmaßung, außer du hast da jetzt Informationen, die ich nicht habe. Abgesehen davon muss der Baumbach auch wissen, ob er die Johansson und den Driver bezahlen kann, bevor er zu einem Studio gehen kann, um denen den Film anzudrehen.

Klar spekulier ich hier, aber einen 18 Mio-Film zu stemmen, der mit seinem Oscar-Buzz marketingtechnisch ein Selbstläufer ist, wäre nun wirklich nix, was in den letzten Jahren aus der Reihe fallen würde. Die Studios haben u.a. einem in den USA kaum bekannten griechischen Regisseur, der davor nur obskure Grotesken für Freunde des absurden Arthouse-Geschmacks inszeniert hatte für einen Kostümfilm über drei Zicken am englischen Hof des 18. Jahrhunderts 15 Mio bewilligt oder für ein Biopic über einen farblosen US-Vizepräsidenten, für den sich in den USA aktuell kaum einer interessiert, 60 Mio (!) locker gemacht, nur weil sie sich davon Oscar-Prestige erhofft haben und dann sollen ihnen 18 Mio für einen Film, der ein Thema hat, das viele Menschen ansprechen dürfte und zudem zwei sehr bekannte Stars vorweisen kann, ein zu großes Risiko gewesen sein? Erscheint mir unwahrscheinlich.

Einige Superstars machen für die Möglichkeit, in anspruchsvollen Filmen mitzuwirken, Abstriche bei der Gage, dies ist mit Sicherheit ein Beispiel dafür, denn bei einem 18 Mio-Gesamtbudget muss allein Johansson ja schon auf ihr übliches 20 Mio-Salär verzichtet haben. Wenn die Rolle wie in diesem Fall auch noch gute Oscar-Chancen verspricht, dann sind die Stars erst Recht bereit finanzielle Abstriche zu machen, das seh ich also nicht als großes Finanzierungsproblem.

Ob man die Filmemacher selbst zur Verantwortung ziehen will, ist natürlich eine Frage. Wenn die ihre Filme nicht anders finanziert kriegen, was ja zumindest beim Scorsese und "The Irishman" keiner bezweifelt, sollten sie die dann lieber nicht drehen?
Ich halte es persönlich nicht für scheinheilig zu sagen, man wünsche sich für seinen Film gerne einen anderen Vertriebsweg, aber die Industrie gebe einen solchen nicht her.

Für mich gab es wie gesagt noch eine dritte Option: Verzicht aufs De-Aging und damit Senkung des Budgets auf eine Summe, die ihm ein Hollywood-Studio bewilligt hätte. In deinen ersten Punkten hast du doch gerade für eine Abkehr von der Megalomanie Hollywoods plädiert, daher müsste dieser Gedankengang für dich doch auch nachvollziehbar sein oder gilt dieser Ratschlag für Scorsese nicht?

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Silencio : : Moviejones-Fan
18.11.2019 20:03 Uhr
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PaulLeger:

"Sicher gibt es selten eine einzelne Erklärung aber gerade das Aufkommen des Fernsehens als Massenmedium Ende der 50er Jahre hat doch für einen deutlichen Abfall der Kino-Besucherzahlen gesorgt, die seitdem nie wieder das Niveau der ersten Jahrhunderthälfte erreicht haben. Da kann man den Einfluss des Fernsehens eigentlich nicht negieren. Das Kino konkurriert mit anderen Angeboten um die Freizeitgestaltung der Menschen, je weniger Konkurrenzangebote es gibt, umso besser gehts den Kinos. Streaming sehe ich da als eine ähnlich große Zäsur wie das Fernsehen in den 50ern, weil es den Leuten ein ähnliches Produkt bietet wie der Kinobesuch, aber deutlich bequemer und günstiger."

Zuerst möchte ich anmerken, dass man die Zahlen der ersten Jahrhunderthälfte mit denen von heute schlecht vergleichen kann. Das hat natürlich mehrere Gründe (Veröffentlichungsfenster waren größer, Filme konnten nur im Kino geschaut werden, aber auch: die Zahlen sind teilweise widersprüchlich und wurden nicht immer genau erhoben), macht aber den Vergleich der absoluten Zahlen etwas kompliziert.
Zum einen möchte ich festhalten, dass ich die Wirkung des Fernsehens keinesfalls abstreiten wollte: dass das Fernsehen einen Einfluss auf die Freiteitgestaltung der Menschen hat, liegt ja auf der Hand. Hinzu kommen natürlich noch Faktoren wie die Zweitverwertung ("Warum zum Kino, wenn der irgendwann im Fernsehen läuft?" - als damaliges Äquivalent zum heutigen "Ich warte auf Netflix"), die den Drang in die Kinos zu eilen zusätzlich gedämpft haben.

Auf der anderen Seite liegt die Schuld am Abwandern aber eben nicht (nur) beim Fernsehen: wenn die Leute zuhause bleiben, weil das Kino ihnen ein "ähnliches Produkt" liefert, muss man sich bemühen, ein konkurrenzfähiges, besseres Produkt zu liefern. Wie das aussieht, kann ich natürlich nicht abschließend sagen.

"Auch damals hat die Industrie auf die neue Konkurrenz hauptsächlich mit aufwändigen Blockbustern, die zu der Zeit eben zumeist monumentale Historienepen waren, reagiert, das Ganze ist also nicht neu. Nachdem Ben Hur ein Riesenhit wurde, hat plötzlich jedes Studio monumentale Sandalenfilme gedreht, heute eifern alle dem Marvel-Erfolg nach. Wenn es analog zu damals zu einer Blockbuster-Übersättigung kommt, entsteht vielleicht ja auch erneut eine Bewegung wie New Hollywood."

Und gerade weil es nicht neu ist, ist es verwunderlich, dass man es wieder so versucht und wieder Filme dreht, die im Falle eines Flops ein Studio fast im Alleingang versenken können.
New Hollywood ist da mMn für die Zukunft eher kein treffender Vergleich, weil es insoweit keine Vorläuferbewegung gibt, auf die man bei den Studios zeigen kann (wie die diversen "Neuen Wellen" des europäischen Kinos, die zeitig vorgelagert waren bzw. dann ja noch parallel ausliefen). Da ist wohl eher sowas wie der Indieboom der 90er heranzuziehen, der aber natürlich auch auf den Schultern von New Hollywood stand. Man könnte A24 ja zB als geistigen Nachfolger von Miramax sehen...

"Damals war das noch so, wobei Coppola da wirklich das Glück hatte, die Filme genau zum richtigen Zeitpunkt zu machen. 10 Jahre später erlitt Leone mit seinem Gangsterpos eine heftige Bruchlandung, 1990 wurde Goodfellas ein Flop, das Zeitfenster, in dem Gangsterfilme zu Blockbustern werden konnten, war extrem kurz und Coppola hat es genau getroffen."

Das bestreite ich nichtmal: es geht vielmehr darum, dass Eventcharakter und Effekte nicht gleichbedeutend sind. Drei Jahre später haben wir "Der weiße Hai", bei dem Bruce am ersten Drehtag untergegangen ist und der dementsprechend weitgehend ohne seinen Hauptschauwert auskommen musste. Trotzdem ein absoluter Kassenschlager.

"Heute scheint es ohne Effekte bzw. vielmehr ohne Franchise-Bezug kaum noch zu gehen, zumindest sind das die einzigen Big Budget-Produktionen, wo man im Vorfeld halbwegs sicher mit einem Erfolg rechnen kann, alles andere ist risikobehaftet. Einzige Ausnahme im Blockbuster-Bereich ist wohl Nolan, dessen Name inzwischen so eine Marke ist, dass er schon fast als Franchise durchgeht."

Wir sehen ja jetzt gerade an "Joker", dass es keine Effekte braucht (und wegen dem du wahrscheinlich "bzw." geschrieben hast). An der Argumentation stört mich übrigens, dass sie voraussetzt, es würde nicht anders gehen: es ging ja bereits anders. Und die Bewegung "neues Medium -> mehr Bombast" sehen wir immer wieder und sie bietet allenfalls kurzzeitig Aufschub.
Abgesehen davon gibt es ja die letzten Jahre im Horrorbereich immer wieder extrem rentable Filme - was zum einen von der Notwendigkeit der großen Effekte wegdeutet, zum anderen aber auch wieder eine Parallele zum Kino der Fünfziger ist. Und ja, das sind moderate (Überrasschungs-)erfolge, die nicht wirklich mit "Endgame" oder dem Durchschnittsfilm im MCU zu vergleichen sind. Brauchen sie aber auch nicht sein, weil sie halt wesentlich günstiger sind. Und sie sind halt auf Dauer nicht so schädlich für die Kinokultur...

"Wäre dein Vorschlag, dass die Studios das Publikum quasi zu anspruchsvollerer Kost erziehen sollen, indem sie mehr Originalstoffe mit hohen Budgets produzieren ohne sicher sein zu können, ob dafür überhaupt eine Nachfrage besteht?"

Auch wenn das grundsätzlich nicht die Diskussion ist, die wir gerade führen: Mein Vorschlag, wenn man es denn so nennen wollte, würde wohl eher in eine andere Richtung gehen: weg vom Tentpole (und aufgeblähten Budget), hin zu größerer Diversifizierung. Ein angebotsreicherer Markt kann eher mal ein paar Rückschläge einstecken als einer, der nur ein Produkt anbietet.
Abgesehen davon würde es dem Studiofilm bestimmt gut tun, wenn mal wieder mehr mutige Filme (nicht im Bezug aufs Budget, sondern mit Blick auf Aussage/Inhalt) gedreht werden würden. Ich glaube, es gibt relativ viele Wege aus der Krise, mehr als ich aufzählen könnte, man müsste nur bereit sein, sie auch zu gehen.

"Das mag den Erfolg der Mega-Blockbuster erklären aber welche Rückschlüsse zieht man daraus für Filme wie The Irishman? Auf die ist eine solche Marketingkampagne nicht anwendbar."

Um die Übertragbarkeit der Werbekampagne geht es nicht. Es ging darum, dass Nachfrage nicht einfach wie von dir angedeutet entsteht, sondern sie auch zielgerichtet geweckt wird. Könnte man einen Film wie "The Irishman" auf die gleiche Art vermarkten? Wahrscheinlich nicht, weil sich Filme abseits des Vier Quadranten-Modells generell nicht für flächendeckendes Marketing eignen. Aber mit seinen (heutzutage ja fast moderaten) 140 bis 160 Millionen muss er das ja nicht. Ich denk schon, dass ein findiges Marketingteam den in die schwarzen Zahlen hieven könnte.

Abgesehen davon würde ich natürlich jede Zewa-Rolle mit De Niros Gesicht drauf kaufen...

"Bis auf wenige Ausnahmen, wo mehrere Faktoren glücklich zusammengekommen sind, haben solche Filme nie die ganz großen Summen eingespielt. Die einzige Möglichkeit, dass diese Filme weiterhin fürs Kino produziert werden, ist demnach sie in der Produktion möglichst günstig zu halten. Scorsese ist da doch eh noch in einer vergleichsweise komfortablen Lage, was würden da Leute wie Orson Welles sagen, die in den angeblich guten alten Zeiten von den Studios daran gehindert wurden ihre Vision auf die Leinwände zu bringen?"


Die "angeblich guten alten Zeiten" in denen Welles gedreht hat, sind ja nicht die, die Scorsese meint, wenn er von der Vergangenheit spricht. Niemand verwechselt hier das Studiosystem mit dem Kino, in dem persönlicher Ausdruck möglich war. Tatsächlich geht es eher darum, die Freiheiten, die sich einige Filmschaffende mühsam erkämpfen mussten und die seit Jahren von den Studios zurückgeschraubt werden, zu behalten. Da hätte der Welles vielleicht sogar anerkennend genickt...

"Meiner Meinung nach kann man daher auch einige der Filmemacher, die zu Netflix gehen, nicht ganz aus der Verantwortung nehmen. Mir kann keiner erzählen, dass Noah Baumbach für einen Film wie Marriage Story keinen Verleih gefunden hätte, der den ins Kino bringt. Allein durch den sicheren Oscar-Buzz für Driver und Johansson würde der bei seinem geringen Budget locker Gewinn einfahren. Aber wenn Netflix mit den dickeren Scheinen wedelt, dann verkauft er sich halt an die. Kann er ja machen, aber richtig scheinheilig wirds dann, wenn er oder Scorsese ständig davon reden man solle die Filme doch bitte im Kino gucken."

Das ist allerdings nur eine Mutmaßung, außer du hast da jetzt Informationen, die ich nicht habe. Abgesehen davon muss der Baumbach auch wissen, ob er die Johansson und den Driver bezahlen kann, bevor er zu einem Studio gehen kann, um denen den Film anzudrehen.

Ob man die Filmemacher selbst zur Verantwortung ziehen will, ist natürlich eine Frage. Wenn die ihre Filme nicht anders finanziert kriegen, was ja zumindest beim Scorsese und "The Irishman" keiner bezweifelt, sollten sie die dann lieber nicht drehen?
Ich halte es persönlich nicht für scheinheilig zu sagen, man wünsche sich für seinen Film gerne einen anderen Vertriebsweg, aber die Industrie gebe einen solchen nicht her.

"I am not fucking around here, I believe a well-rounded film lover oughta have something to say about Jean-Luc Godard and Jean-Claude Van Damme."

-Vern

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PaulLeger : : Moviejones-Fan
18.11.2019 19:30 Uhr
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@MobyDick

1. Richtig, aber die große Welle und damit die Eintönigkeit kam erst ab Beginn der 60er, während die 50er neben den vereinzelten Monumentalfilmen noch genügend andere Produktionen hervorgebracht haben. Wenn man in der Zukunft auf die heutige Blockbuster-Ära zurückblickt wird wohl auch 2012 (The Avengers) oder 2008 (Iron Man) als Ausgangspunkt der großen Comicfilm-Schwemme angesehen, obwohl die Phase der modernen Superhelden-Blockbuster eigentlich schon 2000 mit X-Men begonnen hatte.

2. Also The Untouchables passt für mich nicht in die Reihe der Gangster-Epen, Capone ist da nur für ein paar Füllerszenen drin und trägt kaum zur Handlung bei, hauptsächlich wird da die Arbeit der Gesetzeshüter in den Blick genommen und nicht die Strukturen des organisierten Verbrechens. Außerdem ist er im Vergleich zu den anderen Beispielen auch deutlich handlungsorientierter und actionreicher, was ihn direkt zugänglicher für die breite Masse macht. Ich bezweifle zudem, dass Es war einmal in Amerika in der von Leone gewünschten Fassung ein Hit geworden wäre. Selbst Spiel mir das Lied vom Tod wurde auf dem Höhepunkt der Italo-Western in den USA ein Flop, hauptsächlich wegen des opernhaften und betont langsamen Stils und den trieb Leone bei seinem Ganster-Epos ja auf die Spitze.

4. Nicht die Starpower der Darsteller, sondern der Oscar-Buzz um sie und den Film sind entscheidende Faktoren, die ein gutes Box Office-Ergebnis sehr wahrscheinlich werden lassen. Hier mal ein paar ausgewählte Filme der letzten Jahre, die im Vorfeld der Oscars einen gewissen Hype erfahren haben und ihr Einspiel: Green Book: 321 Mio, La La Land: 446 Mio, Moonlight: 65 Mio, Lady Bird: 78 Mio, Vice: 76 Mio (wurde dennoch zum Flop weil er viel zu teuer war, da sieht man das Problem), The Favourite: 95 Mio.

Allen Filmen ist gemeinsam, dass sie hauptsächlich aufgrund der Aufmerksamkeit durch die Oscars mindestens gute bis überragende Einspielergebnisse erzielt haben. Zugegebenermaßen ist Marriage Story mit Green Book oder La La Land nicht vergleichbar und würde natürlich deutlich weniger einspielen als diese Mega-Erfolge. Da er aber ein Budget von lediglich 18 Mio aufweist, hätte selbst das Einspiel von Moonlight für einen Gewinn gereicht. Vom Prestigegewinn für das Studio ganz zu schweigen, daher kann ich mir nicht vorstellen, dass da kein Studio zugegriffen hätte. Gerade für Fox Searchlight oder A24 ist der Film doch das perfekte Beuteschema.

Meiner Meinung nach hält die Academy daher auch den Schlüssel in Händen um das Szenario zu verhindern, das du in deinem Beitrag ausgemalt hast. Würden die ihre Regularien dahingehend anpassen, dass Filme sich nur dann für die Oscar-Verleihung qualifizieren, wenn sie einen exklusiven wide release im Kino für mindestens 3 Monate hatten, bevor sie gestreamt werden, dann wäre die Zukunft solcher Filme in den Kinosälen weiterhin gesichert, denn kein Regisseur oder Schauspieler, der was auf sich hält, würde dann noch in Prestigeproduktionen von Netflix mitwirken, wenn die dann immer noch auf ihr zeitnahes Streaming pochen und sich somit selbst von der Verleihung des wichtigsten Filmpreises ausschließen. Spielberg hat sowas ja schon angeregt, das sollte mMn dringend auf die Agenda.

MJ-Pat
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ZSSnake : : Expendable
18.11.2019 17:20 Uhr
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@MobyDick:

Kein Thema, verstehe ich. Ob man am Ende ne gute 9,5 abwertet und ne 9 draus macht oder sich mal traut die 10 zu zücken ist sicherlich diskutierbar. Aber ich denke immer noch über den Streifen nach und überlege sogar, die 3 1/2 Stunden Kino diese Woche ein zweites mal mitzunehmen.

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MobyDick : : Moviejones-Fan
18.11.2019 16:26 Uhr
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ZSsnake:

Wollte nicht unhöflich sein, werde deine Kritik erst lesen, wenn ich dazu komme den Film gesehen zu haben, daher also noch kein Kommentar zu deiner Höchstwertung - ich gehe aber sehr stark davon aus, dass wir uns auf ähnlichem Terrain bewegen sollten...

Dünyayi Kurtaran Adam
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MobyDick : : Moviejones-Fan
18.11.2019 16:03 Uhr
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PaulLeger

Alles in allem hat deine Argumentation hier und da Hand und Fuss, greift aber bei vielem einfach auch mal zu kurz:

1. Der Vergleich mit den Historienfilmen:

Ben Hur war bei weitem nicht der erste Film dieser Reihe, da gab es vor allem schon das Gewand (erster Technicolor oder Cinemascope Film der Geschichte, so genau weiss ich das nicht mehr) und Quo Vadis (Oscar für Ustinov). Ben Hur war meines Wissens der Höhepunkt.

Ob jetzt die Superheldenfilme unbedingt mit so einer kurzen Ära verglichen werden müssen oder doch eher mit dem Western, wird wohl aber die Zeit zeigen.

2. Das Zeitfenster der Veröffentlichung

Ja, der Pate kam genau zum richtigen Zeitpunkt, aber der mangelnde Erfolg eines Es war einmal in Amerika hat überhaupt nichts mit den 12 Jahren dazwischen zu tun, sondern eher damit, dass wir es in den USA mit einer extrem verstümmelten Version zu tun hatten, welche gerade mal 2 Std auf dem Buckel hatte und die gesamte Struktur des Filmes vernichtet war. In der Zwischenzeit hat sich der Film auch in den USA ein bißchen rehabilitieren können (soweit es für einen italienischen Film möglich sein kann). Für diese steile These meinerseits spricht übrigens auch, dass der deutlich spätere Untouchables ja ein Riesenhit wurde.

3. Kinoepochen an sich

Da mag ich dir nicht wirklich widersprechen, aber ich fürchte, dass ich die Sache tatsächlich doch etwas schwärzer sehe mittlerweile (vor 10 Jahren wäre ich noch auf deiner Seite gewesen). Das differenzierte Erzählen in epischer Form verlagert sich immer stärker ins Heimkino, sei es jetzt sowas wie Game of Thrones, The Wire, die Amazon Tolkien Serie oder was auch immer. Und selbst das intellektuell fordernde Kino läuft mittlerweile über diese Kanäle. Man spricht nicht von ungefähr vom Goldenen Zeitalter des Fernsehens. Das was früher als New Hollywood gefeiert wurde, wurde ja von zweien seiner Vorreiter komplett zu Grabe getragen (Spielberg und Lucas). Der wenig erfolgreiche Versuch, das wieder zu beleben anhand von frechem Independent Kino etwa Anfang bis Mitte der 1990er Jahre durch die Tarantino-Welle und Sundance hat sich ja sukzessive überlebt. Hinzu kommt, dass die fernseher Zuhause einfach auch immer größer werden, so dass man ins Kino tatsächlich immer häufiger in irgendwelche "Event-Filme" geht. Was jetzt der Event sein soll, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Für eine Zeit lang galt ja ein neuer DiCaprio Film auch als Event, siehe den doch unwahrscheinlichen Erfolg von Revenant beispielsweise. Aber selbst ein John Wick musste sich erst über drei Filme zu einem Event entwickeln. Ich fürchte mit der derzeitigen Qualität, die man Zuhause geboten kriegt, muss schon was ganz gravierendes passieren, damit sich sowas wie ein enues New Hollywood überhaupt etablieren kann. Da kann das Superheldengenre vielleicht in 5-10 Jahren abebben, aber dann kommt sicherlich wieder irgendwas Neues (Young Adult ist ja auch schon vorbei). Wer weiss, vielleicht kommt der Sandalenfilm wieder. Aber ich denke nicht, dass die normalen Filme von einst noch eine größere Daseinsberechtigung mehr erfahren werden. Und wenn, dann hauptsächlich als Franchise: Bond, Poirot, Marvel, DC, Star Trek, Star Wars, Fast and Furious, Jumanji, Wick, Jurassic, Avatar. Und immer wird sich das Rad irgendwie neu erfinden müssen, damit da was bei rum kommt - siehe beispielsweise die neuerlichen Mißerfolge von ST und Terminator!

4. Marriage Story

Doch, ich denke, dieser Film hätte es schwer gehabt, einen Verleih zu bekommen, trotz großem Drehbuch und trotz der Schauspieler. Johanson hat zuletzt einen Flop nach dem anderen rausgebracht und Driver ist nunmal abseits seiner SW Rolle ein Independent Darsteller. Selbst der Don Quijpote Film (übrigens ein extrem unterschätzter Gilliam!) ist ja trotz jahrzehntelanger Werbetrommel unrühmlich untergegangen. Die Zeiten, in denen Kramer gegen Kramer Leute ins Kino ltsten sind nunmal vorbei. Schau dir nur den letztjährigen Roma an. Glaubst du ernsthaft, dass dieser Film genauso hätte von einem normalen Studio grünes Licht bekommen hätte? Und nur, um diesen gedankengang abzuschliessen, mit der Zeit wird es auch auf den Streamingdiensten immer schwerer werden, solche Filme produziert zu bekommen, da durch die viel größere Konkurrenzsituation nun sehr viel genauer auf die Produktionen geschaut werden wird. Solche Filme wie Mute oder Roma wird man auch in 5-10 Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen. DEnn Streaming wird dann auch Teil des Old Hollywood werden - nur halt für Zuhause...

Dünyayi Kurtaran Adam
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PaulLeger : : Moviejones-Fan
18.11.2019 15:29 Uhr
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@Silencio

Dazu muss man aber sagen, dass die Industrie für rückläufige Zahlen die Schuld immer woanders gesucht hat: das Radio, der Fernseher, der VHS-Rekorder etc. Letztendlich haben DA die Probleme aber nie gelegen.
Generell halte ich das für eine sehr einseitige Ansicht: man darf nicht vergessen, dass die Studios den Kinos auch arge Knebelverträge aufzwingen, die die Konkurrenz aus den Sälen zwingen soll. Willst du den neuen "Star Wars" zeigen (was du willst, weil der dir ja garantiert mehr Geld bringen wird als "Krebsdrama 3: jetzt wirds richtig traurig"), musst du den x-Wochen auf y-Leinwänden halten, wo z% der Spielzeiten halten muss UND du musst [nächster Disney-Film] schon zusagen. Auf die Art kann "Überraschungskonkurrenz" ja kaum noch anwachsen.

Sicher gibt es selten eine einzelne Erklärung aber gerade das Aufkommen des Fernsehens als Massenmedium Ende der 50er Jahre hat doch für einen deutlichen Abfall der Kino-Besucherzahlen gesorgt, die seitdem nie wieder das Niveau der ersten Jahrhunderthälfte erreicht haben. Da kann man den Einfluss des Fernsehens eigentlich nicht negieren. Das Kino konkurriert mit anderen Angeboten um die Freizeitgestaltung der Menschen, je weniger Konkurrenzangebote es gibt, umso besser gehts den Kinos. Streaming sehe ich da als eine ähnlich große Zäsur wie das Fernsehen in den 50ern, weil es den Leuten ein ähnliches Produkt bietet wie der Kinobesuch, aber deutlich bequemer und günstiger.

Auch damals hat die Industrie auf die neue Konkurrenz hauptsächlich mit aufwändigen Blockbustern, die zu der Zeit eben zumeist monumentale Historienepen waren, reagiert, das Ganze ist also nicht neu. Nachdem Ben Hur ein Riesenhit wurde, hat plötzlich jedes Studio monumentale Sandalenfilme gedreht, heute eifern alle dem Marvel-Erfolg nach. Wenn es analog zu damals zu einer Blockbuster-Übersättigung kommt, entsteht vielleicht ja auch erneut eine Bewegung wie New Hollywood.

Das mit den Knebelverträgen ist ein richtiger Punkt, den man den Studios und da vor allem Disney vorwerfen muss.

Abgesehen davon ist der "Eventcharakter" ja nicht auf Effektfilme festgelegt, einer der ersten Blockbuster war ja "Der Pate", wo die Leute ja tatsächlich um mehrere Häuserblöcke angestanden haben.

Damals war das noch so, wobei Coppola da wirklich das Glück hatte, die Filme genau zum richtigen Zeitpunkt zu machen. 10 Jahre später erlitt Leone mit seinem Gangsterpos eine heftige Bruchlandung, 1990 wurde Goodfellas ein Flop, das Zeitfenster, in dem Gangsterfilme zu Blockbustern werden konnten, war extrem kurz und Coppola hat es genau getroffen.

Heute scheint es ohne Effekte bzw. vielmehr ohne Franchise-Bezug kaum noch zu gehen, zumindest sind das die einzigen Big Budget-Produktionen, wo man im Vorfeld halbwegs sicher mit einem Erfolg rechnen kann, alles andere ist risikobehaftet. Einzige Ausnahme im Blockbuster-Bereich ist wohl Nolan, dessen Name inzwischen so eine Marke ist, dass er schon fast als Franchise durchgeht.

Wäre dein Vorschlag, dass die Studios das Publikum quasi zu anspruchsvollerer Kost erziehen sollen, indem sie mehr Originalstoffe mit hohen Budgets produzieren ohne sicher sein zu können, ob dafür überhaupt eine Nachfrage besteht?

Ganz so einfach funktioniert (Film-)Marktwirtschaft aber nicht, das Angebot folgt nicht automatisch auf die Nachfrage. Da findet ja eher eine Austauschbewegung statt, die die "Schuld" ja auf beiden Seiten verankert. Persönlich denke ich, dass das Shock and Awe-Marketing, das den Zuschauer an jeder Ecke anlocken soll, einen relativ großen Einfluss hat: wer auf jeder verdammten Zewa-Rolle für Wochen Yoda sieht, der wird sich wahrscheinlich, wenn der Hang dazu schon besteht, in den neuen "Star Wars"-Film locken lassen. Es wird ja von Werbeunternehmen gezielt darauf hingearbeitet, in dir/mir/dem Typen an der Ecke ein Verlangen nach Star Wars/Marvel/Die Glücksbärchis zu erzeugen.

Das mag den Erfolg der Mega-Blockbuster erklären aber welche Rückschlüsse zieht man daraus für Filme wie The Irishman? Auf die ist eine solche Marketingkampagne nicht anwendbar.

Bis auf wenige Ausnahmen, wo mehrere Faktoren glücklich zusammengekommen sind, haben solche Filme nie die ganz großen Summen eingespielt. Die einzige Möglichkeit, dass diese Filme weiterhin fürs Kino produziert werden, ist demnach sie in der Produktion möglichst günstig zu halten. Scorsese ist da doch eh noch in einer vergleichsweise komfortablen Lage, was würden da Leute wie Orson Welles sagen, die in den angeblich guten alten Zeiten von den Studios daran gehindert wurden ihre Vision auf die Leinwände zu bringen?

Meiner Meinung nach kann man daher auch einige der Filmemacher, die zu Netflix gehen, nicht ganz aus der Verantwortung nehmen. Mir kann keiner erzählen, dass Noah Baumbach für einen Film wie Marriage Story keinen Verleih gefunden hätte, der den ins Kino bringt. Allein durch den sicheren Oscar-Buzz für Driver und Johansson würde der bei seinem geringen Budget locker Gewinn einfahren. Aber wenn Netflix mit den dickeren Scheinen wedelt, dann verkauft er sich halt an die. Kann er ja machen, aber richtig scheinheilig wirds dann, wenn er oder Scorsese ständig davon reden man solle die Filme doch bitte im Kino gucken.

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Silencio : : Moviejones-Fan
18.11.2019 09:12 Uhr
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PaulLeger:

"Die Leute, die früher in diese Filme gegangen sind, bleiben denen heutzutage nicht fern, weil sie stattdessen in MCU-Filme gehen, sonst wäre das früher auch schon der Fall gewesen"

Es wächst allerdings auch keine Generation nach, die Nicht-Franchisefilme erfolgreicher macht. Woran das liegt, da müssen wir mutmaßen...

"Mega-Blockbuster hat es nämlich schon immer gegeben, damals waren es halt Star Wars, Indiana Jones, Herr der Ringe oder Harry Potter, jetzt eben das MCU. Der Unterschied zu damals sind aber die Streamingdienste, die dafür sorgen, dass viele Leute heute überwiegend zu Hause bleiben und lieber eine hochwertige Serie oder einen Film auf Netflix streamen, statt für einen mittelgroßen Film, der für die breite Masse keinen Eventcharakter hat, ins Kino zu gehen."

Dazu muss man aber sagen, dass die Industrie für rückläufige Zahlen die Schuld immer woanders gesucht hat: das Radio, der Fernseher, der VHS-Rekorder etc. Letztendlich haben DA die Probleme aber nie gelegen.
Generell halte ich das für eine sehr einseitige Ansicht: man darf nicht vergessen, dass die Studios den Kinos auch arge Knebelverträge aufzwingen, die die Konkurrenz aus den Sälen zwingen soll. Willst du den neuen "Star Wars" zeigen (was du willst, weil der dir ja garantiert mehr Geld bringen wird als "Krebsdrama 3: jetzt wirds richtig traurig"), musst du den x-Wochen auf y-Leinwänden halten, wo z% der Spielzeiten halten muss UND du musst [nächster Disney-Film] schon zusagen. Auf die Art kann "Überraschungskonkurrenz" ja kaum noch anwachsen.

Abgesehen davon ist der "Eventcharakter" ja nicht auf Effektfilme festgelegt, einer der ersten Blockbuster war ja "Der Pate", wo die Leute ja tatsächlich um mehrere Häuserblöcke angestanden haben.

"Die Studios züchten ein bestimmtes Filmangebot nicht aus eigenem Antrieb heran, sondern reagieren auf die Nachfrage."

Ganz so einfach funktioniert (Film-)Marktwirtschaft aber nicht, das Angebot folgt nicht automatisch auf die Nachfrage. Da findet ja eher eine Austauschbewegung statt, die die "Schuld" ja auf beiden Seiten verankert. Persönlich denke ich, dass das Shock and Awe-Marketing, das den Zuschauer an jeder Ecke anlocken soll, einen relativ großen Einfluss hat: wer auf jeder verdammten Zewa-Rolle für Wochen Yoda sieht, der wird sich wahrscheinlich, wenn der Hang dazu schon besteht, in den neuen "Star Wars"-Film locken lassen. Es wird ja von Werbeunternehmen gezielt darauf hingearbeitet, in dir/mir/dem Typen an der Ecke ein Verlangen nach Star Wars/Marvel/Die Glücksbärchis zu erzeugen.

"Am Ende ist es eine Mischung aus fehlendem Interesse bei weiten Teilen des Publikums, Risikoscheu bei den Hollywood-Studios und mangelnder Kompromissfähigkeit des Regisseurs, die dafür gesorgt hat, dass The Irishman keine großflächige Kinoauswertung bekommt. Wie immer man den jeweiligen Anteil dieser drei auch gewichten mag, Marvel hat damit noch am wenigsten zu tun."

Ob ich dem Scorsese da mangelnde Kompromissfähigkeit vorwerfen würde, weiß ich nicht mal: indem er den "konventionell" gedreht hätte, wäre das ja ein komplett anderer Film. Ohne den schon gesehen zu haben (heute oder morgen gehts ins Kino...), würde mich bei Scorsese nicht wundern, wenn in der Machart auch eine Aussage zu finden ist. Denn seine Filme waren ja immer auch Reflexionen aufs Medium. Und das würde ja verloren gehen, würde man da auf Make Up, unterschiedliche Darsteller für die verschiedenen Altersstufen usw. zurückgreifen. Vielleicht ist das einmal ein Film, der GENAU SO gemacht werden musste. ;)

"I am not fucking around here, I believe a well-rounded film lover oughta have something to say about Jean-Luc Godard and Jean-Claude Van Damme."

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