Bewertung: 4.5 / 5
"Es heißt, dass die Prinzessin in das Reich ihres Vaters hinabstieg und dass sie dort mit Güte und Gerechtigkeit herrschte, viele hundert Jahre lang, dass sie von ihren Untertanen geliebt wurde und
dass sie kleine Spuren hinterließ, von ihrem kurzen Dasein auf Erden, sichtbar nur für diejenigen, die wissen, wo sie suchen müssen."
Ich war schon beeindruckt, als ich las, dass "Joker" eine achtminütige Ovation nach seiner Premiere in Venedig erhielt. Verdient hat das der Film - jedoch ist das nichts im Vergleich zu den zweiundzwanzig Minuten, mit denen "Pans Labyrinth" bei seiner Uraufgeführt in Cannes bejubelt wurde. Dabei habe ich mich lang geziert, diesen Film anzusehen, aufgrund der schwierigen Thematik, der unüblichen Herangehensweise. Doch nach meiner Sichtung musste ich feststellen, dass diese zweiundzwanzig Minuten fast noch zu wenig der Würdigung sind.
Trailer zu Pans Labyrinth
1944, am Ende des spanischen Bürgerkriegs, heiratet die schwangere Mutter Carmen (Ariadna Gil) der jungen Ofelia (Ivana Baquero) den eiskalten, führenden Hauptmann der spanischen Armee, Capitan Vidal (Sergi Lopez), welcher kurz davor steht, die in die Berge getriebenen Rebellen blutig niederzuschlagen. Von der Grausamkeit des Krieges umgeben, zieht sich Ofelia derweil immer weiter in eine Fantasiewelt zurück, in der sie die Probleme ihres Alltags verarbeitet. Drei Aufgaben soll sie lösen, dann würde sie ihrer Bestimmung gerecht und darf als Prinzessin in ein unterirdisches Königreich zurückkehren. Doch ihrer Mutter geht es immer schlechter, der Hauptmann fürchtet um sein Kind in ihr, während der Krieg tobt.
Tatsächlich weiß ich weder wo ich anfangen, wo ich aufhören, noch wie ich den Film generell treffend beschreiben soll. Vieles, was ich sagen könnte, würde ihm nicht gerecht werden, kein ausreichendes Bild von ihm vermitteln.
Sei es allein der geniale Ansatz, die Grausamkeiten des Krieges auf das kindliche Fassungsvermögen herunterzubrechen und damit den Schrecken für den Zuschauer besonders greifbar zu machen. Die unschuldige Fantasie eines Kindes als harten Kontrast der realistischen Gräuel, zur Verarbeitung all der Probleme, zur Flucht vor der bitteren Wirklichkeit. Eine besser Umsetzung dessen, was Krieg so schlimm macht, habe ich bis dato noch nicht gesehen.
Denn all das ist treffend verpackt in eine rührende, spannende Handlung, die die überragende Vielschichtigkeit des Filmes trägt und ihr einen gelungenen Halt gibt. Die Story bietet viele clevere Verstrickungen sowie interessante Entwicklungen, was den Fortgang des spanischen Bürgerkriegs betrifft, ist stellenweise nur etwas holprig erzählt, wenngleich dies kaum ins Gewicht fällt.
Zusätzlich bietet der Film nämlich das perfekteste Ende, welches ich mir für eine solche Geschichte vorstellen kann. Tief bewegend, bitter, tragisch - endlich hat es mal wieder ein Film geschafft, mich zum Weinen zu bringen, was bedeutet, er hat mich erreicht, er hat für mich funktioniert. Und das Ende lässt einen in seiner Konsequenz auch nicht mehr los, es bleibt haften, es bleibt im Gedächtnis.
Unterstützung finden diese Komponenten in dem wunderschönen, getragenen Soundtrack, der Szenen stark kontrastiert, hervorhebt und umrahmt, während er gleichzeitig versteckt kommende Ereignisse andeutet und melancholiert. Ich summe die charakteristischste Melodie übrigens seit der Sichtung immer wieder vor mich hin - zu memorabel ist der Film.
Ein weiterer wichtiger Punkt sind die handelnden Charaktere und ihre Schauspieler. Begonnen mit der Hauptfigur Ofelia, ist sie die zentrale Figur des Filmes und erhält eine meisterhafte Charakterzeichnung, welche sie dem Zuschauer besonders nahe bringt. Ihre subtil thematisierten Eindrücke und Schwierigkeiten geben ein berührendes Bild der Situation, in der sie sich befindet, sodass man ihre Entwicklung lückenlos nachvollziehen kann. Die Schauspielerin, Ivana Baquero, die damals erst zwölf Jahre alt war, liefert für ihr junges Alter eine extrem gute Darstellung ab, durch die einem die Figur erst recht ans Herz wächst. Aber auch Ofelias Mutter Carmen, ebenso gut von Ariadna Gil gespielt, wird ausreichend charakterisiert, wodurch ihre Motive und ihre Vergangenheit erklärt werden.
Am herausragendsten ist allerdings der faschistische Capitan Vidal, dessen Taten eine beeindruckende Symbolik für das sind, was der Krieg aus Menschen macht. Seine Grausamkeit und verblendete Ideologie stehen für sich, durch die atemberaubende Darstellung von Sergi Lopez ist er zugleich einer der besten Antagonisten, die ich bisher kenne.
Wenn es an die Verbildlichung des Krieges geht, zeichnet sich der Film ergänzend durch eine passend wuchtige Intensität aus, die die harte Brutalität der Wirklichkeit zu Ofelias Märchenwelt konterkariert. Mit den unterschiedlichen Farbfiltern zwischen diesen beiden Ebenen etabliert die grausame Gewalt einen heftigen Kontrast, der den Rückzug in die Fantasie als geeignetes Fluchtmittel beschreibt.
Aus diesem Grund ist auch die FSK 16 des Filmes definitiv berechtigt, denn was er zeigt, ist öfters ziemlich brutal und blutig. Zudem ist die Thematik des Filmes derart düster, dass sie Jüngere mit Sicherheit überfordern würde, weswegen auch ich "Pans Labyrinth" ab 16 freigeben würde (Brutalität: 7 von 10 für 16).
Dennoch sind die Dialoge und die Bilder der wichtigste Punkt des Filmes, denn sie transportieren die tiefgründige Botschaft und Symbolik, die ihn so einzigartig machen. Erstere sind dabei nicht nur äußerst bewegend und eingängig geschrieben, sondern sprechen auch unfassbar vielfältige, wichtige und philosophische Themen an, die lange zum Nachdenken anregen. Sie befassen sich mit dem Erwachsenwerden, dem Verlust kindlicher Fantasie, Gier, Krieg und neben vielem Weiteren auch dem Faschismus, wobei sich letzteres auch in der Bildsprache wiederfindet. Zunächst einmal sind die Kameraführung sowie die Optik ohnehin atemberaubend, so genial wie sie die Stimmung einfangen. In ruhigen Bildern und weitschweifigen Einstellungen wird die Geschichte portraitiert, bei denen insbesondere die subtilen Metaphern interessante Interpretationsansätze bieten.
Als Beispiel möchte ich hier mal meine Gedanken zu der Szene mit dem Augenmonster niederschreiben. Für alle, die den Film noch nicht kennen (keine Angst, ein wirklicher Spoiler ist es nicht):
An einer Stelle muss Ofelia als eine ihrer drei Aufgaben etwas aus einem verborgenen Raum befreien, in dem ein mit üppigen Speißen gedeckter Tisch steht. Solange sie das Essen nicht anrührt, geschieht ihr nichts, aber sollte sie auch nur etwas naschen, erwacht das Monster an der Stirnseite, mit Augen an den Händen, zum Leben und beginnt sie zu jagen.
Anhand der Beschreibung klingt das nun nach einer Abhandlung über die menschliche Gier (was durchaus nicht falsch ist), aber wie schon öfter erwähnt, setzt sich der Film nicht nur mit Krieg, sondern auch mit Faschismus auseinander, weswegen die Szene um einiges tiefergehend ist. Denn in dem Raum liegt ein Haufen Kinderschuhe, was ein direkter Verweis zu den Vernichtungslager der Nazis ist - wer schon einmal eines besucht hat, wird die Bilder kennen. Die Verwendung des gleichen Motivs, in einem Film, der derartiges kritisiert, ist eindeutig. Dadurch werden das Monster und speziell die Speißen zu einem Symbol für den Faschismus - in faschistische Denkmuster zu verfallen ist bei unreflektierter Herangehensweise einfach, bei der richtigen Propaganda geradezu verlockend, ja gar tröstend, befreiend. Aber wer sich - und das ist die Metaphorik dahinter - mit dem Faschismus an einen Tisch setzt, wer sich ihm nähert oder auch nur von ihm probiert, wird früher oder später von ihm "aufgefressen" und selbst zu einem Monster, welches die Kinderschuhe mitzuverantworten hat. Nicht mehr weit ist dann der Schritt, mit dem man auch nur noch ein paar Schuhe zwischen den ganzen anderen Opfern des Faschismus ist, der vor niemandem halt macht, nicht einmal vor Kindern.
Und das ist nur das, was mir momentan zu der Szene einfällt, mit Sicherheit lässt sich über sie - und auch die vielen anderen, die nicht weniger intelligent konnotiert sind - noch viel mehr sagen.
Anhand dieser treffenden, subtilen Botschaft und dem stimmigen Drumherum wird schnell deutlich, was "Pans Labyrinth" für ein Meisterwerk ist. Dass ein nichtmal wirklich als Kriegsfilm zu bezeichnender Streifen die beste Aufarbeitung dessen ist, spricht für sich, für den Film. Er ist, ohne Wenn und Aber, ein Pflichtwerk, welches man gesehen haben sollte.
Als Kriegsfilm erhält er 10 Punkte, als Drama 9,5 und in Sachen Fantasy 9 Punkte. Insgesamt sind das
9,5 von 10 Punkten.