In einem emotionalen Tweet hat sich Schauspielerin Anne Hathaway dafür entschuldigt, mit ihrer Darstellung in Hexen Hexen - der ab 7. November auf Sky auf Abruf verfügbar ist - vielen Menschen zu nahe getreten zu sein. Was ist passiert?
In der Fantasykomödie für die ganze Familie spielt Hathaway die Hauptrolle und damit eine Hexe, die Hände mit nur drei Fingern hat (im Trailer bei Stelle 0:44 gut zu sehen). Diese Darstellung ähnelt der Erkrankung Ektrodaktylie, bei der es sich um eine angeborene Fehlbildung der Extremitäten handelt. Nach Ansicht mehrerer Aktivisten impliziere Hexen Hexen nun, dass Menschen mit solchen Händen oder Füßen wie Hexen seien und initiierten den Hashtag #notawitch, was Hathaway später zu der unten zu sehenden Reaktion brachte.
"Hexen hexen" Trailer 1 (dt.)
Dieser Fall erinnert an frühere Diskussionen, in denen Darstellungen in Filmen mal mehr mal weniger große Bevölkerungsgruppen beleidigen und zu Kritik führen. Ein Beispiel wäre Peter Hase, als sich Sony Pictures im Jahr 2018 einer plötzlichen Debatte wegen einer Szene mit Blaubeeren gegenübersah, die Allergiker durch den Kakao zieht. Oder immer mal wieder aufkommend das Dreschen von Klischees, sei es der ungepflegte Nerd oder die dumme Blondine.
Aber sind wir tatsächlich alle so unsensibel und beschränkt und können nicht (mehr) zwischen Fiktion und Realität unterscheiden? Und folgt womöglich beim Blick auf Hathaway noch ein Aufschei von Menschen, die im Gesicht Narben tragen, wobei sich Batman & Co. auch vorsehen müssen?
Der Eindruck erhärtet sich, dass der Wunsch nach Gleichbehandlung, Gleichberechtigung und Integration in seiner Härte öfter als gewünscht neue Gräben aufreißt, anstatt einzuladen, sich mehr Wissen zu verschaffen und eine andere Perspektive einzunehmen. In solchen Situationen fragen wir uns nicht das erste Mal, ob nicht die Möglichkeit besteht, auf eine Situation - sei es eine Filmszene, eine Darstellung oder ein anderes Momentum - hinzuweisen und erstmal Fakten zu benennen, als automatisch zu werten und in vielen Fällen direkt zum Boykott aufzurufen. Und stimmt es wirklich, dass solche Darstellungen wie z.B. in Hexen Hexen eine solche große Mehrheit verletzen - oder ist es nur eine kleine Gruppe, die einfach für kurze Zeit sehr laut ist?
Jeder von uns gehört einer bestimmten Gruppe an - in unserem Fall wären es redaktionsintern z.B. Schlagworte wie Nerd, Ossi, Bayer oder Rotschopf, die uns triggern könnten. Und natürlich gibt es Filme und Serien, die mit genau diesen Klischees spielen und mal mehr, mal weniger Resonanzen hervorrufen. Besser gesagt hervorrufen könnten, denn manchmal tut es gut, sich bei all dem Irrsinn des täglichen Lebens nicht auch noch über jede noch so kleine Auffälligkeit zu echauffieren. Es ist vollkommen legitim, dass Menschen auf Darstellungen emotional reagieren. Was wir aber sagen möchten, wenn es soweit führt, dass fiktionale Figuren andauernd an der Realität gemessen werden und Schauspieler regelmäßig für ihre Darstellung mit flammenden Worten Abbitte leisten, dann wird unser Leben nicht zwingend solidarischer und gleichwertiger, sondern wir Menschen in unserem Tun immer reservierter und stereotyp.
Es mag Leute geben, die beim Blick auf die dreifingrige Anne Hathaway denken, dass jede dreifingrige reale Person eine Hexe sei. Aber Idioten wird es immer geben! Nur, warum macht man diese Einordnung eigentlich an den Fingern fest? Die Schauspielerin ist im Film blond, was nicht ihrer natürlichen Haarfarbe entspricht - sind nicht vielleicht alle Blondinen Hexen? Und warum wurde keine echte Blondine gecastet, zumindest aber eine Schauspielerin mit einer deformierten Hand, wenn es das Buch schon so vorgibt?! Wo wird eigentlich die Grenze gezogen?
Schaut man sich so manche Diskussion an, die in den vergangenen Jahren geführt wurde, fällt die beharrliche Kleinlichkeit auf, mit der regelrechtes Cherry Picking betrieben wird. Wir, und sicherlich viele Millionen andere Menschen, würden nie Menschen mit drei Fingern diskreditieren, nur weil uns ein Film eine fiktive Gestalt mit genau dieser Eigenheit präsentiert. Die gravierenden Probleme unserer Zeit, die sich in all den Facetten der gesellschaftlichen Abgrenzungen und Überhöhungen zeigen, werden dadurch nicht gelöst, wenn solche Diskussionen und aufgeblähten kleinen Dramen die Marschrichtung bestimmen. Und so bleibt leider oft der Eindruck, dass viele Menschen nicht mehr mit künstlerischer Freiheit, Überzeichnung, Satire und Fantasie umgehen können.
Was denkt ihr? Reagiert Hathaway über? Haben die Aktivisten recht? Sind wir zu distanziert, was das Thema angeht?
Von der Leinwand direkt auf euren Fernseher. »Hexen hexen« gibt’s ab 7. November für euch auf Abruf. ???? pic.twitter.com/xsy2NRMQDk
— Sky Deutschland (@SkyDeutschland) November 5, 2020