Bewertung: 4 / 5
Der Vater im Krieg, die Mutter dauernd beschäftigt, da kann sich eigentlich nur einer um den kleinen Jojo kümmern: Hitler. Als Superfan des Führers imaginiert sich der Zehnjährige sein Idol in die unterschiedlichsten Situationen, um mal einen Rat von einem väterlichen Freund zu kriegen. Das geht, wie sollte es auch anders sein, spektakulär in die Hose, als der Hasenfuß Jojo angestachelt vom alten Adolf seinen Mut beweisen will – und prompt einen Handgranatenunfall erleidet. Enstellt und in einem Bein ohne Gefühl, ist Jojos Traum, Teil von Hitlers Leibgarde zu werden, erstmal auf Eis gelegt. Von den Hitlerjugend-Aktivitäten nicht mehr eingespannt, verbringt Jojo nun viel Zeit Zuhause. Und dort bemerkt er, dass etwas in den Wänden des Hauses zu leben scheint...
Mit „Jojo Rabbit“ kehrt Taika Waititi nach „Thor: Ragnarok“, seinem ersten, dem verlauten nach aber bei weitem nicht letzten, Ausflug in die Blockbusterwelt, zurück in kleinere Gefilde. Dabei hat der quirlige Regisseur seine Stimme bewahrt und präsentiert mit seinem neusten Film wieder mal seine Mischung aus Anarchospäßen und menschelnder Wärme, die seine bisherigen Filme ausgemacht hat. Dabei geht es dieses Mal ins Nazideutschland gen Ende des Krieges, in ein kleines Dorf, in dem die Welt noch in Ordnung und der Krieg noch zu gewinnen scheint. Passend zum veränderten Setting dreht Waititi dieses Mal den gemeinen Humor auf Vollstoff, es vergeht kaum eine Minute, in der nicht ein Gag abgefeuert wird – bei dem einem das Lachen aber im Halse stecken bleiben will.
Trailer zu Jojo Rabbit
Denn der teils arg bescheuerte Deppenhumor (ausnahmsweise ein Kompliment) ist nicht nur schnöder Tabubruch, sondern soll vielmehr die sinnlose Gemeinheit hinter den damit ausgedrückten Ressentiments aufzeigen. Insofern ist es passend, den Film an einem Zehnjährigen aufzuhängen: noch nicht alt genug, um wirklich tiefgehend zu reflektieren, aber nicht zu jung, um zu erkennen, dass sein Verhalten im Zwischenmenschlichen verletztend und grausam ist. Und genau so funktioniert der Humor dann auch, wir lachen über die infantilen Späße, obwohl wir es als erwachsene Zuschauer eigentlich besser wissen müssten. Andererseits ist es nunmal ziemlich lustig, wenn ein Kind zu „Komm, gib mir deine Hand“ der Beatles Sieg Heil-end durch die Straßen läuft.
Interessant, wenn auch nicht wirklich neu, ist dabei, aus dem Führer einen Popstar zu machen, der wie der King in „True Romance“ immer dann auftaucht, wenn Jojo Rat sucht. Hitler entpuppt sich dabei als eine Art Über Ich, ist Jojos moralische Instanz, die ihm aufgibt, wie er sich zu verhalten hat – und deren obszöne, selbstzerstörerische Qualität immer wieder zu Tage tritt. Warum sich ein kleiner Junge einen Politiker genauso wie die Fab Four an die Wand hängen sollte, bleibt der Film dabei bewusst schuldig. Ist es der Drang, irgendwo dazu zu gehören? Sind es die abwesenden, aber trotzdem bemühten Eltern? Waititis vorherige Filme legen letzteren Schluss nahe, vor allem „Boy“ hat eine ähnlich vom Protagonisten überhöhte, nahezu mythische Vaterfigur, deren Realität gleichermaßen vom Vorstellungsbild abweicht und die sich folglich als falsches Idol herausstellt. „Jojo Rabbit“ bleibt die Antwort jedoch letztendlich, wohlgemerkt bewusst, schuldig: wer hier einfache oder angenehme Lösungen erwartet, wird enttäuscht.
Sollte das jetzt deprimierend klingen, so sollte man sich nicht auf die falsche Fährte locken lassen. Denn der Film bleibt selbst im ins dramatische schwenkende dritten Akt durchgehend lustig und verpackt sogar seine Schicksalsschläge in eine gewisse Leichtigkeit, die die Handlung nicht in „Bildungskino“ absinken lässt. Wieder einmal geht es Waititi darum, mit seinem Film emotionale Tiefen auszuloten, ohne sich darin zu suhlen. Dabei helfen die ausdrucksstark aufspielenden Darsteller, vor allem Hauptdarsteller Roman Griffin Davis beweist, dass in ihm großes Talent schlummert. Egal, was das Drehbuch ihm aufgibt, Davis stellt es in seiner ersten Rolle überzeugend dar, sei es Wut, Trauer oder Ausgelassenheit. Und Scarlett Johansson? Die hat sich ihre zweite Oscarnominierung in diesem Jahr redlich verdient. Gerade die Szene, in der sie Vater und Mutter gleichzeitig spielen muss, wird vom eindrucksvollen Wechsel zwischen den Charakteren in ihrer Körpersprache getragen.
Leider landet nicht jeder Gag, bei der Schlagquote kann aber auch nicht alles treffen. Zusätzlich sind ein paar Wendungen der Geschichte recht vorhersehbar, vor allem der Wechsel in den letzten Akt wird kilometerweit antelegraphiert, ohne eine Spur von tragischer Unvermeidbarkeit zu haben. Das sind aber nur ein paar Tropfen auf den heißen Stein, im Großen und Ganzen weiß „Jojo Rabbit“ zu überzeugen.
Wer mal wieder so richtig über Kriegsverbrechen lachen will, der sollte sich ins Kino bewegen.