Schlacht um Algier beginnt da, wo andere Filme enden oder ihren dramatischen Höhepunkt anvisieren würden: ein Mitglied der Front de libération nationale (FLN), der algerischen Unabhängigkeitsorganisation, hat offenbar unter Folter das Versteck des letzten Kommandanten der Organisation preis gegeben. Kurze Zeit später wird sein Haus unter der martialischen Musikuntermalung von Ennio Morricone von einer kompletten Übermacht französischer Truppen umstellt. Mit den letzten Vertrauten in ein Versteck in der Wand gepfercht wird er vor die Wahl gestellt: Sich ergeben, oder das Haus wird gesprengt.
Die beiden Eingangssequenzen des Filmes sind ein sehr wörtlicher Einsatz der Hitchcockschen "Bombe unter dem Tisch" Dramaturgie. Erst einmal platziert, beginnt der Film einige Jahre früher, am Anfang des Algerienkrieges in den 50er Jahren, der von 1954 bis 1962 mit außerster Brutalität geführt wurde. Was wir hier sehen, ist die fiktionalisierte, aber auf echten Ereignissen basierende Eskalation des Krieges von den ersten Anschlägen bis zum offenen Krieg in Algier selbst.
Gillo Pontecorvo wurde kurz nach dem Ende des Krieges in Italien vom ehemaligen Widerstandskämpfer Yacef Saadi angesprochen, ob er Interesse an einer Verfilmung auf der Basis seines Buches hätte, willigte dieser unter der Vorraussetzung einer objektiven Schilderung ein. Als Drehort wurde Algier selbst gewählt, und Pontecorvo entschied sich für einen neorealistischen Ansatz, sodass der Film aussieht wie eine Dokumantation, die auch damals in den "News Reels" hätte laufen können. Die Entwicklung neuer, leichter Kameras Ende der 50er Jahre machte es möglich. Obwohl er in Farbe hätte drehen können, drehte er in schwarz-weiß, an den echten Orten des Geschehens, und größtenteils mit Laiendarstellern. Bei der Umsetzung ging er sehr strikt vor: die Perspektive ist fast immer die, die eben ein Passant oder Reporter einnehmen würde. Details die in einem normalen Spielfilm in die Dramaturgie passen würden, aber als unrealistisch angesehen wurden, schloss er konsequent aus. So erreichte er einen selten erlebten Grad an Eindringlichkeit und Realismus, aus dem der Film große Kraft zieht. Seinen Höhepunkt erreicht das ganze in den Massen- und Straßenschlachtszenen, die mit hunderten Statisten choreographiert werden mussten, aber nicht so aussehen durften.
Der Film besteht allerdings nicht nur aus Schauwerten, er verhandelt in seiner Struktur auch den Kolonialismus und die unausweichliche Eskalation des Krieges, sowie den Rassismus der Besatzungsmacht. Es ist ein Konflikt zweier Völker, zweier Nationen, und dementsprechend gibt es keinen klaren, oder besser typischen, Protagonisten oder Antagonisten, und dann sind diese sehr vielschichtig gezeichnet. Am ehesten werden diese Rollen von Ali La Pointe (Brahim Hadjadj) und Colonel Mathieu (Jean Martin) ausgefüllt, einem Anführer des Widerstandes und dem Kommandeur der französischen Truppen. Ali ist anfangs nichts weiter als ein Kleinkrimineller, der von der Kolonialmacht nach belieben ins Gefängnis geworfen wird und Rassismus am eigenen Leib erfahren muss. Der Film macht aber keinen Hehl daraus, seinen Hass zu verbergen oder ihn gar sympathisch zu machen: bei der ersten Möglichkeit eines Attentates könnte er einem Polizisten in den Rücken schießen, er zieht es aber vor ihn erst vor allen Passanten zu verhöhnen. Dadurch, dass wir uns trotzdem mit Ali identifizieren können, obwohl der Film ihn nicht romantisiert, wir wird einer der zentralen Punkte des Filmes klar: diese Revolution war für die Aufständigen eine Notwendigkeit. Dennoch inszeniert der Film die Bombenattentate nicht leichtfertig, durch einen willkürlichen Anschlag radikaler Siedler auf ein Wohnviertel schlägt die FLN gegen Zivilisten zurück. Kurz bevor die Bomben explodieren fokussiert die Kamera auf die Gesichter der Opfer, kein einziger Soldat ist dabei. Ein sauberer, ehrenwerter Befreiungskampf sieht anders aus.
Ausgerechnet Colonel Mathieu fasst die Problematik des Krieges nonchalant zusammen. Auf einer Pressekonferenz erst zurückhaltend nach den Methoden seiner Truppen gefragt erklärt er schockierend offen, was alle vermuten: Seine Erfolge sind durch seine Verhörmethoden gestützt. Mathieu strahlt so eine berechnende, aber immer charmante Gefahr aus, dass man in ihm ein Vorbild für Hans Landa aus Tarantinos Inglorious Basterds riechen kann (Tarantino hat die Titelmusik dieses Filmes auch in seinem verwendet, was der Idee Nachdruck gibt). In seiner Person kondensiert sich die Kolonialmacht Frankreich, obwohl er gegen die Nazis in der Résistance gekämpft hat, also genau weiß wie es ist, gegen eine Besatzungsmacht zu kämpfen, hält er den Kampf, auch mit Folter, gegen die Algerier für völlig gerechtfertigt. Er geht in seiner eiskalten, methodischen Analyse der Situation sogar noch einen Schritt weiter. Statt sich einfach nur auf das gute alte "Ich habe doch nur Befehle befolgt!" zu berufen, spielt er den Ball etwas geschickter an die Politiker zurück. Ihr habt mich geschickt um den Krieg zu gewinnen, und ich gewinne. Selber schuld! Die Gegenseite ist allerdings auch nicht aufs Maul gefallen, als ein gefangener FLN Kommandant von Reportern gefragt wird, ob er Anschläge auf Zivilisten nicht für feige und kriminell hält, antwortet der kaltschnäuzig "Gebt uns eure Panzer, Bomber und Napalm, und wir geben euch unsere Brotkörbe mit Bomben.". Die Eskalation dieses Konfliktes ist nicht aufzuhalten, auch nicht vor der Weltpresse. In ganz beiläufigen Szenen von völliger Klarheit fängt des Film den ganzen Wahnsinn ein, so wenn ein aufgebrachter Mob nach einem Anschlag einen algerischen Jungen lynchen will und dieser von einem Polizisten, der zu den ersten Zielen der FLN gehörte, gerettet werden muss.
Wer übrigens Selbstmordbomber oder ähnliches erwartet, der ist beim falschen Film gelandet. Das ist kein religiös motivierter Konflikt, die FNL waren marxistisch-nationalistisch, und dementsprechend fällt auch das Hervorheben der Rolle der Frauen sehr positiv auf. Gerade diesen wird in der letzten EInstellung nochmals Tribut gezollt.
Offensichtlich ist der Film extrem politisch, und auch wenn er sich um eine ausgewogene Darstellung der Gewalt und der Gegengewalt bemüht ist doch klar, dass er eine eindeutig anti-kolonialistische Haltung einnimmt. Irgendein Franzose (ausgerechnet) sagte einmal durch einen seiner Filme „Photographie, das ist die Wahrheit. Und der Film ist die Wahrheit 24 mal in der Sekunde.“ Durch seinen realistischen Stil kommt Schlacht um Algier so nah wie kaum ein anderer Film daran, viele Wahrheiten zu präsentieren. Er ist zeitlos gewordene Macht des Kinos.