Bewertung: 3 / 5
Sonne und Beton beruht auf den Semi-Memoiren des Komikers Felix Lobrecht, dabei werden versucht Elemente einer Milieu-Stduie, Coming-of-Age und des Heist-Films zu vereinen. Was für die einen durchaus funktionieren dürfte, zerfällt für mich leider bei genauerer Betrachtung in seine Einzelteile, aber eines nach dem anderen. Denn eines kann man dem Film trotzdem nicht ganz absprechen: Dass er ein ziemlich guter deutscher Genrefilm ist.
Erzählt wird die Geschichte von 3-4 Freunden an einer Berliner Gesamtschule, ihre täglichen Probleme in diesem sozialen Umfeld, die Perspektivlosigkeit und die Eskalation von Gewalt. Soweit so fair.
Gleichzeitig wird aber auch eine Heist-Story erzählt und kriminalfilmmäßig einige Enthüllungen nachträglich immer wieder eingestreut, so dass der Film auch auf der anderen Ebene ganz gut funktionieren sollte.
Wie gesagt zusammengehlaten wird das Ganze von der Perspektivlosigkeit, der Verarmung und Verrohung der Gegend und der Jugend an sich. Dabei wird nicht mit dem Zeigefinger auf jemanden gezeigt sondern versucht, die Geschichte halbwegs fair und effizient zu gestalten. Wie gesagt so weit so gut.
Der Film wird hauptsächlich von einem ziemlich guten jugendlichen Cast angeführt, wobei der Hauptdarsteller tatsächlich gewisse "junge Shia La Beuf" Vibes versprüht und daher eigentlich seine Sache wirklich gut macht. Nur bei einer Figur stellt sich immer wieder die Frage, o b es am Darsteller oder der Rolle liegt, dass da irgendwie nicht viel zusammenpasst, denn auf dem Papier wäre das die vielleicht interessanteste Figur zu spielen: Sehr starke Johnny Boy Vibes, extrem launische Figur, unberechenbar, außen Hart innen weich, loyal wie sonstwas aber auch gleichzeitig "Ich zieh euch alle mit meiner Art in die Scheisse"-Type. Spätestens wenn er bei einem Einbruch alle Lichter anmacht, fragt man sich unweigerlich, warum diese Type überhaupt durch den Film mitgeschleppt wird, denn das ist so ein Kloss am Bein, dass den jeder an der nächstbesten Ecke anketten und vergessen würde. Aber die Antwort ist ganz klar, und damit fangen nämlich die Probleme der Vorlage und des Filmes per se an: Milieustudie - Authentizität - Kunst?
Frage vorweg: Muss man bei solch einem Film tatsächlich gerade diese Diskussion führen? Antwort: Ja, wenn es ein Film sein muss, dann dieser. Spoiler: Scheitern auf mittlerem Niveau!
Milieustudien sozialer Verwahrlosung sind ein zweischneidiges Schwert, zum einen sollen sie einen authentischen Blick geben, zum anderen sollen sie aufwühlen und aufmerksam machen, aber irgendwie geht es auch darum, einen tatsächlich guten Film abzuliefern. Und Film ist immer auch ein Medium, das als Kunstform sich in anderen genres bedienen kann und darf, um seine Messages an den Zuschauer zu bringen. Manchmal werden dabei auch mal Genres überschritten, aber es sollte immer zur Begünstigung des Films dienen.
Wenn es Filme über Jugendliche oder Kinder sind, so gibt es spätestens seit der Mitte der 1970er durchaus recht schnörkellose Filme, die sehr authentisch daher kommen, dabei aber so dokumentarisch sind, dass es schon schmerzlich ist, ohne jeglichen Klimbim, Sentimentalität oder erhobenen Zeigefinger einfach mal derbe in die Magengrube schlagen. Das für mich prägendste Werk jener Zeit ist beispielsweise der Film die Mauer aus etwa Mitte der 1980er, wo es um ein Jugendgefängnis geht, das übrigens auch als Mikrokosmos für die Gesellschaft herhalten kann, das schonungslos und ohne Kompromisse seine Geschichte erzählt ohne Hoffnung auf eine Erlösung.
Auch in den 1990ern gibt es mindestens einen herausragenden Film zu diesem Thema. Hass beispielsweise ist mittlerweile fast 30 Jahre alt, hat aber von seiner Aktualität gar nichts eingebüsst, auch sein Ende ein Schlag in die Magengrube, vor allem aber auch, weil der Film eben die stlistischen Mittel eines magischen Realismus fast visuell anwendet und am Ende auch stilistisch dem Zuschauer mitteilt, wozu der Regisseur im Stande ist. Aber alles dient der Story und dem Inhalt.
Und das Wichtigste daran: Die Geschichte wird niemals von oben herab erzählt, die Figuren werden allesamt ernst genommen und ihnen werden tatsächliche Charaktere gegeben, nicht irgendwelche rudimentären Charaktereigenschaften aus bekannten Klischees angedichtet oder die Geschichte mit den stlisitischen Mitteln eines Soderbergh quasidokumentarisch gehalten, nur um dann sein Oceans Eleven zu werden und eben nicht Erin Brokovich.
Wenn eine Figurenkonstellation aufgeführt wird, sind es meistens mindestens 2 Figuren, wobei es aber immer zwei schillernde Figuren gibt, die Hauptfigur und der Assi, den alle zwar fürchten, aber der zum Publikumsliebling wird, weil er eben der Unberechenbare Psycho ist. das hat Scorsese sehr früh erkannt und in jeder seiner Gangsterfilmen war immer ein Johnny Boy dabei, sei es in Form des jungen Robert DeNiro als ebenjener oder halt Joe Pesci als dessen irgendwie geartete Widergänger in den weiteren Werken. Auch Akin ist sich dieser Tatsache bewusst bei Kurz und Schmerzlos, aber er wandelt dieses Bild komplett ins Gegenteil, indem er den psychpathischeren Typen einfach nur als Kind darstellt, der eben nicht wusste, womit er es zu tun bekommt und deswegen vor die Hunde geht. Das sind eben die Archetypen und was man mit ihnen dann letztendlich anfängt und wie man sie ummodelliert, damit sie im Großen und Ganzen eben doch funktionieren. Wie gesagt, am besten hat das in der nicht ganz so weit zurück liuegenden Vergangenheit Kassovitz mit seinem Hass.
Sonne und Beton nimmt sich also nicht weniger vor, als das deutsche Äquivalent zu dieser Art von Film zu werden. Und in seinen besten Momenten kommt er recht nah an diverse Aspekte. Aber dann unerwandert er seinen eigentlich eigentlichen Film immer wieder mit seinem nennen wir es mal Stilwillen und seinen inhaltlichen Schwächen, die auch (aber nicht nur) auf der Romanvorlage beruhen.
Aber in seinen beliebigen Momenten ist er eigentlich nur eine Aneinanderreihung von Klischees, nur um des Aufzeigens Willen wie hoffnungslos doch alles ist. Klischees, die man allerdings schon deutlich häufiger und deutlich besser gesehen hat, da für Klischees trotzdem funktionierende Charaktere notwendig sind, um mitfühlen zu können. Der die Mutter schlagende Vater und alles was daraus folgt ist beispielsweise solch ein Klischee. Und dass hier dann so wenig darauf eingegangen wird, hat entweder was damit zu tun, dass der Autor diese semibiografische Geschichte eben doch nur von Hörensagen und eigener Fantasie her kennt als dass er immanent davon betroffen gewesen wäre., sei es als Kind oder als befreundetes Kind damals. Und diese Art von falscher Autehntizität zieht sich ein bißchen wie ein roter Faden durch die Handlung. Auch der jähzornige Blondschopf wie gesagt ist solch ein wandelndes Klischee. Und ja, es gibt solche Charaktere tatsächlich, ein Klischee ist ja meistens eine Überzeichnung von gewissen Eigenschaften, die tatsächlich vorhanden sind, aber wenn man in diese Mottenkiste greift, muss man diese Charaktere immer noch mit Respekt behandeln und sie glaubwürdig und fassbar machen, genauso wie man das Umgehen der Umwelt mit dieser Figur glaubhaft darstellen muss. Joe Pesci beispielweise in Good Fellas ist ein absoluter Psychopath und Tyrann und trotzdem einer der besten freunde von Ray Liottas Charakter. Es gibt da aber nicht nur eine bestimmte Szene im Film, die ganz klar aufzeigt, dass jeder, wirklich jeder weiß, was das für ein Mensch ist, und dass sie alle Angst vor ihm haben. Oder in Casino, als sie (wieder) Pescis Bruder töten und im Maisfeld begraben: Dass dieser jähzornige Kerl um einen erwachsenen Mann so bettelt: "Er ist doch noch ein Kind!" Mag einerseits belustigend wirken, aber ist in Wahrheit eine sehr präzise Beobachtung des Umfelds und des Millieus. Davon ist man hier in Sonne und Beton immer mehr als nur ein Stück weit entfernt.
Jetzt mag man meinen, es ist unfair einen grundsoliden Film mit den besten des Fachs zu vergleichen. Und ja, das ist es zum Teil tatsächlich. ABER: Sonne und Beton will ja auch was großes sein. Und er hat diesen Anspruch auch tatsächlich zu Recht.
Wenn man das aber schaffen will, dann muss man auch gewillt sein, die Vorlage derart aufzubrechen, dass man tatsächlich die Authentizität findet, die sonst halt fehlt. Stattdessen wird dann aber in der zweiten Hälfte ein halbgarer Heist- und Krimiplot etabliert, der zwar halbwegs gut funktioniert, aber die Sozialstudie noch mehr in den Hintergrund drängt, mit einem Twist am Ende, das zwar inhaltlich auch irgendwie realistisch sein mag, aber eben als Twist so den Film unterläuft, der er sein Film. Wie man tatsächlich zum Beispiel diverse Genres streifen kann in solch einem Sozialfilm, hat beispielsweise Systemsprenger vor ein paar Jahren ziemlich heftig aufgezeigt, wo sogar das Home Invasion genre ziemlich pervertiert gestreift wurde und man einfach fassungslos nicht wusste, wem man als Zuschauer mehr Glück wünschen sollte. Aber gerade an dieser scheitert Sonne und Beton leider ziemlich hart.
So wird aus einem potentiell wirklich sehr guten Film, der mit diesen Darstellern und dem Rohmaterial hier tatsächlich möglich gewesen wäre, leider nur ein ziemlich guter deutscher Genrefilm. Und ich denke, man erkennt hier das vergiftete Lob. Denn ein sehr guter Film benötigt ein nationales Attribut eben nicht. Wie gesagt, ein guter deutscher Film ist er trotzdem und legt auch den Finger in die Wunde, aber wie gesagt zu den Vorbildern fehlt halt noch was, und man hat immer das Gefühl des abheobenen Erzählers.
Gut aber schade. mehr wäre drin gewesen, und hätte sogar mehr drin gewesen sein müssen.