Bewertung: 2 / 5
Wenn man Disneys Animationsfilmhistorie zurückverfolgt, wird man beim Schauen von "Bambi" feststellen, dass "Der König der Löwen" und "Dinosaurier" inhaltlich und inszenatorisch Vieles von "Bambi" übernommen haben.
Offensichtlich ist dabei der Tod von Bambis Mutter und Mufasa, es geht aber noch weit darüberhinaus. In allen drei Filmen wird die Handlung durch das Leitmotiv des Kreises des Lebens definiert, in allen drei Filmen werden Auserwählte etabliert (Bambi und Simba als erbende Monarchensöhne, Aladar als Moses-artiger Befreier), die äußeren und inneren Gefahren trotzen und diese überwinden müssen. Innere Gefahren stellen individuelle und meistens charakterisierte Artgenossen dar (der Rehbock Ronno, der Löwe Scar, der Iguanodon Kron), äußere Gefahren sind unpersönlicher, allegorischer Art. In allen drei Filmen handelt es sich dabei um Natur-/Umweltereignisse, des Weiteren die Jäger und Jagdhunde in "Bambi", die in "Dinosaurier" durch Carnotauren und Raptoren ersetzt werden. Die finale Konfrontation zwischen den Protagonisten und den Jagdhungen bzw. dem Carnotaurus findet zudem auf einem Steinhang statt und wird auf ähnliche Weise in Szene gesetzt. Ansonsten funktioniert der Kreis des Lebens in Disney-Filmen natürlich nicht ohne Liebesbeziehung, Faline und Nala sind Kindheitsfreunde von Bambi und Simba, sie treffen nach Jahren der Trennung zufällig wieder aufeinander und verlieben sich sofort.
Im Gegensatz zu "Der König der Löwen" und "Dinosaurier" hatte "Bambi" nie großen Einfluss auf meine Kindheit und frühe Jugend, ich sah den Film gestern also quasi zum ersten Mal. Dahingehend muss ich mir zumindest zu einem gewissen Grad eine subjektiv verfälschte Wahrnehmung eingestehen. Nichtsdestotrotz kam ich gestern nicht umhin festzustellen, dass die Charaktere, Themen und Inhalte in den beiden Folgewerken wesentlich ausgefeilter, konkreter und, ja, auch politischer ausgearbeitet werden. Sicherlich ist es keine Pflicht, Kinderfilme politisch zu gestalten, mehr als ein nettes und audiovisuell hochwertiges Märchen für Kinder sehe ich in "Bambi" jetzt aber nicht. Aus Erwachsenensicht hat das für mich keinen Reiz, aus Kindersicht gefielen mir die ersten 40 Minuten aufgrund der liebenswürdigen und knuffigen Natur der Geschichte noch sehr gut. Als "Bambi" nach dem Tod der Mutter jedoch umschwenkte und düstere, erwachsene Töne anschlug, wurden die Schwächen deutlich und der Film verlor mich.
Der Tod von Bambis Mutter läutet zwar eine 180°-Wendung ein und gilt als der Kindheitsschock schlechtin, der Szene selbst wird allerdings keine Zeit zur Entfaltung eingeräumt, darüberhinaus hat der Tod der Mutter keine Bewandtnis für Bambis Charakter. Nach dem Tod der Mutter und einer Todeserklärung durch Bambis Vater erfolgt ein stilistischer und zeitlicher Hard Cut, die Trauerszene wird sofort durch eine fröhliche Musikszene abgelöst, in der Vögel den Frühling besingen. Bambi ist nun ein junger Rehbock und eine Frohnatur wie eh und je, wie es ihm nach dem Tod und in der Zwischenzeit ergangen ist, erfährt man nicht. Im Vergleich dazu stellt "Der König der Löwen" nach Mufasas Tod Simbas Trauma und Traumabewältigung in den Vordergrund, was dann im Duell zwischen Simba und Scar seinen Höhepunkt findet.
Die kurze Laufzeit von 68 Minuten bricht "Bambi" meiner Meinung nach das Genick. Zu großen Teilen begründet sich das dadurch, dass der Film keine durchgehend konstruierte Geschichte erzählt, sondern über eine episodenartige Erzählstruktur verfügt - Bambi gegen Ronno, Bambi gegen die Jagdhunde, Bambi und der Waldbrand. Mit einer längeren Laufzeit oder gar als Serienadaption hätte das funktionieren können, in einem 68-Minuten-Film verbleiben all diese Ereignisse auf einem unterentwickelten Niveau.
Ronno taucht plötzlich als Nebenbuhler auf, beansprucht Bambis Freundin Faline für sich, duelliert sich mit Bambi, verliert und verschwindet dann wieder aus der Handlung. Weil Ronno als Antagonist keine Charakterzeichnung besitzt und weil die Liebesbeziehung zwischen Bambi und Faline zuvor gehetzt etabliert wurde, ohne innerlich reifen zu können, fehlt dem Kampf zwischen Bambi und Ronno eine feste Grundlage und tiefere Bedeutung. Es ist ein Kampf der Triebe, es geht um die Frage, wer metaphorisch gesehen den Längsten hat, der Kampf findet primär auf einer niederen, tierischen Ebene und nicht auf einer intellektuellen, menschlichen Ebene statt. Im Gegensatz dazu entwickeln sich in "Dinosaurier" die Liebesbeziehung zwischen Aladar und Neera sowie die antagonistische Beziehung zwischen Aladar und Kron organisch aus der Handlung heraus (gleiches gilt für Simba und Scar in "König der Löwen"), weshalb die stetig brodelnden Konflikte zwischen Aladar und Kron eine viel größere, charaktergetriebene Wirkung erzielen und das Wesen von Autorität und Dominanz deutlich herausgearbeitet wird. In "Dinosaurier" stellt der Neuling Aladar die Autorität und Dominanz des Führers Kron über seine Schwester und über seine Herde in Frage.
Das gesellschaftsbeobachtende und -kritische Potential sowie die charakterbezogene Dramatik des Waldbrandes nutzt "Bambi" kaum aus, im Grunde genommen macht es sich der Film sogar sehr einfach. Die Tiere fliehen vor dem menschengemachten Waldbrand lediglich tiefer in den Wald und leben dort glücklich bis ans Ende ihrer Tage, das Problem wird also nicht bewältigt, sondern beiseitegeschoben und kitschig übertüncht. "König der Löwen" dagegen bettet die Natur-/Umweltkatastrophe in einen größeren Kontext ein, das Wohl von Lebensraum, Natur und Umwelt steht hier in Abhängigkeit zum politischen System und kann nur dann gesunden, wenn auch das politische System gesundet. Wie weit die missliche Lage reicht, sieht man daran, welche Strecken Nala zurücklegen muss, um Nahrung zu finden. "Dinosaurier" nutzt sein Setting der harten, unbarmherzigen Natur- und Umweltbedingungen, um Diktatur/Faschismus und Demokratie/Sozialismus als Konzepte zur Überlebenssicherung der Herde gegenüberzustellen und lässt seine Charaktere dabei regelrecht leiden. "Bambi" für sich spielt allgemein mit dem negativen Einfluss des Menschen auf Natur, Umwelt und Lebensraum (Jäger, Jagdhunde, Waldbrand), die Oberfläche des Themas durchdringt der Film damit aber nicht.
Abseits davon offenbart sich das Frauenbild in "Bambi" als stark veraltet. An wichtigen bis erwähnenswerten, weiblichen Charakteren wären da Bambis Mutter, Bambis Freundin Faline und die beiden Freundinnen von Thumper und Flower zu nennen, ihre Rolle im Film ist es, Männer zu verführen, Kinder zu gebären und Kinder zu erziehen, ansonsten haben sie in der Handlung keine Funktion. Zum Vergleich erneut Nala und Neera, die beiden nehmen in ihren jeweiligen Filmen aktiver an der Handlung teil und das auch in Bereichen wie Politik, die nicht dem traditionellen Frauenbild entsprechen. Bambis politische und weltliche Ausbildung durch seinen Vater, den monarchistischen Herrscher des Waldes, beginnt zudem auch erst, nachdem die Mutter gestorben ist.
Fazit: Ich wurde in zweierlei Hinsicht von "Bambi" überrascht. Zum Einen wusste ich überhaupt nicht, wie ähnlich der Film "König der Löwen" und "Dinosaurier" ist, zum Anderen hätte ich nicht gedacht, dass mit der Film nicht gefallen würde. Naja, mal schauen. Ich habe jetzt jedenfalls Lust auf weitere Disney-Animationsfilme aus der ganz alten Zeit bekommen, "Pinocchio" und "Dumbo" habe ich schon ins Auge gefasst^^